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Interview: Stefanie Stefanie Stahl über "Das Kind in dir muss Heimat finden"

Wie wir negative Glaubenssätze überwinden und das Sonnenkind in uns befreien

Psychotherapeutin Stefanie Stahl im Gespräch

Frau Stahl, Sie sind Psychotherapeutin, Buchautorin und gelten als ausgewiesene Expertin für das Thema Bindungsangst. Ihr Buch trägt den Titel „Das Kind in dir muss Heimat finden“. Was bedeutet der Titel – und gibt es einen Zusammenhang zwischen diesem neuen Thema und der Bindungsangst?

Der Titel weist daraufhin, dass wir alle unbewusste psychische Programme in uns tragen, die unsere Gefühle, Gedanken und Handlungen ganz wesentlich steuern. Diese psychischen Prägungen entstehen wesentlich, aber nicht ausschließlich, in den ersten Kindheitsjahren, weil sich in dieser Zeit unsere Gehirnstruktur noch sehr stark entwickelt. Die ersten Lebensjahre bestimmen über unser Selbstwertgefühl, das sozusagen das „Epizentrum“ unserer Psyche ist. Die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen, wie wir unsere Beziehungen gestalten, wovor wir Angst haben, wie wir mit unseren Ängsten umgehen usw. hängt von unserem Selbstwertgefühl ab. Das Selbstwertgefühl eines Menschen bestimmt dementsprechend auch, wie bindungsfähig er ist oder ob er unter Bindungsangst leidet.

Worin manifestiert sich ein labiles bzw. starkes Selbstwertgefühl?

Das Selbstwertgefühl manifestiert sich in sogenannten Glaubenssätzen. Dies sind einfache– und zumeist unbewusste – innere Überzeugungen, die wir in der Kindheit erworben haben und die für den Rest unseres Lebens darüber bestimmen, mit welcher Brille wir uns selbst und unsere Beziehungen wahrnehmen. Solche Glaubenssätze können zum Beispiel lauten: Ich genüge! Oder auch: Ich genüge nicht! Oder: Ich bin okay! Oder: Ich bin nicht okay! Letztlich – und das ist das Verblüffende – sind es diese schlichten Überzeugungen, die zu diversen Problemen in unseren Leben führen können. In meinem neuen Buch stelle ich eine einfache, aber sehr effektive, Übung vor, mit deren Hilfe die Leser ihre individuellen Glaubenssätze aufspüren und damit einhergehend verstehen können, zu welche konkreten Auswirkungen und Problemen diese in ihrem Leben führen. Im zweiten Teil der Übung lernen die Leser, wie sie ihre Glaubenssätze verändern und ihre Probleme lösen können. Diese Übung habe ich im Laufe meiner psychotherapeutischen Arbeit entwickelt und sie ist von ungeheurer Durchschlagkraft. Daher auch der Untertitel: Der Schlüssel zur Lösung (fast) aller Probleme.

Wie haben wir uns unser „inneres Kind“ vorzustellen? Und was hat unser „inneres Kind“ mit unserem Selbstwertgefühl zu tun?

Das „innere Kind“ ist eine Metapher, die für jenen Anteil unserer Psyche steht, der stark von der Kindheit geprägt wurde. Synonym spricht man auch vom Kindheits-Ich. Das innere Kind trägt diese unbewussten Glaubenssätze in sich, die wiederum einen großen Anteil auf unser Gefühlsleben haben. Wenn ein Mensch zum Beispiel den Glaubenssatz: Ich genüge nicht! aufweist, dann wird er stärker unter Versagens- und Lebensängsten leiden als ein Mensch, dessen Glaubenssatz: Ich genüge! lautet. Die Angst zu versagen, führt wiederum zu sogenannten Selbstschutzstrategien. Hierzu zählen zum Beispiel Perfektionsstreben, Harmoniestreben und/oder Kontrollstreben. Das bedeutet, dass ein Mensch, dessen inneres Kind sich ungenügend fühlt, dieses Gefühl kompensiert, indem er möglichst allen Anforderungen perfekt genügt, indem er Konflikten aus dem Weg geht und indem er versucht, möglichst alles unter Kontrolle zu halten. Er könnte sein inneres Kind aber auch durch ein starkes Machtstreben und eine erhöhte Angriffsbereitschaft beschützen. Welche Selbstschutzstrategien ein Mensch (unbewusst) wählt, hängt von seinen Kindheitserfahrungen und von seinen Genen ab. Letztlich sind es unsere Selbstschutzstrategien, die uns die Probleme im Leben bereiten. Hierzu ein Beispiel: Wenn das innere Kind eines Menschen überzeugt ist: Ich bin nichts wert!, dann könnte dies dazu führen, dass dieser Mensch sich zum Selbstschutz häufig im zwischenmenschlichen Kontakt verstellt (Selbstschutz: Rollenspiel) und sich oft in seiner Wohnung verkriecht (Selbstschutz: Rückzug). Hierdurch fühlt er sich jedoch häufig einsam. Und dieses Gefühl der Einsamkeit ist dann sein eigentliches Problem.

Wann bilden sich das Selbst- und Urvertrauen aus? Und woran erkennen wir, dass dieses Urvertrauen gestört ist?

Unser Urvertrauen bildet sich in den ersten zwei Lebensjahren aus. Durch die Beziehungen zu unseren Eltern erfahren wir, ob wir in der Welt willkommen sind und ob wir zwischenmenschlichen Beziehungen vertrauen können. Ein Mensch, der kein Urvertrauen erworben hat, ist erheblich stressanfälliger als ein Mensch, der über Urvertrauen verfügt. Dies hat man auch in neuropsychologischen Studien festgestellt: Menschen, denen es an Urvertrauen fehlt, reagieren empfindlicher auf Stress und Frustrationen jeglicher Art und bleiben auch erheblich länger in diesen negativen Gefühlen stecken.

Sie unterscheiden zwischen Sonnenkind und Schattenkind: Ersteres ist unser lebenszugewandter, freudiger und starker Wesenskern – letzteres steht für unsere negativen Glaubenssätze und belastende Gefühle. Haben wir grundsätzlich beide in uns? Und wie können wir den Schatten zurückdrängen und das Sonnenkind in uns befreien?

Wir tragen beides in uns, wobei bei manchen Menschen deutlich das Schattenkind und bei anderen das Sonnenkind überwiegt. In meinem Buch zeige ich den Lesern, wie sie Freundschaft mit ihrem Schattenkind schließen – und wie sie ihr Sonnenkind fördern und entwickeln können. Ich erkläre ihnen, wie sie neue Glaubenssätze bilden und, ganz wichtig, in ihrem Gefühl verankern können. Außerdem führe ich die Leser von den Schutz- zu den Schatzstrategien, das heißt, ich zeige ihnen konkrete Verhaltensweisen, mit denen sie ihre Probleme lösen können. Sinn und Zweck der ganzen Übungen ist, dass man bewusst zwischen dem Modus des Schatten- bzw. Sonnenkindes wählen kann. Solange nämlich das Schattenkind unbewusst bleibt, laufen die psychischen Programme automatisch ab und der betroffene Mensch bleibt in ihnen stecken. Dabei muss er selbst noch nicht einmal einen besonderen Leidensdruck verspüren – aber je nachdem, welche Selbstschutzstrategien er aufweist, leidet die Gesellschaft unter ihm.
Aber neben dem Schatten- und dem Sonnenkind tragen wir ja auch noch eine weitere psychische Instanz in uns: Den „inneren Erwachsenen“ beziehungsweise das Erwachsenen-Ich. Hierbei handelt es sich um unsern bewusst reflektierenden, vernünftigen Verstand – aber auch dieser kann nur angemessen zu Wort kommen, wenn er um die Existenz des Schattenkindes weiß.

Wenn Sie an Ihre Kindheit zurückdenken: Welcher Glaubenssatz hat Ihr Leben auf positive Weise geprägt? Und gibt es einen negativen Glaubenssatz, den Sie ins Positive ummünzen konnten?

Glücklicherweise hatte ich sehr liebevolle Eltern und trage ein ausgeprägtes Sonnenkind in mir. Aber keine Kindheit ist perfekt: Meine Mutter war die älteste von neun Geschwistern und als sie elf Jahre alt war, brach der Zweite Weltkrieg aus. Da war kein Raum für schwache Gefühle. Entsprechend hatte sie Schwierigkeiten, mit diesen bei sich selbst und bei mir umzugehen. Somit hat sich unter anderem ein Glaubenssatz in mir ausgeprägt, der lautet: Ich muss stark sein! Dieser hat mir zu viel Stärke verholfen, aber in Kenntnis desselben erlaube ich mir dann auch mal schwach zu sein.

© Kailash Verlag, 2015

Das Kind in dir muss Heimat finden

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