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SPECIAL zu Andrew Hutchinson »Rohypnol«

In Ihrem preisgekrönten Debütroman schildern Sie einen drastischen Fall von Jugendgewalt und zeichnen ein gnadenlos realistisches Porträt eines selbsternannten Monsters. Woher kam Ihnen die Idee zu diesem Thema?
Andrew Hutchinson: Ich habe beim Schreiben immer versucht herauszufinden, warum Menschen etwas tun. Alles, was ein Mensch tut, alles, was er sich entscheidet zu tun, ist beeinflusst von Erfahrungen, die er in der Vergangenheit gemacht hat. Etwas hat ihn zu diesem Punkt geführt, an dem er die Entscheidung für seine nächste Handlung gefällt hat. Genau dieser Aspekt ist es, der mich dazu gebracht hat, Rohypnol zu schreiben: Ich wollte die Einflüsse menschlichen Handelns untersuchen. Das Thema beschäftigt mich schon lange. Warum tun Menschen diese Dinge, die wir uns nicht einmal vorstellen können? Was treibt jemanden zu Gewaltakten, zu solch entsetzlichen und grausamen Verbrechen? Wie kann ein Mensch an diesen Punkt kommen?

Es gibt Millionen von Horror- und Psychothrillern auf dem Buchmarkt, die die dunkle Seite unserer Seele beschreiben und ansprechen. Ist Rohypnol nur ein weiterer?
Andrew Hutchinson: Rohypnol ist eine wahre Geschichte. Solche Dinge passieren. Die Geschichte als solche ist natürlich erfunden, aber was ihr zugrundeliegt, das ist alles wahr. Mit Rohypnol wollte ich aktuelle Probleme thematisieren, und nicht schockieren um des Schockierens willen. Ich wollte die Leute dazu bringen, darüber nachzudenken, aus welchen gesellschaftlichen Umständen heraus solches Handeln entsteht. Rohypnol ist kein Psychothriller, es ist vielmehr ein Buch über die sich ändernden Werte in unserer Gesellschaft. Darüber, wie und warum die Dinge so weit gekommen sind. Das Buch zwingt einen, darüber nachzudenken, warum das so passiert, und führt nicht einfach eine verstörte Seele vor. Ganz im Gegenteil. Diese Typen, um die es geht, sind an sich überhaupt nicht verstört, sie haben alles, sie haben überhaupt keinen Grund, die Welt, in der sie leben, zu hassen. Und doch wollen sie mehr. Sie wollen sich nehmen, was sie nicht bekommen können. Sie handeln ohne Gnade und ohne Überlegung.

»Rohypnol« ist ein erschreckendes, schockierendes Leseerlebnis. Was ist das Ziel des Buches, gibt es eine Botschaft, die Sie dem Leser mitgeben wollen? Ist es Ihre Absicht, die Leser abzuschrecken, wollen Sie, dass sie sich schlecht fühlen?
Andrew Hutchinson: Ich habe einmal ein Interview mit dem französischen Regisseur Gaspar Noe gelesen. Seine Filme sind sehr drastisch und hart und er wurde kritisiert, er habe Gewalt eingesetzt, um Schockeffekte zu erzielen. Er antwortete darauf, dass es durchaus seine Absicht gewesen sei, den Betrachter zu schockieren, denn dies sei die Realität. Er sagte, er ärgere sich, wie in Hollywoodfilmen Gewalt verherrlicht wird – wenn beispielsweise in Pulp Fiction jemand umgebracht wird, jubelt das Publikum. Actionfilme tun so, als sei es ein aufregender Spaß, Menschen umzubringen und zu verstümmeln. Es ist kein Spaß und es ist nicht aufregend, es ist entsetzlich. Noe sagt, wenn er Gewaltakte schildert, sollen sie unbehaglich, abscheulich und erschreckend sein, so wie sie tatsächlich sind. Er will sein Publikum genau in diese Situation bringen und zeigen, dass Gewalt niemals eine akzeptable Möglichkeit ist. Genau das ist auch meine tiefe Überzeugung. Ich bin mit Gewalt in Berührung gekommen, und alles, an was ich mich erinnern kann, ist Herzrasen und dass ich weit weg wollte, bevor es noch schlimmer wurde. Es ist kein Vergnügen zuzuschauen, wenn Menschen zusammengeschlagen werden. Es ist kein Spaß, jemanden bewusstlos auf dem Gehweg liegen zu sehen. Genauso wird Gewalt in Rohypnol dargestellt. Immer wenn ein Gewaltakt geschildert wird, ist das unangenehm. Der Leser soll wollen, dass es aufhört, er soll an Flucht denken, raus wollen aus dem Raum oder der Situation. Ich habe mich sehr bemüht, die Angst und die Beklemmung solcher Situationen einzufangen. Ich hätte das abmildern können, aber das wäre nicht fair gewesen gegenüber dem Leser, der die Situation ja genau so erleben soll. Meine Intention war es, eine ehrliche und erschütternde Geschichte zu schreiben, die ihren Charakteren und ihren Handlungen treu bleibt. Ich wollte ein ernsthaftes und direktes Bild der Gesellschaft zeichnen, über das die Menschen nachdenken sollten. Es gibt verschiedene Gründe, warum so schreckliche Dinge passieren, wie ich sie in Rohypnol beschrieben habe, ich hoffe, der Roman weitet den Horizont seiner Leser und lässt sie über die Ursachen solcher Gewaltakte nachdenken.

Die Jugendlichen in Ihrem Roman sind typische Mittelklasse-Kids, sie kommen aus behüteten, ordentlichen Familien und haben keine finanziellen Sorgen. Was fehlt ihnen, was versuchen sie durch ihre Gewalttouren zu kompensieren?
Andrew Hutchinson: In meiner Vorstellung haben diese Kids immer alles bekommen, sie haben nie erlebt, was Entbehrung ist oder sich für etwas abstrampeln müssen, sie kennen keine Krise oder Druck, sie sind ihr ganzes Leben mit dem Löffel gefüttert worden… Ich glaube, dass das typisch ist für einen Großteil der heutigen Generation, das hat der Fortschritt mit sich gebracht, die Kids haben es leichter als je zuvor. Das ist in gewisser Hinsicht natürlich ein erstrebenswertes Ziel, aber wenn wir unseren Kindern immer mehr geben, einfach alles, was sie sich wünschen oder fordern, dann wird es irgendwann einen Punkt geben, an dem sie das als selbstverständlich voraussetzen. Aber was passiert, wenn sie darauf stoßen, dass es Dinge gibt, die man nicht hergeben kann und die sie sich nicht einfach nehmen können? Wie erklärt man das? Es ist vorstellbar, dass diese Kids Wege finden, das zu umgehen und zu bekommen was sie wollen.

»Rohypnol« ein Buch über Jugendgewalt in Australien? Haben Sie in die Handlung Ihres Romans Lokalkolorit eingebaut, gibt es einen speziellen Bezug zu einer Stadt in Australien, wie Cranberry, Sydney, Melbourne?
Andrew Hutchinson: Der Geschichte liegen meine persönlichen Erlebnisse nachts in Melbourne zugrunde, das ist auch der Handlungsort im Buch. Aber die Typen, die ich beschreibe, gibt es in jeder größeren Stadt der westlichen Welt.

Hugh Jackmann hat die Filmrechte zu »Rohypnol« gekauft, und Sie schreiben das Drehbuch. Wie ist das, zu seinem eigenen Roman das Drehbuch zu schreiben? Ein Kinderspiel?
Andrew Hutchinson: Das hatte ich mir ehrlich gesagt viel einfacher vorgestellt, als es dann tatsächlich war. Drehbücher sind eigentlich einfacher als Romane, denn sie enthalten ja nur Anweisungen für die Schauspieler, was sie tun müssen. Es gibt keine langen Beschreibungen. Dafür muss man die Geschichte auf das Wesentliche zusammendampfen und die ganze Emotionalität und die Feinheiten im Bild zeigen. Alles, was passiert, muss zu sehen sein, alles hängt von den Dialogen ab.

Sie sind 29 Jahre alt und haben mit Ihrem Roman-Debüt Rohypnol auf Anhieb Erfolg gehabt. Hatten Sie überhaupt damit gerechnet, einen Verlag zu finden?
Andrew Hutchinson: Ich hatte keine Vorstellung, was passieren könnte – das geht mir zum Teil noch heute so. Ich habe schon immer geschrieben, meist Geschichten, auch ohne jede Aussicht auf Veröffentlichung. Mit 20 habe ich beschlossen, hauptberuflich Schriftsteller zu werden und von dem zu leben, was mir am meisten Spaß macht. Ich habe das gemacht, ohne mich für die geschäftliche Seite zu interessieren, ich habe einfach geschrieben und das Beste gehofft.

Welche sind Ihre Lieblingsautoren – und welche Ihre größten Vorbilder?
Andrew Hutchinson: Ich lese unzählige Romane und möchte keine Lieblingsautoren auswählen, weil ich viele verschiedene Texte ganz unterschiedlicher Autoren mag. Aber ich kann sagen, was mich beim Schreiben von Rohypnol beeinflusst hat: Fight Club von Chuck Palahniuk, Zwölf von Nick McDonnell, Reasons to Live, ein Erzählungsband von Amy Hempel, Jesus' Sohn von Denis Johnson und, auch wenn das komisch klingt, The Curious Incident of the Dog in the Night Time von Mark Haddon.

Sie gehören zur Generation der Kids, die mit dem Computer aufgewachsen sind, Sie sind aktiv im Netz und haben bei MySpace einen Blog. Wie schreiben Sie Ihre Texte? Flott in den PC gerappt?
Andrew Hutchinson: Ich schreibe tatsächlich fast alles zuerst mit der Hand. Die Überarbeitungen schreibe ich dann alle auf dem Computer, aber anfangen muss ich handschriftlich. Ich glaube, ich kann meine Gedanken auf diese Weise besser fassen, mit der Hand zu schreiben, entspricht dem Fluss meiner Gedanken. Fast alle meine ersten Texte habe ich mitten in der Nacht geschrieben, in einem kleinen Zimmer, und mich dabei bemüht, mit meinem Gekritzel und Getippe meine Mitbewohner nicht zu wecken. Ich schreibe gern nachts, wenn ich allein bin und alles ruhig ist.

„Ein gnadenloser Roman in der Tradition von 'Clockwork Orange' und 'Fight Club'.“
SYDNEY MORNING HERALD