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SPECIAL zu Lisa See

Die Entstehungsgeschichte von »Eine himmlische Liebe«

Im Jahr 2000 schrieb ich für die »Vogue« einen kurzen Artikel über die Inszenierung des »Päonienpavillons« im Lincoln Center, wo die Oper in voller Länge zur Aufführung kommen sollte. Bei den Recherchen für diesen Artikel stieß ich auf die liebeskranken schreibenden Mädchen. Sie faszinierten mich gleich und gingen mir noch lange, nachdem der Artikel fertig war, durch den Kopf. Immer wenn ich einen Augenblick Zeit fand, schlug ich alles nach, was ich über die liebeskranken Mädchen finden konnte, und brachte schließlich in Erfahrung, dass sie Teil eines weit größeren Phänomens waren.

Mitte des 17. Jahrhunderts erschienen im chinesischen Yangzi-Delta mehr Werke von Autorinnen als in der restlichen Welt zu dieser Zeit. Das soll heißen, dass es Tausende von Frauen gab, die veröffentlichten – Frauen mit gebundenen Füßen, die häufig abgeschieden lebten und aus wohlhabenden Familien stammten. Manche Familien publizierten nur ein einziges Gedicht einer Mutter oder Tochter, derer sie gedenken oder die sie ehren wollten, aber es gab auch andere Frauen – professionelle Autorinnen –, die nicht nur für eine große Öffentlichkeit schrieben, sondern auch ihre Familien mit ihren Texten finanziell unterstützten. Dann stieß ich auf den »Kommentar der drei Ehefrauen« – weltweit das erste Buch seiner Art, das von Frauen geschrieben worden war, und zwar von nicht weniger als drei Ehefrauen. Damit verwandelte sich mein Interesse in Besessenheit.

Tang Xianzu ließ seine Oper »Der Päonienpavillon« in der Song-Dynastie spielen (960-1127), aber er schrieb über die Ming-Dynastie (1368-1644), eine Zeit der künstlerischen Bewegung und des politischen Aufruhrs wie der Korruption.

1598, mit der Vollendung der Oper, wurde Tang zu einem der wichtigsten Verfechter des qing – tiefer Gefühle und sentimentaler Liebe. Wie alle guten Schriftsteller schrieb Tang sehr offen und direkt, aber das bedeutete noch lange nicht, dass die Regierung das unbedingt hören wollte. Ziemlich bald votierten unterschiedliche Gruppen dafür, die Oper zu zensieren, weil sie als zu politisch und zu schlüpfrig galt. In rascher Folge erschienen neue Versionen, bis schließlich nur noch armselige acht der ursprünglich fünfundfünfzig Szenen aufgeführt wurden. Dem Text selbst erging es noch schlechter. Einige Versionen wurden gekürzt, andere wurden überarbeitet oder gänzlich umgeschrieben, um sie so dem sich verändernden Sittenkodex der Gesellschaft anzupassen.

1780, während der Herrschaft von Qianlong, fand die Oper noch mehr Gegner. Sie galt als »lästerlich« und wurde auf die schwarze Liste gesetzt. Erst 1868 jedoch verhängte der Tongzhi-Kaiser das erste offizielle Verbot, bezeichnete den »Päonienpavillon« als verderbt und ordnete an, dass sämtliche Exemplare verbrannt und alle Aufführungen verboten wurden. Die Zensur der Oper setzt sich bis heute fort. Die Produktion des Lincoln Center wurde verzögert, als die chinesische Regierung auf den Inhalt der wiederhergestellten Szenen aufmerksam wurde und über Schauspieler, Kostüme und Bühnenbilder ein Ausreise- bzw. Ausfuhrverbot verhängte.

Warum erregte die Oper so viel Aufsehen? »Der Päonienpavillon« war das erste literarische Werk in der Geschichte Chinas, in dem die Heldin – ein sechzehnjähriges Mädchen – selbst über ihr Schicksal bestimmt, was ebenso erschreckend wie erregend war. Es faszinierte Frauen, die, mit seltenen Ausnahmen, die Oper lesen, aber niemals sehen oder hören durften. Die Leidenschaft, die diese Oper erweckte, wurde mit dem Fanatismus verglichen, den Goethes »Werther« im Europa des 18. Jahrhunderts oder in neuerer Zeit auch »Vom Winde verweht« in den Vereinigten Staaten auslöste. In China zeigten sich junge, gebildete Frauen aus wohlhabenden Familien besonders empfänglich für diese Geschichte – meistens waren sie zwischen dreizehn und sechzehn Jahre alt und ihre Ehen waren bereits arrangiert worden. In dem Glauben, dass das Leben die Kunst nachahmt, kopierten sie die Opernheldin Liniang. Sie aßen nichts mehr, schwanden dahin und starben, alles in der Hoffnung, sie könnten im Tode frei über ihr Schicksal bestimmen, wie es Liniangs Geist getan hatte.

Niemand kann mit Sicherheit sagen, was die liebeskranken Mädchen wirklich umbrachte, es könnte aber durchaus sein, dass sie sich zu Tode hungerten. Wir halten die Magersucht gerne für ein modernes Problem, aber das ist es nicht. Ob weibliche Heilige im Mittelalter, liebeskranke Mädchen im China des 17. Jahrhunderts oder heranwachsende Mädchen heutzutage: Frauen hatten immer das Bedürfnis nach einem kleinen bisschen Selbstbestimmung. Der Wissenschaftler Rudolph Bell hat ausgeführt, dass junge Frauen, indem sie hungern, den Konkurrenzkampf der äußeren Welt – in der sie keine Macht über ihr Schicksal haben und sich einer sicheren Niederlage gegenüber sehen – verlagern und zu einem inneren Kampf machen, um die Herrschaft über sich selbst und ihre körperlichen Bedürfnisse zu erlangen. Viele der liebeskranken Mädchen, die im Sterben lagen, schrieben Gedichte, die nach ihrem Tod veröffentlicht wurden.

Aber diese schreibenden Frauen – ob es nun liebeskranke Mädchen oder Mitglieder des »Bananengartenclubs« waren – tauchten nicht einfach in einem Vakuum auf und verschwanden danach wieder darin. In China ging Mitte des 17. Jahrhunderts ein Dynastiewechsel vonstatten. Die Ming-Dynastie ging unter, und die von Norden her eingedrungenen Mandschu etablierten die Qing-Dynastie. Ungefähr dreißig Jahre lang befand sich das Land in einem Zustand des Chaos. Die alte Regierung war korrupt, der Krieg brutal gewesen. (In Yangzhou, wo Mudans Großmutter starb, sollen 80 000 Menschen getötet worden sein.) Viele Menschen wurden obdachlos. Die Männer wurden erniedrigt und gezwungen, sich die Stirn zu rasieren, als Zeichen ihrer Unterwürfigkeit gegenüber dem neuen Kaiser. Unter der neuen Herrschaft scheiterte das kaiserliche Beamtensystem, und so war der Weg, auf dem Männer traditionell zu Ruhm, Reichtum und Macht gekommen waren, plötzlich wertlos. Männer aus den höchsten Gesellschaftsschichten zogen sich aus der Regierung und dem Gelehrtenleben zurück, um Steine zu sammeln, Gedichte zu schreiben, Tee zu verkosten und Räucherwerk zu verbrennen.

Frauen, die sowieso schon ziemlich weit unten rangierten, erging es weit schlechter. Manche wurden getauscht und verkauft »nach Gewicht, so wie Fisch«, und Pfund um Pfund war weniger wert als Salz. Viele – so wie die echte Xiaoqing oder wie Weide in dem Roman – wurden zu »mageren Stuten« und als Konkubinen verkauft. Aber manche Frauen stand ein ganz anderes und viel besseres Schicksal bevor: Da sie so viele andere Sorgen hatten, ließen die Männer die Tore offen stehen, und die Frauen, die lange in Abgeschiedenheit gelebt hatten, gingen hinaus. Sie wurden professionelle Schriftstellerinnen, Malerinnen, Bogenschützinnen, Historikerinnen und Abenteurerinnen. Andere Frauen trafen sich, um Gedichte zu schreiben, Bücher zu lesen und um zu diskutieren – man könnte das als eine Frühform des Lesekreises betrachten. Die fünf (später sieben) Mitglieder des »Bananengartenclubs« zum Beispiel machten Ausflüge, schrieben über das, was sie sahen und erlebten, und galten trotzdem noch als vornehme, edle, stolze und aufrechte Frauen. Ihnen wäre nicht ein solcher Erfolg beschieden gewesen ohne die zunehmende Bildung der Frauen, eine gesunde Wirtschaft, die technische Möglichkeit zum Massendruck und eine männliche Bevölkerung, die zum größten Teil abgelenkt war.

Doch nicht all diese Texte drückten Fröhlichkeit aus oder feierten etwas. Manche Frauen hinterließen Gedichte auf Wänden, die später unter den Intellektuellen berühmt wurden für ihre Traurigkeit. Zusammen mit den Texten der liebeskranken Mädchen ließen diese Gedichte eine Art von Romantik entstehen, die die Ideale des qing mit der Faszination verband, die eine langsam sterbende Frau auslöste, sei es wegen einer Krankheit, Kindbettfieber, weil sie zu Tode gequält wurde oder weil sie allein in einem leeren Raum starb und sich nach ihrem Liebsten verzehrte.

Die drei Ehefrauen Chen Tong, Tan Ze und Qian Yi hat es wirklich gegeben. Ich habe versucht, so nahe wie möglich an der wahren Geschichte zu bleiben – so nahe, dass ich oft durch Fakten gebunden war, die zu märchenhaft und absurd klangen, um wahr zu sein. Qian Yi zum Beispiel verwendete eine Ahnentafel aus dem Haushalt, um eine Zeremonie unter einem Pflaumenbaum abzuhalten, mit der sie die Opernfigur Du Liniang ehren wollte.

Wu Ren wollte jeder seiner drei Ehefrauen Anerkennung zuteil werden lassen, aber gleichzeitig wollte er sie schützen, daher stand auf dem Bucheinband: »Gemeinsamer Kommentar zum Päonienpavillon der drei Ehefrauen von Wu Wushan«. Wushan war eines der Pseudonyme, die er beim Schreiben benutzte. Die Namen Tan Ze, Qian Yi und Chen Tong erschienen lediglich auf der Titelseite und im Anhang.

Das Buch wurde bei seinem Erscheinen sehr gefeiert und war bald weit verbreitet. Doch mit der Zeit schlug die Stimmung um, und das Lob wurde durch heftige und oft auch beißende Kritik ersetzt. Moralisten schlugen vor, sämtliche Exemplare des »Päonienpavillon« zu verbrennen – zusammen mit allen ergänzenden Werken wie dem Kommentar. Dies sei die effektivste Methode, den anstößigen Text ein für alle mal los zu werden. Wenn Frauen – die von Natur aus dumm und unkultiviert seien – solche Bücher läsen, könne es dazu führen, dass sie zügellos und kaltherzig würden, argumentierten sie. Doch hauptsächlich wiesen sie darauf hin, dass nur eine ungebildete Frau als gute Frau betrachtet werden könne. Die Moralisten forderten von den Männern, ihre Mütter, Frauen, Schwestern und Töchter daran zu erinnern, dass die Vier Tugenden kein »Schreiben« und kein »Ich« beinhalteten. Genau die Dinge, die Frauen dazu inspiriert hatten zu schreiben, zu malen und Ausflüge zu machen, wurden nun gegen sie gekehrt. Die Rückkehr zum Ritual bedeutete nur eines: die Rückkehr zum Schweigen. Mittlerweile war wieder Ordnung im Reich eingekehrt. Der Kaiser hatte mehrere Verlautbarungen gemacht, die alle zum Ziel hatten, die Gesellschaft wieder unter Kontrolle zu bekommen. Das Wolken-und-Regen-Spiel, so hieß es, sollte nur zwischen Ehemann und Ehefrau vonstatten gehen, und die Grundlage dafür konnte nur das vernunftbetonte li sein und nicht das qing. Der Kaiser verlieh den Vätern auch die völlige Kontrolle über die weiblichen Nachkommen: Wenn eine Tochter Schande über ihre Ahnen brachte, hatte er das Recht, sie in Stücke zu hacken. Ganz schnell wurden die Frauen wieder nach drinnen hinter verschlossene Türen gesteckt, und dort blieben sie mehr oder weniger bis zum Untergang der Qing-Dynastie und der Ausrufung der Republik China im Jahr 1912.