Yosano Akiko schrieb mit »Wirres Haar« eine Sammlung von traditionellen Tanka, die die Sehnsucht der Liebe und das Aufbegehren des Herzens in stimmungsvollen Bildern heraufbeschwört und uns Lesende zugleich die tiefen Emotionen, die von Luftsprüngen bis zur Melancholie des Abschieds und Wartens reichen, miterleben lassen. Man merkt, dass man sich im frühen 20. Jahrhunderts befindet, doch die Schmetterlinge der ersten Empfindungen sind an keine Epoche oder Zeit gebunden, sodass man sich schnell beim eigenen Erinnern ertappt und gar nicht mehr los kommt von diesen wertvollen Kunstwerken.
Natürlich ist nicht jedes Tanka ein Treffer, doch das sind Sammlungen von Gedichten nie. Vielmehr schafft es Akiko bestimmte Gefühle oder Bilder von Emotionen zu wecken, die auch nach dem Satzende nachhallen und das Herz in wohliger Wärmer baden lassen. Und das alles in wenigen Worten.
Yosano Akiko ist in Japan eine Naturgewalt gewesen, da sie mit alten Werten und Regeln, die insbesondere den Frauen galten, gebrochen hat. Wer mehr über ihr außergewöhnliches Engagement lesen möchte, dem empfehle ich die Essaysammlung »Männer und Frauen«, die auch im Manesse Verlag erschienen ist. Diese Tankas sind nämlich weniger politisch, sondern zeigen ihre Bedeutung in der japanischen Dichtung vielmehr durch Emotionen, die Frauen der damaligen Zeit nicht zu standen, die in der Öffentlichkeit mit manierlich hochgesteckten Frisuren ein Bild von Würde, Eleganz und Unterwürfigkeit verkörpern sollten, und weniger so sein sollten wie in Akikos Tanka: wild, aufgelöst und voller Emotionen. Eine Revolution des traditionellen japanischen Geschlechterbildes, gekonnt verpackt von einer außergewöhnlichen Dichterin und Aktivistin.
»Wirres Haar« von Yosano Akiko. Aus dem Japanischen von Eduard Klopfenstein, Manesse.