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Autoreninterview zu „Unser wildes Blut“

Wie kamen Sie auf die Idee für den Roman? Gab es vielleicht eine reale Vorlage?

Wolfgang: Dieses Thema war immer da. Spätestens seit meinen Zivildienst, den ich beim Rettungsdienst der Stadt Köln gemacht habe. Da haben wir wirklich einmal einen jungen arabisch stämmigen Mann gefahren, der mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist.

Er hatte sich die Arme aufgeschlitzt, weil er unendlich verzweifelt über die Beziehung zu einem deutschen Mädchen war. Man hat gemerkt, dass er ursprünglich nur etwas Spaß haben wollte, wie alle seine Freunde. Am Ende hat er aber dann doch Gefühle entwickelt und konnte sich diese selbst nicht eingestehen, weil eine dauerhafte Verbindung zu dem Mädchen in seinen Augen sündig war. Er hat mir auch erzählt, dass das Schlimmste für ihn wäre, wenn seine Schwester eine Beziehung zu einem Deutschen hätte. Das war für einen Jungen aus dem Hunsrück wie mich alles sehr schwer zu verstehen, es hat mich mitleidig und wütend zugleich gemacht.

Auf dieser Fahrt war schon eine ganze Menge des späteren Buches da. Gerade im immer stärkeren Konflikt den Ilhan mit sich selbst austrägt, habe ich schon ab und an an die verzweifelten und auch so wütenden Augen dieses Jungen gedacht.

Nur: Als Person mit Migrationshintergrund (wie man das so schön sagt), bin ich sensibilisiert für dieses Thema. Manchmal sogar schon so stark, dass ich etwas überempfindlich reagiere und es satt habe, damit ständig konfrontiert zu werden. Jedenfalls war der Wille, ausgerechnet über etwas zu schreiben, das ohnehin schon einen so hohen Stellenwert im Leben hat, nicht sehr stark ausgeprägt. Daher war ich zunächst skeptisch, als Wolfgang mit dieser Idee kam. Dennoch konnte ich mich für diese Thematik begeistern. Vielleicht auch genau aus dem Grund, dass vieles meiner Meinung nach recht einseitig betrachtet wird. In der Gesellschaft und Literatur werden manche Perspektiven nicht klar genug ausgeleuchtet. Ilhan und Aysel, die Zwillinge, verkörpern für mich diese interessanten Perspektiven, die oft zu kurz kommen. Mein Ziel war es also, dass „Unser wildes Blut“ kein Klischeebuch wird. Und ich behaupte einfach mal, dass uns das gelungen ist.

Bei fast allen Charakteren hatte ich echte „Vorlagen“: Menschen aus meiner eigenen Umgebung oder meinem Bekanntenkreis. Natürlich werden diese nicht eins zu eins abgebildet. Aber kleine Komponenten oder eine Mischung aus mehreren Personen in einem Protagonisten kommen darin vor.

Hat das Buch einen pädagogischen Anspruch?

Nur: Am Anfang dachte ich sehr oft daran, dass dieses Buch einen pädagogischen Anspruch haben könnte. Bei einem so brisanten Thema gibt es eben vieles, was ich den jungen Leserinnen und Lesern indirekt mitteilen möchte. Ich hatte eine gewisse Idealvorstellung im Kopf, wie sich eine solche Liebesgeschichte im positiven Sinn entwickeln könnte. Natürlich auch darüber, wie sich Personen verhalten könnten, um Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen. Vor allem mit dem Ende haben wir uns lange Gedanken gemacht. Dürfen sich Aysel und Alex in einem Jugendbuch wirklich in einen Abgrund stürzen? Dann merkten wir jedoch schnell, dass man der Jugend niemals etwas vorschreiben darf. Es geht schließlich um ein hochaktuelles Thema, das sich in viele Richtungen entwickeln kann. Und diese Geschichte ist eine Variante davon.

Wolfgang: Nein, eigentlich nicht. Mich hatte einfach dieses Thema unendlich gepackt, das Spannungsfeld zwischen den Kulturen, die mit der Liebe, die ja am Ende so menschlich und gleich ist, ganz unterschiedlich umgehen. Das hat mich nicht mehr losgelassen und das wollten wir dann möglichst gut darstellen. Mehr nicht.

Wie verlief der Schreibprozess zwischen Ihnen ab?

Nur: Wir haben zuerst versucht einen groben Handlungsverlauf festzusetzten. Den wir dann aber mehrere Male während des Schreibprozesses umgeworfen haben. Ganze Szenen wurden vom hinteren Teil des Buches nach Vorne genommen oder umgekehrt. Im Prinzip lief es so ab, dass sich jeder von uns auf seine derzeitige „Lieblingsszene“ konzentrierte und einen vorläufigen Entwurf an den anderen verschickte. Anschließend hat jeder an den Textteilen herumgedoktert bis wir beide 100% damit einverstanden waren. Das fiel uns in einigen Szenen sehr leicht, in anderen wiederum diskutierten wir manchmal Tage lang, wie man es besser formulieren oder beschreiben könnte.

Wolfgang: Eher Wochen als Tage :-) …

Haben Sie einen Lieblingsprotagonisten?

Nur: Für mich ist es Ilhan. Er macht im Laufe des Buches eine enorme Entwicklung durch. Ich spüre, wie er anfangs in seinen gewohnten Rastern denkt und nichts aus den beiden Kulturen hinterfragt. Später jedoch, als er nach und nach Gefühle für Emilie entwickelt, beginnt er auch seine eigene Kultur zu hinterfragen und am Ende seine Zwillingsschwester sogar ein Stück weit zu verstehen.

Wolfgang: Ja, Ilhan ist vielleicht wirklich die tiefste Person. An einer Stelle wird gesagt, dass die meisten Figuren an sicheren Ufern ihrer Kultur stehen. Alexander glaubt daran, dass Liebe etwas Freies ist und zweifelt nicht eine Sekunde an seinen Werten. Genauso Yasin oder Said, die davon überzeugt sind, dass ein muslimisches Mädchen nur einen Muslim heiraten darf. Sie alle stehen so fest in ihren Werten, dass es ihnen einen großen Halt gibt, auch wenn sie geliebte Menschen verlieren. Nur Ilhan und auch Aysel werden zwischen diesen Welten hin und hergeworfen und erleben die größten Krisen aber auch die tiefsten Erkenntnisse.

Hatten Sie während des Schreibprozesses Blockaden?

Nur: Ich hatte keine Schreibblockaden in dem Sinne. Es herrschte nur ab und an eine enorme Zeitknappheit. In meinem Studium, vor allem als es sich zum Ende neigte, war ich zeitweise sehr eingespannt. Ich habe das Schreiben aber immer als entspannend empfunden, also nicht als etwas das erledigt werden muss. Ich habe mich förmlich darauf gefreut, nach dem Tagespensum für die Diplomarbeit endlich wieder ans Buch gehen zu können. Es war daher in dieser Zeit eine Mischung aus Stress, weil ich so gut wie keine Zeit mehr für andere Dinge außerhalb des Schreibens hatte, und Freude, dass ich etwas voranbringen kann.

Wolfgang: Witziger Weise war es bei mir so, je mehr sonst in meinem Leben passiert ist, desto besser lief das mit dem Schreiben. Fast jedes Erlebnis, ganz viele Eindrücke habe ich auf das Buch projiziert. In einem schönen Wald im Herbst stellte ich mir vor, wie Alex und Aysel gerade hindurchjagen; vor einem hohen Turm, wie sie sich dort verstecken; in Diskos habe ich auf einmal unzählige Saids gesehen, die Mädchen antanzen. Nein, das Buch hat sich wirklich aus uns rausgepresst, als wäre es schon immer da drin gewesen.

Manchmal habe ich bis tief in die Nacht geschrieben und Tags unendlich müde in der Beratung gearbeitet. Aber wenn wir dann am Abend wieder über eine andere Szene telefoniert haben, war ich wieder ganz aufgekratzt und habe mich dann doch wieder die Nacht über hingesetzt, um am nächsten Tag noch müder zu sein.