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SPECIAL zu »Boardwalk Empire« von Nelson Johnson

Berni Mayer
© Erik Weiss
Berni Mayer schreibt an der Fortsetzung seines Kriminalromans Black Mandel, in der wieder der Ex-Musikjournalist und Now-Detektiv Max Mandel die Hauptrolle spielt. Und er übersetzt parallel Boardwalk Empire – Aufstieg und Fall von Atlantic City, das als Vorlage für die gleichnamige HBO-Serie diente. Manchmal weiß er selbst nicht genau, an welchem Projekt er gerade sitzt. Macht aber nix.
Ungefähr zur selben Zeit als ich Nelson Johnsons Buch Boardwalk Empire – Aufstieg und Fall von Atlantic City angefangen habe zu übersetzen, recherchierte ich für meinen nächsten Mandel-Krimi ein bisschen in Sachen niederbayerische Gastro-Mauschelei und Volksfest-Korruption herum. Es ging um die Vergabe eines Festzeltes auf dem Straubinger Gäuboden-Volksfest, und mein Vater hatte mir diverse Artikel aus Lokalzeitungen, versehen mit seinen Kommentaren, zur Verfügung gestellt. An manchen Tagen war ich mir nicht mehr sicher, ob ich jetzt gerade Nelson Johnsons Buch oder die Notizen meines Vaters las, denn beide beschrieben dieselben gnadenlosen und kuriosen Mechanismen einer durch und durch opportunistischen Gesellschaft, die sich in ihrem Bereicherungswahn selbst genügt.

Der Opportunismus ist auch das eigentliche Thema von Johnsons Buch. Es ist weniger ein Buch über die realen Hintergründe der HBO-Serie Boardwalk Empire, als ein Buch über Amerika, »the land of opportunity«, und darüber, wie nah raubtierhafter Egoismus und Gemeinwohl zusammenliegen können. Wenn Nucky Johnson, der Patron von Atlantic City, im cremefarbenen Anzug mit roter Nelke im Revers die Einwohner seiner schwarzen Gettos für ihn zur Wahl antanzen lässt, teilweise dreimal am Tag, dann hat das nicht nur Erdrutschsiege für seine Republikanische Partei zur Folge, sondern auch Verpflegung, Heizung und ärztliche Betreuung für die afroamerikanische Gemeinde in den brutalen Wintern an der Südküste New Jerseys. Wenn eine ganze Stadt auf der Prämisse aufgebaut ist, Touristen auszunehmen, Schnaps, Huren, Pferdewetten und Lotterietickets zu verkaufen und diese Prämisse zur Not mit Waffengewalt verteidigt, dann hält das die Bürger nicht nur im Wohlstand, sondern auch zusammen. Durch eine niedere Moral entsteht wiederum eine höhere, ein sozialer Zusammenhalt.

Diese anarchistische Festung da unten an der Küste New Jerseys muss man für ihre Widerstandsfähigkeit und ihre Schamlosigkeit beinahe bewundern. Die Gesetze sind ihr scheißegal, dank des großen Geldes wird die Regierung nach Gusto manipuliert. Sicher wäre es ganz im Sinne Nucky Johnsons, wenn man ihn als den schneidigen Geschäftsmann überlieferte, der selbst im Angesicht nationalen moralischen Widerstands der scheinheiligen und logistisch völlig irrsinnigen Prüderie der Prohibition trotzt, aber er ist eben auch ein gemeiner, hinterhältiger, hedonistischer Saukopf, und am Ende ein ganz profaner Verbrecher. Dass er irgendwann zu Fall gebracht wird, ist allerdings nicht als Happy End zu verstehen, sondern nur als eine Art Evolutionsmechanismus unter Opportunisten. Es kann unter ihnen keinen Sieger geben, weil als Opportunist immer schon ein anderer Opportunist hinter einem steht, um einen zu rupfen, ob das nun ein krankhaft ehrgeiziger FBI-Agent ist, ein Mafiaboss aus New York oder der eigene Nachfolger. Im Opportunismus liegt eigentlich die typischste menschliche Eigenschaft: die Angst, gegen den Strom zu schwimmen, die Angst, den Anschluss zu verlieren. Eine Meinung zu haben und dafür die Konsequenzen zu tragen. Auf dieser Angst fußen Regierungen, Kriminelle und Volksfestausschüsse.

Hirnschwache Anti-Amerikanisten mögen die schier unglaublichen Korruptionsfabeln aus Nelson Johnsons Buch als typisch für das amoralische Emporkommen der amerikanischen Wirtschaftsgesellschaft abtun, aber sie könnten falscher nicht liegen. Wenn man sich anschaut, mit welchen Tricks, Falschaussagen, Übervorteilungshinterfotzigkeiten und opportunistischen Gewalttätigkeiten ein Festzelt in Niederbayern vergeben wird, kann man nur folgern, dass die Geschichte Atlantic Citys die menschlichste und überregionalste aller Geschichten ist, nämlich die des Opportunismus. Und dass alles, was hochkommt,
irgendwann zwangsweise untergeht, und das ist ja in jeder Hinsicht beruhigend, weil es beweist, dass der Opportunismus am Ende eh nichts bringt, weder in Atlantic City noch im niederbayerischen Straubing.
Berni Mayer

Boardwalk Empire

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