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Geraldine Brooks´ Historienroman »Die Hochzeitsgabe«

»Hätte ich die wahre Geschichte dieses Buches erzählt – es hätte mir niemand geglaubt!«

Ein Gespräch mit Geraldine Brooks

Die Handlungen ihre beiden vorherigen Romane »Das Pesttuch« und »Auf freiem Feld« spielen während der Pestepidemie in Europa und des Bürgerkriegs in Amerika. Nun haben Sie einen Roman über ein besonderes Buch geschrieben und über Menschen, die aufgrund ihres Glaubens verfolgt werden. Was macht ein bestimmtes Thema oder eine bestimmte historische Epoche interessant für Sie?

Es macht mir großen Spaß, diejenigen Geschichten aus der Vergangenheit auszugraben, über die wir zwar einiges wissen, aber bei weitem nicht alles; über die wir gerade so viele historische Aufzeichnungen besitzen, dass sie uns ein spannendes Gerüst aus Fakten liefern, aber auch genügend unbekannte Lücken lassen. Und damit der Fantasie ausreichend Raum bieten, um mit ihnen zu arbeiten.


Die sogenannte Sarajevo-Haggadah, eine jüdische, religiöse Schrift – einst in Spanien entstanden, später im Nationalmuseum von Sarajevo aufbewahrt – existiert wirklich. Wie sind Sie auf dieses Buch aufmerksam geworden?

Zu der Zeit als ich als Reporterin für das Wall Street Journal tätig war, beschäftigte ich mich für einen Artikel intensiv mit der Arbeit der Vereinten Nationen. Ich reiste auch nach Sarajevo, um nach dem Bosnienkrieg die Arbeit der UN-Soldaten zu begleiten. So erfuhr ich Anfang der 1990er von einem befreundeten Journalisten von der Haggadah, die noch bis vor dem Krieg im Bosnischen Nationalmuseum aufbewahrt wurde. Niemand wusste zu der Zeit, wo sich dieses wertvolle, etwa 600 Jahre alte Buch jetzt befand. Es gingen Gerüchte um, die Regierung hätte es verkauft, um Waffen zu kaufen. Andere wiederum behaupteten, der israelische Geheimdienst hätte es rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Die Wahrheit übertraf dann schließlich alle Gerüchte: Ein muslimischer Bibliothekar hatte es vor den Angriffen auf Sarajevo sicher verwahrt.
Geraldine Brooks
© Randi Baird
Wie lässt es sich Ihrer Meinung nach erklären, dass die Haggadah so viele Jahrhunderte fast unbeschadet überstanden hat?

Das ist eine wichtige Frage: Warum konnte dieses schmale Buch immer geschützt werden, während so viele andere vernichtet wurden? Für mich ist es besonders interessant, dass das Buch in einer Zeit entstanden ist – die der Convivencia in Spanien –, als Vielfalt toleriert, ja in gewisser Weise sogar zelebriert wurde, und dass es Jahrhunderte später seinen Weg bis an einen ähnlich multikulturellen Ort gefunden hat, nach Sarajevo. Sogar als in diesen Gesellschaften rassistische Tendenzen aufkamen und den Geist der multiethnischen, glaubensübergreifenden Toleranz zerstörten, gab es Jene, die begriffen, was vor sich ging und die das mit all ihrer Macht zu stoppen versuchten.

Haben Sie bereits an der »Hochzeitsgabe« gearbeitet, als Sie für »Auf freiem Feld« den Pulitzer Preis bekommen haben? Inwiefern hat die Auszeichnung mit einem solch renommierten Preis Ihr Schreiben beeinflusst?

Ich habe bereits an »Die Hochzeitsgabe« gearbeitet, bevor ich mit »Auf freiem Feld« begann. Ich habe eine ganze Weile lang mit dem Handlungsstrang gerungen, der im Zweiten Weltkrieg spielt: Diese Zeit ist so ausgereizt, und ich habe nach einer anderen Perspektive gesucht, um diesen Krieg zu beleuchten, eine, die den Lesern vielleicht nicht ganz so bekannt vorkommt. Diese Suche führte mich in viele Sackgassen, bis mir bei dieser Arbeit plötzlich die Idee für »Auf freiem Feld« kam. Wie ich dieses Buch schreiben sollte, war mir vollkommen klar, so dass ich einfach damit begann. Die »Pulitzer-Überraschung«, wie mein damals neun Jahre alter Sohn es so treffend ausdrückte, hat mein Schreiben nur insoweit beeinflusst, dass ich es für eine Zeit lang unterbrochen habe. Aber nach einigen Wochen angenehmer Zerstreuung saß ich wieder allein in meinem Zimmer, an meinem Schreibtisch und tat das, was ich immer getan habe: so gut zu schreiben wie ich kann, Tag für Tag.

Buchrestauratorin ist nicht gerade ein glamouröser Beruf, aber Hannas Geschichte, die den Rahmen bildet, ist dagegen sehr fesselnd, genauso wie die Geschichte der Haggadah. Was hat Sie bei der Gestaltung der Figur der Hanna inspiriert?

Da ich gerne mit einem Ich-Erzähler arbeite, ist es sehr wichtig für mich, die besondere Stimme des Romans einzufangen. In einem ersten Entwurf gab es eine bosnische Restauratorin. Denn ich liebe es, wie die Einwohner Sarajevos sich ausdrücken; mit einer Art lebensmüdem, sarkastischem Witz, der die beeindruckende Fähigkeit unterstreicht, große Härten zu erdulden und zu überleben. Aber ich konnte dieser Stimme kein richtiges Leben einhauchen, mit dem Ergebnis, dass mein Buch stagnierte. Dann dachte ich spontan, nun, warum kann sie nicht auch aus Australien kommen? Diese Stimme konnte ich deutlich hören. Hanna nahm in meinem Kopf Gestalt an und nahm daraufhin in dem zunächst als reine Rahmengeschichte konzipierten Handlungsstrang der Gegenwart viel mehr Platz ein, als ich ursprünglich für sie vorgesehen hatte.

Die wissenschaftlichen Methoden, die Hanna nutzt, um mehr über die Artefakte des Buches herauszufinden, sind wirklich faszinierend. Wie viel davon basiert auf aktuellen Forschungsergebnissen, und wie viel entstammt ihrer Vorstellung?

Ich habe Laboratorien besucht, habe Wissenschaftler und Restauratoren aufgesucht und ihnen bei ihrer Arbeit zugesehen. Aber mein Buch ist Fiktion, keine technische Abhandlung. Experten werden also ein oder zwei Stellen entdecken, an denen ich mir ein paar Freiheiten gestattet habe.

Die Juden haben über die Jahrhunderte außergewöhnlich schwere Zeiten durchlitten. Wie viel haben Sie darüber gewusst, als Sie mit dem Schreiben Ihres Buches angefangen haben?

Das Meiste. Den Juden wurde im Laufe ihrer Geschichte immer wieder harte Prüfungen auferlegt, und ihre Geschichte fasziniert mich bereits seit meiner Highschool-Zeit.

Welche ist Ihre Lieblingsfigur und weshalb?

Das ist, als würden Sie Eltern bitten, ihr Lieblingskind zu benennen. Hanna ist mir eine gute Freundin geworden, und ich vermisse es, mit ihr zusammen zu sein. Aber ich empfinde eine gewisse Zuneigung all meinen Charakteren gegenüber, vielleicht besonders denen, die am wenigsten perfekt sind.

»Die Hochzeitsgabe« spielt in ganz verschiedenen Epochen. War es schwieriger, für dieses Buch zu recherchieren, als für Ihre anderen Romane?

Die Recherchearbeit war auf jeden Fall umfangreicher, aber das war nicht schwer: Ich liebte die verschiedenen Reisen, auf die mein Buch mich geschickt hat, die echten und die, die sich in meinem Kopf abgespielt haben. Die Kuppeln und Kirchturmspitzen von Venedig in der verhangenen Morgendämmerung schimmern zu sehen; das große Privileg genießen zu dürfen, mit Servet Korkut zusammenzutreffen, die ihren Mann unterstützt hat, als er sich nicht dem Faschismus unterordnen wollte; und schließlich Andrea Pataki dabei zu beobachten, wie sie gewissenhaft das Original der Sarajevo-Haggadah zerlegte – diese Erfahrung werde ich meinen Lebtag nicht vergessen: Ich hatte mehr oder weniger durch Zufall erfahren, dass die U.N. eine Restauration der alten Handschrift finanzierte. Also hängte ich mich ans Telefon und es gelang mir tatsächlich, eine Bewilligung zu erwirken, bei dieser Arbeit zusehen zu dürfen.

Wie war das?

Einfach wunderbar. Ganz wenige Menschen hatten das Buch bis dato zu Gesicht bekommen. Es war für ein paar Jahrhunderte weggeschlossen gewesen. Es war fast dramatisch – denn was ich beobachten durfte, hatte mit der normalen Arbeit einer Buchkonservierung wenig gemein. Die Haggadah wurde aufgrund der immer noch unstabilen Lage in der Stadt scharf bewacht. Der Raum war also voll von Polizei und Leuten vom Geheimdienst, und dann saß da diese Frau, alleine an einem Tisch und machte ihre Arbeit – es war bizarr. Das war aufregend, und mein Roman nahm in meinem Kopf erste Gestalt an.

Sie lassen eine Geschichten entstehen, indem sie die historischen Fakten erweitern – man könnte auch sagen – Geschichte für uns lebendiger machen. Da gibt es ja zum Beispiel die faszinierende Geschichte Dervis Korkuts, der die Haggadah im Zweiten Weltkrieg vor den Nazis rettete. Ihre Recherchen dazu haben Sie kürzlich in einem Essay für den New Yorker niedergeschrieben.

Ja, aber hätte ich die wahre Geschichte so in meinem Roman übernommen, hätte mir niemand geglaubt! (lacht)

Verraten Sie uns, woran Sie zurzeit arbeiten?

Ich befinde mich noch in den Anfängen, der nächsten faszinierenden Geschichte auf die Spur zu kommen: sie ist dicht bei meiner Heimat angesiedelt, auf der Insel Martha's Vineyard. Es geht um Menschen, die 1966 – eines meiner Lieblingsjahre – auf dieser Insel gelebt haben. Und die Geschichte scheint aus genau der richtigen Mischung aus bekannten Fakten und Unbekanntem zu bestehen – ein großartiges, unvollständiges Gerüst, um darauf aufzubauen …