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Elisabeth Herrmann - »Das Dorf der Mörder«

Interview mit Elisabeth Herrmann zu »Das Dorf der Mörder« - Goldmann Verlag

Eigentlich bin ich eine Geschichten-Archäologin

Interview mit Elisabeth Herrmann zu »Das Dorf der Mörder«

Elisabeth Herrmann
© Maximilian Lautenschläger
Sie sind als Autorin überraschend vielseitig, produktiv – und sehr erfolgreich: Seit 2005 haben Sie, DAS DORF DER MÖRDER eingeschlossen, fünf Kriminalromane, zwei historische Romane und zwei Jugendbücher veröffentlicht, ein weiteres Jugendbuch befindet sich in Vorbereitung. Zudem wurden oder werden derzeit fast alle Ihre Bücher verfilmt, und Sie schreiben die Drehbücher. Was fasziniert Sie als Autorin am Krimigenre?

An diesem Genre fasziniert mich – übrigens nicht nur als Autorin, sondern auch als Leserin – das Rätsel an sich. Das In-die-Irre-führen, das Herumspielen mit Möglichkeiten, das Herausarbeiten von Motiven… und wenn man dazu noch einen spannenden Fall und ganz außergewöhnliche Hauptfiguren hat, wird das zu einer Art Schnitzeljagd. Die habe ich schon als Kind so geliebt! Außerdem kann ich in diesem Genre meinem ganz ureigenen Gerechtigkeitssinn folgen. Nicht immer sind die Täter die Bösen, nicht immer sind die Guten unschuldig. Und wenn mich ein Thema fasziniert – beim DORF DER MÖRDER war es die Schattenseite des Tierparks –, dann mache ich mich auch auf den Weg und gehe quasi die Geschichte ab. Diese Reisen führen mich an ganz außergewöhnliche Orte. Ob es die Futtertierzucht eines Zoos ist, die Gärten von Wörlitz, ob es eine Fähre auf der Ostsee oder ein versunkenes Grab in Polen ist… Ich liebe es, mir meine Geschichten mit eigenen Händen auszugraben. Eigentlich bin ich eine Geschichten-Archäologin. :)


In Ihrem neuen Roman DAS DORF DER MÖRDER geschieht ein grausamer Mord im Berliner Tierpark. Daran ist eine Rotte Pekaris beteiligt. Auch darüber hinaus spielen Tiere in dem Buch eine wichtige Rolle. Welche Beziehung haben Sie zu Tieren?

Ich hatte selbst drei Hunde, zwei Dobermänner und einen Terrier-Mix aus dem Tierheim, Vicky. Ich bin eher der Hunde- als der Katzentyp, und ich habe diesen Vierbeinern im „Dorf“ auch ein kleines Denkmal gesetzt. Darüber hinaus ist meine Beziehung zu Tieren respektvoll. Ich verwechsle sie nicht mit Menschen. Ein Tier kann mir keinen Freund, keine Familie ersetzen. Ein Tier stirbt für mich, um mich zu ernähren. Dafür schulde ich ihm etwas: dass es ein anständiges Leben und einen anständigen Tod hatte. Ich bin keine Vegetarierin. Deshalb ist der achtsame Umgang mit den Kreaturen, die für meinen Teller sterben, für mich eine Bringschuld.


Die Hauptverdächtige in dem Mordfall ist die Tierfutterzüchterin Charlotte Rubin. Tierfutterzüchterin heißt im Klartext: Charlotte Rubin zieht Mäuse, Ratten, Küken und Kaninchen auf, mit denen sie die Raubtiergehege des Tierparks beliefert. In diesem Zusammenhang kommt mir die Protagonistin Ihres letzten Romans „Zeugin der Toten“ in den Sinn: Judith Kepler, die als „Cleanerin“ im Auftrag einer Reinigungsfirma Tatorte säubert, sobald die Spurensicherung ihre Arbeit abgeschlossen hat. Haben Sie ein Faible für ausgefallene Berufe?

Eher für ausgefallene Charaktere :). Denn wer einen ungewöhnlichen Beruf ausübt, kann kein gewöhnlicher Mensch sein. Natürlich könnte ich auch mal einen Krimi über einen Finanzbuchhalter schreiben, der plötzlich in einen Banküberfall gerät, aber mir sind Figuren lieber, die Ecken und Kanten haben. Die von der Allgemeinheit vielleicht sogar mit Abstand betrachtet werden. Die aufgehört haben, sich zu rechtfertigen, die autonom und echt sind.


Der junge begabte Psychologe Jeremy Saaler aus wohlhabendem Haus ist die Hauptfigur in DAS DORF DER MÖRDER. Doch mit fortschreitender Handlung rückt eine zweite Person immer weiter in den Vordergrund: Sanela Beara, eine 26-jährige ehrgeizige Polizistin bosnischer Abstammung. War Sanela mit ihren Ecken, Kanten und ihrer traumatischen Vergangenheit einfach eine zu interessante Persönlichkeit für eine Nebenrolle?

Sanela gab es gar nicht! Das ist das Unglaubliche: Diese Frau existierte nicht. Ich wollte nur eine kleine Szene schreiben, wie die Leiche gefunden und die Hauptverdächtige gefasst wird. Und da tauchte plötzlich Sanela auf, diese etwas zu klein geratene Streifenpolizistin – auch ein Outlaw, ein nicht gerade beliebter Mensch. Und mit ihrer Zähigkeit fing sie nicht nur an, diesen Fall zu lösen, sondern eroberte auch eine Seite nach der anderen. Bis ich aufgab und sagte: Okay, Sanela, du hast gewonnen. Du bist drin!


Im Nachwort Ihres Romans bedanken Sie sich bei einer Reihe von Menschen, die Sie bei Ihren Recherchen unterstützt haben. Wie wichtig ist der persönliche Kontakt zu Experten für Ihre Arbeit als Autorin?

Diese Gespräche sind sehr wichtig. Ich brauche Hintergrundinformationen, Einblicke. Ganz nebensächliche Sachen. Ein Beispiel: Wie läuft denn eigentlich eine psychologische Untersuchung ab, in der die Zurechnungsfähigkeit einer kaltblütigen Mörderin festgestellt werden soll? Ich hätte eine Menge schlauer Bücher lesen können (hab ich ja auch, klar!), aber dann traf ich Professor Nedopil in München, und der erzählte mir von den Vorführbeamten, die die Gefangene in die Praxis bringen. Der Arzt kommt nicht ins Gefängnis, nein, die Mörderin kommt zu ihm. Das steht in keinem Buch, das erfährt man nur, wenn man mit solchen Leuten redet.


Für DAS DORF DER MÖRDER hatten Sie über ein Gewinnspiel nach einem Schauplatz in den neuen Bundesländern gesucht. Können Sie uns etwas mehr über diesen Einfall und Ihre Erfahrungen damit erzählen?

Ich habe eine Facebook Seite, „Elisabeth Herrmann und ihre Bücher“. Dort habe ich gefragt, ob jemand eine Stadt in Ostdeutschland kennt, in der mein Held sich verlieben könnte. Und weil ich sowieso in die Gewinnerstadt fahren wollte, habe ich geschrieben, dass ich den Gewinner zum Essen einlade. Es kamen so viele Vorschläge! Das war überwältigend! Gewonnen hat Dessau, und gewonnen habe auch ich: Der Abend mit Katy und ihrem Mann war sooo witzig! Ich habe so viel über Dessau erfahren und wir haben so viel gelacht, da habe ich wirklich Glück gehabt. Mit der Stadt, und mit Katy.


DAS DORF DER MÖRDER spielt vorwiegend an zwei Schauplätzen, die gegensätzlicher kaum sein könnten: Berlin und ein winziges, fast verlassenes Dorf bei Jüterbog in Brandenburg. Welchen Reiz übt die Provinz als Romanschauplatz im Gegensatz zur Großstadt aus?

Ähm… Hüst… also… nun… um ganz ehrlich zu sein: In einem Dorf wie Wendisch Bruch will
ich nicht tot überm Zaun hängen. Nun hoffe ich sehr, dass ich die Brandenburger nicht vor den Kopf gestoßen habe. Denn immerhin habe ich den Fläming als zauberhafte Landschaft und Jüterbog als wunderschöne Stadt beschrieben. Ich selbst liebe Brandenburg. Im Sommer fahre ich immer an die Seen zum Schwimmen. Mein Traum ist ein kleines Sommerhaus irgendwo da draußen in den schattigen Wäldern. Aber: Brandenburger Provinz kann auch schrecklich sein. Öde, trist, mit verlassenen, kaputten Häusern… für mich als Schriftstellerin also die ideale Kulisse.


Wie machen Sie sich bei Ihren Recherchen mit einem fremden Ort vertraut, und welche Bedeutung hat dabei für Sie der persönliche Kontakt zu Menschen, die dort leben?

Ich versuche immer, Kontakte herzustellen. Manchmal kommen total witzige Sachen dabei heraus. In Sassnitz auf Rügen zum Beispiel bekam ich im tiefsten, strengsten Winter eine Stadtführung. Es stellte sich heraus, dass der Mann auch noch Vorstand des örtlichen Modelleisenbahnvereins war. Er zeigte mir die Ausstellungsstücke, und auf einmal hatte ich den Sassnitzer Bahnhof vor der Wende vor Augen. Die ganze Geschichte wurde dann ein sehr wichtiges Kapitel in „Zeugin der Toten“. Da ich sehr viel über Berlin schreibe, weil fast alle meine Romane zumindest am Anfang hier spielen, habe ich es in dieser Hinsicht leicht. Fast dreißig Jahre Lokalreporterin in dieser Stadt, da kennt man alle Ecken…


Sie beschäftigen sich in Ihren Büchern mit ganz unterschiedlichen Themen, und ich habe den Eindruck gewonnen, dass Sie vor Ideen nur so sprühen. Befruchten sich beim Aufspüren spannender Themen Ihre Arbeit als Fernsehjournalistin und als Schriftstellerin wechselseitig?

Teils, teils. Am Anfang ist es eher der Zipfel einer Idee. Über die Zeit hinweg kommen weitere Ideen hinzu. Ich begegne interessanten Menschen, und bei einigen habe ich mir gesagt: Das ist so außergewöhnlich, was sie tun, darüber will ich mal schreiben. Insofern ja. Aber mir kommen auch Ideen bei einem Zeitungsartikel, einer Liedzeile oder beim Warten auf den Bus, wenn da plötzlich jemand steht, der mich interessiert. Ich beobachte gerne Menschen. Ich höre ihnen gerne zu.


Als nächstes möchten Sie die Reihe der Joachim-Vernau-Krimis fortsetzen. Können Sie schon andeuten, worum es in dem neuen, vierten Band um den Berliner Anwalt gehen wird?

Fünf Jahre sind seit „Der letzten Instanz“ vergangen. Das ist dann wohl keine Fortsetzung mehr, eher ein Comeback :) … Vernau muss nach Polen, um einem Freund aus der Patsche zu helfen. Er wird dort mit Geschehnissen konfrontiert, die ihren Ursprung in der Umsiedelung und Vertreibung der Deutschen 1946 in Landsberg an der Warthe hatten. Ein Thema, das mich persönlich sehr interessiert, das in der öffentlichen Diskussion aber mit klaren, politisch korrekten Positionen besetzt ist. Ob Vernau sie auch vertritt, wenn er nach den „Versunkenen Gräbern“ sucht, wird sich erweisen. Es geht um ein lange gehütetes, mörderisches Geheimnis, das alle, Schuldige und Unschuldige, in einen Abgrund gestürzt hat. Und vor dem sich Vernau auch nur in letzter Sekunde retten kann…


Wenn Sie auf Ihren Weg als Autorin zurückblicken – auf die Anfänge, die Meilensteine, Durststrecken und Triumphe – welche Ihrer Eigenschaften würden Sie als Schlüssel zu Ihrem Erfolg betrachten?

Den unerschütterlichen Optimismus, nach fünfzig Absagen auch noch zum einundfünfzigsten Mal zum Briefkasten zu gehen und ein Manuskript an einen Verlag zu senden. Ohne diesen Optimismus wäre ich heute nicht da, wo ich bin.
© Elke Kreil, Goldmann Verlag