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Melanie Raabe im Interview - DIE WAHRHEIT - Hörbuch - Hörverlag

DIE WAHRHEIT. Melanie Raabe im Interview

Melanie Raabe wurde 1981 in Jena geboren, wuchs in einem 400-Seelen-Dorf in Thüringen und einer Kleinstadt in NRW auf, studierte Medienwissenschaft und Literatur in Bochum und lebt inzwischen in Köln – als Journalistin, Drehbuchautorin, Bloggerin, Performerin und Theaterschauspielerin. Sie betreibt ihren eigenen Interview-Blog (www.biographilia.com) und erhielt bereits mehrere Preise für ihr Schreiben. Die Rechte an ihrem Roman Die Falle wurden bereits vor Erscheinen international verkauft, u. a. nach Frankreich, Italien, die Niederlande, Spanien und das englischsprachige Ausland.
Das Foto von Melanie Raabe auf dieser Seite ist von © Christian Faustus.
Anlässlich ihres neuen Romans DIE WAHRHEIT, als Hörbuch gelesen von Nina Kunzendorf, Andreas Pietschmann und Devid Striesow, haben wir Melanie Raabe bei uns im Verlag interviewt:
Liebe Frau Raabe, Ihr neuer Roman heißt DIE WAHRHEIT. Gibt es sie denn überhaupt: die eine Wahrheit?
Nicht wirklich. Ich bin der Meinung, dass jeder so ein bisschen seine eigene Wahrheit sieht, empfindet und sich auch im Nachhinein zurechtstrickt. Auch da liegt die Spannung in meinem neuen Buch. Es ist ja ein sehr vieldeutiger Titel, und ich glaube, das löst das Buch auch ein.
Ein vieldeutiger Titel, der nur aus Großbuchstaben besteht.
Ja, absolut. Nicht: [leise] Die Wahrheit, sondern: [laut] DIE WAHRHEIT. [Lacht.]
Wo beginnt die Lüge in Ihrem neuen Thriller?
Guter Punkt! Tatsächlich geht es in meinem neuen Roman um eine Frau, die vor sieben Jahren ihren Mann verloren hat. Er ist von einer Auslandsreise nie zurückgekehrt. Sie hat auch ein Kind mit ihm, das er nicht hat aufwachsen sehen. Eines Tages, als sie sich eigentlich schon damit abgefunden hat, dass er nicht mehr zurückkommen wird, wird ihr mitgeteilt: „Wir haben Ihren Mann gefunden“. Aber der Mann, der dem Flugzeug entsteigt, ist sehr offensichtlich nicht ihr Mann! Da haben wir eine Lüge. Und nach und nach, im Verlauf der Geschichte, bekommen wir mit, dass es im Leben meiner Protagonistin noch ganz andere Lügen gibt beziehungsweise: Wahrheiten, die aufgedeckt werden können. Auch der Fremde, der diesem Flugzeug entsteigt, kommt zu Wort. Auch er hat natürlich einen Plan, bei dem es eine Wahrheit gibt, nach der er sucht und forscht ...
Gab es einen Auslöser für Ihre Geschichte und das starke Flughafen-Setting zu Beginn?
Oft hat man ja so ein bestimmtes Bild, von dem aus sich dann der Rest des Buches verästelt. Für mich war das tatsächlich dieser Moment am Flughafen: Da steigen Menschen aus und der, auf den man wartet, steigt nicht aus. Ich war schon immer fasziniert von Flughäfen. Oder insgesamt von Orten, an denen Menschen zusammenfinden, sich verabschieden, wieder neu zusammenkommen. Das sind so emotionale Orte, an denen unglaublich viel Diversität herrscht und wo auch viele Emotionen zusammenkommen.
Ihre Geschichten zeichnen starke Frauen aus, immer auch im Konflikt damit unterschätzt zu werden.
Ich glaube, dass es auf jeden Fall wieder eine Figur ist, hinter der am Ende mehr steckt, als man erst einmal annimmt. Eine Figur, die sich behaupten muss. Mir ist immer daran gelegen, dass meine Figuren sich selbst aus Gefahrensituationen befreien – und keine Opfer sind. In keiner Form. Ich glaube, dass diese Figur ganz anders ist und ganz anders tickt als meine Protagonisten aus Die Falle, aber es gibt sicherlich auch bestimmte Gemeinsamkeiten, die wahrscheinlich auch aus meiner Autorenpersönlichkeit gespeist sind. Ich glaube, Sarah ist tougher als Linda Conrads. Mehr verrate ich nicht! [Lacht.]
Ist es für Sie wichtig, aus der Sicht einer Frau zu schreiben, einer starken Frau?
Ich habe die allergrößte Lust, mal aus der Perspektive eines Mannes zu schreiben. Ich habe das früher in älteren Texten, die nicht erschienen sind, auch durchaus schon getan. Es macht wahnsinnig viel Spaß, sich auch da hineinzuversetzen. Bei mir hat bisher – sowohl in Die Falle als auch jetzt in DIE WAHRHEIT – die Geschichte das Geschlecht der Protagonistin bestimmt. Sie hätte nicht so funktioniert, wenn da ein Mann wäre, dem plötzlich eine Hochstaplerin ins Haus kommt. Denn ein Mann ist für eine Frau nun mal bedrohlicher als eine Frau für einen Mann – zumindest so, wie ich die Geschichte erzählen wollte: nicht mit brachialer Gewalt, sondern mit psychologischer Finesse. Ich mag keine Figuren, die nur Blaupausen sind, weder in der Schwäche noch in der Stärke. Ich wollte eine echte Frau, das ist mir das Allerwichtigste. Aber klar habe ich eine Schwäche für starke Frauen, Opfer finde ich sehr langweilig als Protagonisten.
Nina Kunzendorf und Andreas Pietschmann werden im Hörbuch die beiden Hauptprotagonisten lesen ...
Ein großes Glück! Ich glaube, die passen auch sehr gut zusammen und werden diese Figuren toll zum Leben erwecken können. Ich war schon mit meinem letzten Hörbuch wahnsinnig glücklich, damals mit Birgit Minichmayr und Devid Striesow.
Was bringt für Sie Nina Kunzendorf mit, was sie für diese starke, aber auch schwache Rolle so passend macht?
Dass sie so viele Facetten hat. Sie hat eine tolle Stimme und kann beides: Sie kann Stärke, sie kann Schwäche, sie kann tough klingen, sie kann aber auch etwas Zartes haben, was meine Figur auch hat – denn niemand ist immer nur stark oder nur schwach. Ich glaube, sie kann das wahnsinnig toll austarieren, diese Psychologie, die ich den Figuren eingeschrieben habe. Meine Figur ist ja diese starke, alleinerziehende Frau, sie ist Mutter, sie hat großen Verlust erlebt, sie ist eine Kämpferin, sehr sportlich, sie ist sehr cool. Ganz viele Gegensätze sind in dieser Figur vereint, und ich glaube, Nina Kunzendorf ist perfekt dafür.
Was hat sich seit dem unglaublichen Welterfolg Ihre Krimidebüts Die Falle verändert? Können Sie beispielsweise immer noch so einfach in Ihr Lieblingscafé gehen und in Ruhe schreiben?
Ja, ich kann nach wie vor unbehelligt schreiben. [Lacht.] Das ist so irre, weil sich einerseits total viel geändert hat, andererseits eigentlich überhaupt nichts, was ganz großartig ist. Ich habe vorher
geschrieben, ich schreibe jetzt den ganzen Tag – ich habe die gleichen Freunde, das gleiche Umfeld. Zum Glück ist man ja als Autorin nicht so prominent wie ein Schauspieler oder Popstar! Ab und zu möchte mal jemand ein Buch signiert haben, das mache ich dann wahnsinnig gerne, aber ansonsten ist alles wie immer, und das ist sehr schön.
Als Bloggerin und Journalistin sind Sie ja selbst leidenschaftliche Menschenbeobachterin ...
Absolut, ja. Ich muss mich bei Interviews auch immer total konzentrieren keine Gegenfragen zu stellen, weil ich viel lieber frage als antworte, weil mich auch das Gegenüber immer total interessiert. Da zieht man ja total viel raus als Autorin und ja, das ist total wichtig.
Was war das aufregendste Erlebnis für Sie seit der Veröffentlichung von Die Falle?
Wir haben in 21 Länder verkauft und einen Hollywood-Deal! Das ist alles total irre, aber: Für mich war der schönste Moment, als ich das erste Vorabexemplar von meinem Buch in der Hand gehalten habe. Ich habe geweint – ich hatte ja schon lange vorher geschrieben, keinen Verlag gefunden, ganz, ganz viele Bücher gemacht und es hat nie geklappt. Das war für mich ein defining moment, das war einfach so toll! Alles andere war dann die Kirsche auf dem Sahnehäubchen.
Und Hollywood!?
Hollywood ist toll! Ich will nichts sagen gegen einen Hollywood-Vertrag. [Lacht.] Oder gegen eine oscarnominierte Drehbuchautorin, die das Buch adaptiert. Das ist alles total irre, oder? Wahnsinn, ich bin jetzt mit Autoren befreundet, die ich vorher auf der Buchmesse als Leserin gestalkt habe! [Lacht.]
Sind Sie gern auf Lesereise?
Ja, ich lese wahnsinnig gerne. Ich bin immer unglaublich aufgeregt, nach wie vor. Es ist schön, Leser zu sehen, es ist schön, hinterher mit denen zu sprechen, es ist schön, denen was vorzulesen, ich mache das wahnsinnig gern.
Nachdem Sie Ihren eigenen Roman Die Falle zum ersten Mal als Hörbuch gehört hatten: Hat sich da für Sie als Schriftstellerin etwas verändert?
Nein, ich glaube, ich schreibe nicht anders. Ich könnte nicht nur das Hörbuch mitdenken, sondern auch Kritiken zu meinem ersten Buch oder Lesererwartungen oder das, was Leser mir auf Twitter schreiben ... Aber wenn ich am Schreibtisch sitze, dann bin ich alleine mit dem Stoff und kann alles andere irgendwie ausblenden. Da versuche ich sehr, mir selbst treu zu bleiben – und nicht Frau Minichmayr zu kopieren, die das unglaublich toll liest, mit einer ganz anderen Ruhe und Schwere.
Man hat das Gefühl: Je „härter“ unsere reale Welt wird, desto härter wird auch die fiktive Spannungsliteratur. Provokation, Kompensation, ... woran mag das liegen?
Das ist eine sehr, sehr gute Frage. Das ist etwas, was mich tatsächlich auch beschäftigt, denn ich selbst gehe da ja überhaupt nicht mit. Die Falle ist ein psychologischer Stoff, wo ohne viel körperliche Gewalt zu erzählen viel Spannung aufgebaut wird, was mir persönlich auch sehr wichtig ist. Das ist in DIE WAHRHEIT nicht anders. Meine Bücher sind nicht grausam. Meine Bücher sind hoffentlich spannend, aber die Spannung findet auf einer persönlichen Ebene statt, zwischen Menschen. Es geht um Wahrheit und Lüge, um Vergangenheit und Leben und was Leben und Erleben mit Menschen macht, wie Menschen hart werden durch Verlust, Ängste, persönliche Probleme. – Ich kann schwer erklären, was Leser daran so fasziniert. Es hat eine Funktion, aber ich habe keine Antwort darauf. Ich suche nach dieser Antwort genauso wie Sie.

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