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Megan Wolitzer: Was uns bleibt ist jetzt

„Was uns bleibt ist jetzt“ ist nach zahlreichen preisgekrönten und erfolgreichen Büchern für Erwachsene ihr erstes Jugendbuch. Was hat sie dazu bewegt, einen Roman für jugendliche Leser zu schreiben?

Jugendliche Charaktere kommen in meinen Romanen für Erwachsenen sehr häufig vor, daher war es tatsächlich gar kein so großer Sprung. Außerdem hatte ich zu dieser Zeit einen Sohn im Teenageralter zuhause. Ich erlebte, wie er durch Jugendbücher, die er las, berührt wurde. Es fühlte sich einfach nach dem richtigen Zeitpunkt an, es zu versuchen.

In Ihrem Debüt schreiben Sie aus der Ich-Perspektive eines 15-Jährigen Mädchens. Was waren die besonderen Herausforderungen dabei?

Ich war selbst einmal ein 15-jähriges Mädchen und ich erinnere mich daran, wie es sich angefühlt hat, ein Teenager zu sein: die Unmittelbarkeit der Empfindungen, das Erforschen, die neuen Gefühle und Gedanken.
Aber natürlich war ich nicht die Jugendliche aus meiner Geschichte. Und ich bin auch keine Jugendliche aus dem 21. Jahrhundert, was einer ganz anderen Erfahrung entspricht – unter anderem aufgrund der modernen Technik. Aber egal aus wessen Perspektive ich schreibe, ich versuche immer, mich so gut ich kann in den Charakter hineinzuversetzen. Und ich versuche die Art und Weise zu verstehen, wie er oder sie in dieser Welt lebt.

Die Autorin Sylvia Plath und ihr Roman „Die Glasglocke“ sind ein wichtiger Teil von „Was uns bleibt ist jetzt“. Welche Rolle hat „Die Glasglocke“ bei der Entstehung des Romans gespielt und welche Bedeutung hat das Buch von Plath für Sie persönlich?

Man muss „Die Glasglocke” nicht gelesen haben oder den Roman kennen, um „Was uns bleibt ist jetzt“ zu lesen. Aber es ist ein kraftvolles Buch, das mich stark beeinflusst hat, als ich es in meiner Jugend gelesen habe. Plath hat ihren Kampf mit der psychischen Erkrankung real und plastisch beschrieben. „Die Glasglocke“ ist ein Buch, das viele Menschen gelesen haben, als sie jung waren. Und für mich ist es stark mit der Zeit des Erwachsenwerdens verknüpft.
In meinem Roman geht es auch um das Erwachsenwerden und darum, dass junge Leute manchmal Empfindungen haben, von denen sie glauben, sie werden sich nie verändern. Ihnen fehlt noch der langfristige Blick auf die Dinge. Dieser Erfahrung wollte ich nachgehen und sie einfangen. Plath als eine Art Sprungbrett für dieses Vorhaben zu nutzen, hat mich als Autorin gereizt.

Sie haben in ihrem Roman eine faszinierende Parallelwelt namens Belzhar erschaffen, in die die Jugendlichen durchs Schreiben gelangen. Ein Ort, an dem ihnen die schrecklichen Ereignisse der realen Welt noch nicht wiederfahren sind und sie in einer positiven Vergangenheit leben können. Wie sind sie auf die Idee gekommen und welche Bedeutung hat dieser Ort für Sie?

Mir hat es gefallen, etwas Fantastisches in die Realität meines Romans einzuflechten. Für mich ist die fantastische Welt eine Metapher für die Art und Weise wie Menschen sich Fantasien einfallen lassen, die sie vor der Wahrheit beschützen; aber irgendwann müssen sie daraus auftauchen und in der realen Welt leben.

Belzhar ist ein auf den ersten Blick verlockender Ort, an dem die Personen und Umstände sich nicht verändern. Sie werden sich nie weiterentwickeln, aber dafür wird es nie Schmerz, Verlust und Trauer geben. Könnten Sie es jemanden verdenken, wenn er sich für diese Welt des Stillstands entscheidet?

Nein, ich könnte niemanden vorwerfen, dies zu wollen oder sich dafür zu entscheiden. Aber ich würde mir wünschen, dass diese Person jemanden an der Seite hat, der sich für die reale Welt einsetzt, für die Beschwerlichkeit und die Schönheit von dem, was real ist.

Sie widmen sich in Ihren Werken nicht das erste Mal den Themen Trauer und Verlust. Warum sind diese Motive so wichtig für Sie?

Ich denke, sie sind Teil des Lebens und darum Wert, in einem Roman betrachtet zu werden. Wie mein Charakter Jam erinnere ich mich lebhaft daran, als Kind „Wilbur und Charlotte“ von E.B. White gelesen und beim Tod von Charlotte der Spinne am Ende geweint zu haben. Es war meine erste Begegnung mit Sterblichkeit und als ich älter wurde, gab es natürlich andere Todesfälle, die real waren. Verlust ist eine tiefgreifende Erfahrung und es ist sehr schwierig, darüber zu schreiben. Aber das ist die Herausforderung.

Mrs. Quenell, die Englischlehrerin der Protagonisten, ist eine ganz besondere Frau, die sich als weise Führerin erweist. Wie viel von Ihnen streckt in Mrs. Q?

Ich hatte Lehrer, die weise waren. Und wenn ich selbst Schreibkurse unterrichte, gebe ich mein Bestes, um alle verstreuten Weisheiten, die sich in mir verstecken, zu mobilisieren. Ich denke also, sie ist sicherlich ein Teil von mir.

„Words matter“, diese Feststellung von Mrs. Quenell zieht sich thematisch durch die ganze Geschichte. Sie führen mit Ihrem Roman sehr eindrucksvoll die Macht des Lesens und Schreibens vor Augen. Warum ist Ihnen die Botschaft so wichtig?

Ich verbringe meine Tage damit, Textabschnitte zu ver- und entknüpfen. Lesen und Schreiben sind für mich bedeutende Erfahrungen, die mich ganz in Anspruch nehmen. Und selbst, wenn ich nicht arbeite, sind meine Gedanken oft beim Schreiben, bei Charakteren und bei einer bestimmten Formulierung oder einem bestimmten Wort. Ich tue das, seitdem ich jung bin; ich werde vereinnahmt von den Büchern, die ich schreibe. Aber ich werde auch vereinnahmt von den Büchern, die ich lese. Es gibt so viele gute Literatur da draußen, eine so reichhaltige Auswahl an exzellenten Romanen, jeder mit einer anderen Stimme und einer anderen Wahrnehmung.

Gegen Ende des Romans denkt Jam darüber nach, was sie durch Mrs Quenells Kurs gelernt hat und kommt zu dem Schluss:
„Alle sagen immer, dass es überflüssig geworden ist, Literatur zu lesen, weil das die Welt nicht weiterbringt. […] Aber es stimmt nicht, dass das, was man im Literaturunterricht lernt, keine Rolle spielt. Dass große Literatur es nicht vermag, Dinge anders zu machen.“
Inwiefern ist in ihren Augen große Literatur auch in unserer heutigen modernen Welt von Bedeutung? Und warum ist sie gerade für Jugendliche wichtig?


Literatur zu lesen ermöglicht es, uns ein Bild davon zu machen, wie andere Menschen leben. Und das ist heutzutage dringend nötig. Es hilft uns, Lebens- und Denkweisen zu verstehen, die erheblich von unseren abweichen.
Es gibt eine Studie in den USA, die zeigt, dass Menschen, die Literatur lesen, eine stärkere Empathiefähigkeit haben. Dieses Ergebnis hat mich gefreut, aber nicht vollkommen überrascht.
Diejenigen von uns, die Literatur lieben, wissen, auf welche Weise wir durch das, was wir lesen, bereichert werden. Und junge Menschen sind da nicht anders. Sie mögen durch das Internet schneller vernetzt sein mit anderen jungen Leuten an verschiedenen Orten, was großartig sein kann. Nach meiner Erfahrung erlaubt uns Literatur, tiefer zu gehen, zu verweilen, und darin liegt ihre Kraft.


Interview: cbt-Presse/Katharina Göring