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Hans Herbert von Arnim »Die Deutschlandakte«

SPECIAL zu Hans Herbert von Arnim »Die Deutschlandakte«

Wo alle Macht von der politischen Klasse ausgeht

Rezension von Henrik Flor

„Hier trifft der Leser auf eine erschreckende Fülle von Versäumnissen, gezielten Täuschungen, Rechtsbrüchen und politischer Verantwortungslosigkeit.“ Das Zitat aus der Einführung ist keinesfalls eine Übertreibung. Tatsächlich verfährt der unverdrossene Parteienkritiker von Arnim nach dem selbst gewählten Motto: Ist die Rute verbogen, kann man sie nur richten, indem man sie nach der anderen Seite biegt. So deckt er Auswüchse in Politik, Gerichtsbarkeit und Wirtschaft ohne Nachsicht auf und möchte auf diese Weise das System hinter dem System erkennbar machen – ein Netzwerk aus „verdorbenen Institutionen“ und eigennützigen Politikern, das, so von Arnim, durch eine organisierte Unverantwortlichkeit zusammengehalten wird.

Abrechnung mit der „politischen Klasse“
Dabei verwendet der Autor gleich zu Anfang einen Kunstgriff: Der Aufbau seines neuesten Werks liest sich wie das Inhaltsverzeichnis eines klassischen Lehrbuchs zum politischen System der Bundesrepublik – ordentlich strukturiert nach wichtigen Akteuren und politischen Prozessen. Dahinter verbirgt sich – ähnlich einem Trojanischen Pferd – der Frontalangriff auf eine bigotte politische Führungsschicht, die vor allem darauf erpicht sei, ihre Pfründe zu sichern, und die seit Jahrzehnten Demokratie und Rechtsstaat hierzulande aushöhle. Nach 300 Seiten Analyse und Kritik findet der Leser dann im Schlusskapitel noch einmal das Destillat des vernichtenden Zeugnisses, das der Verwaltungsfachmann den hiesigen Eliten ausstellt. Und noch einmal verdichtet wird das Werk schließlich in 16 Thesen, die pointiert die zentralen Aussagen des Buches wiedergeben.
Hans Herbert von Arnim
© Peter Wilking, Speyer
Im „Wahrheitsstau“
Hans Herbert von Arnim, Deutschlands bekanntester Parteienkritiker, hat mit „Die Deutschlandakte“ so etwas wie ein Resümee seines jahrzehntelangen Engagements gegen eine machtgierige „Politikerkaste“ verfasst, die sich jenseits jeder Kontrolle bewege. Hier führt er die einzelnen Punkte seiner Fundamentalkritik zusammen und verliest noch einmal die lange Anklageschrift. Wer seine früheren Bestseller gelesen hat, wird in der „Deutschlandakte“ viele Thesen wiedererkennen: vom Fehlen des politischen Wettbewerbs, den wenigen Möglichkeiten der Direktwahl von Mandatsträgern, von der politischen Einflussnahme auf die Judikative, dem Abschied vom Gemeinwohl – kurz vom „Wahrheitsstau“ in diesem Lande.

Bourgeois und Citoyen
Getreu dem Motto aus der Einleitung biegt von Arnim tatsächlich die Rute streckenweise deutlich in die von ihm favorisierte Richtung, überspannt sie mitunter auch etwas, wenn etwa den Parteien eine vorsätzliche Entmündigung der Bürger unterstellt wird oder von den „Gleichschaltungsversuchen“ die Rede ist, denen die Medien ausgesetzt seien. Dennoch: Was von Arnim von anderen Autoren unterscheidet, die sich mitunter leidenschaftlich an den Verfehlungen von Politik und Verwaltung abarbeiten, ist zum einen der solide fachliche Hintergrund des Staats- und Verwaltungsrechtlers, der seit 1981 als Professor in Speyer lehrt. Zum anderen ist es die konsequente Übersetzung seiner Kritik in konstruktives, bürgerschaftliches Handeln. So war er maßgeblich daran beteiligt, dass ein Diätengesetz vom Europäischen Parlament zunächst nicht verabschiedet wurde und später erst in modifizierter Form passieren konnte. Zahlreiche andere Gesetze, die auf eine allzu dreiste Selbstbereicherung von Amts- und Mandatsträgern oder die Festschreibung der Unantastbarkeit der „Volksvertreter“ abzielten, konnte von Arnim auf juristischem Weg zu Fall bringen. Im Schlussteil benennt der Autor dann die zwei „Seelen“, die dem Menschen innewohnen: die des Bourgeois, der vorrangig am privaten Erfolg interessiert sei, und die des Citoyen, der sich für die Allgemeinheit, das Gemeinsame engagiere. Mit der „Deutschlandakte“ beweist von Arnim einmal mehr auf eindrucksvolle Weise, dass er beide „Seelen“ zu verstehen und zu beschreiben vermag.

Henrik Flor
Literaturtest
Berlin, Juni 2008