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Jürgen Leinemann »Höhenrausch«

Noch nie war Politikverdrossenheit derart weit verbreitet, noch nie war das Ansehen der Politiker so katastrophal. Wo leben die eigentlich? Wissen die überhaupt noch, wie es zugeht in der realen, alltäglichen Welt, oder haben sie den Kontakt zur Wirklichkeit längst verloren?

Jürgen Leinemann zählt zweifellos zu den besten Kennern der deutschen Politik und ihrer wichtigsten und tonangebenden Vertreter - seine SPIEGEL-Geschichten aus dem Innenleben der politischen Klasse sind legendär. Er hat die parteipolitische Machtszenerie jahrzehntelang aus nächster Nähe betrachtet und sich seinen analytischen und gleichzeitig leidenschaftlich wertenden Blick dabei weder von politischen Interessen noch von persönlichen Vorlieben trüben lassen. Sein Befund, das Fazit seiner Beobachtungen und Erkenntnisse, ist alarmierend.

Leinemann weiß aus eigener Erfahrung sehr genau, wie das ist, wenn man die Bodenhaftung verliert, wenn das Leben sich verkürzt auf die Gier nach Bedeutung und die Angst, irgendjemand könnte merken, dass man so wichtig nicht ist, wie man tut. Seine Ärzte haben das als Sucht diagnostiziert - und sie haben ihm damit zugleich die Augen geöffnet für das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit aus der Politik.

Fast vierzig Jahre lang hat Leinemann in Washington, Bonn und Berlin beobachtet, wie das politische Personal, dessen prominenteste Figuren er in eindringlichen Porträts beschrieben hat, von Generation zu Generation schicksalsärmer, farbloser und austauschbarer wurde. Je weniger das Leben und die Geschichte diese Frauen und Männer vorgeprägt hatten, desto anfälliger wurden sie für die Privilegien und die hektische Selbstgenügsamkeit des politischen Betriebes. Zugleich lieferte ihnen das Fernsehen eine Ersatzwirklichkeit, in der sie ihr Ego aufplustern und ihre tatsächliche Ohnmacht verdrängen konnten.

Es spricht vieles dafür, dass Sucht zur spezifischen Krankheit unseres Zeitalters geworden ist und dass auch der politische Betrieb immer mehr zu einem Suchtprozess zu entarten droht. In dieser Hinsicht scheinen Politiker tatsächlich Repräsentanten ihrer Wählerinnen und Wähler zu sein - "Volksvertreter" im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Leinemann hat wenig Zweifel daran, dass unsere Gesellschaft eine Suchtgesellschaft ist - eine, in der die Menschen ihr Bedürfnis nach Sinn, nach Glück und vor allem nach Sicherheit mit Ersatzmitteln zu befriedigen suchen.

Für immer mehr politische Profis wird der Beruf zur Droge. Nicht alle Betroffenen sind blind gegenüber dieser Gefährdung, und nicht wenige Politiker von heute benutzen mit erstaunlicher Beiläufigkeit Begriffe aus der Junkie-Szene, um ihre eigene Befindlichkeit zu beschreiben. An Mitteln, die ihren Höhenrausch auslösen können, ist kein Mangel - Macht, Erfolg, Arbeit, Alkohol, öffentlicher Applaus - die Reihe lässt sich fortsetzen. Die politisch verheerendste Folge ist ein gestörtes Verhältnis zur Wirklichkeit, eine "Sehstörung" auf das Leben, wie Bundespräsident Johannes Rau das nennt. Für manche, wie Uwe Barschel und Jürgen Möllemann, endete diese Entwicklung tödlich.
Doch woher kommt diese fatale Anfälligkeit? Ist sie eher dem Zeitgeist geschuldet, oder ist sie ein Risiko, das man grundsätzlich eingeht, wenn man Politik als Beruf betreibt? Jürgen Leinemann stellt und beantwortet solche Fragen mit großer Differenziertheit und illustriert sie durch eine überwältigende Fülle von Beispielen - Beispielen von Politikern, die wir kennen und, durch die Medien vermittelt, täglich erleben können, und von solchen, an die wir uns als maßgebliche Figuren unserer jüngeren Geschichte erinnern.

Natürlich haben die Zeitumstände und sein politischer Lebensweg Willy Brandt gegenüber Gerhard Schröder einen immensen Vorsprung an Kenntnis und Wahrnehmung von Wirklichkeit verschafft - Brandt hat die Geschichte erlebt, von der Schröder im besten Fall gelesen hat. Und was für die beiden Kanzler gilt, lässt sich weitgehend auch auf ihre Generationsgefährten übertragen. Dass es dabei weder um Verdienst noch um Schuld geht, sollte deutlich sein. Doch dass die Nachkriegsjahrgänge im Vergleich zu den Älteren weit weniger Lebenswirklichkeit in ihren Politikerberuf einbrachten und einbringen ist eine Tatsache, deren Auswirkungen den Charakter der deutschen Politik, ihren Stil und ihr Personal im Verlauf der letzten Jahrzehnte erheblich verändert haben.

Wie viel ist Biographie, und wie viel ist Karriere? Wie häufig ersetzt die mediale Inszenierung von Politik das politische Handeln? Das sind Fragen, die sich die heutige Politikergeneration gefallen lassen muss. Doch Jürgen Leinemann belässt es nicht bei einer aktuellen Bestandsaufnahme. Er geht weit zurück in unsere Nachkriegsgeschichte, befasst sich mit ihren prägenden Gestalten und zeichnet so ein bundesrepublikanisches Panorama, das sich von den Anfängen bis zur Gegenwart erstreckt und womöglich sogar auf die Zukunft verweist.

Höhenrausch

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