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Special zu Paul Cleave und seinen Thrillern

Paul Cleave über »Opferzeit« - Trailer

Fortsetzung des Spiegel online-Bestsellers »Der siebte Tod«.

Die Einwohner der Neuseelandmetropole Christchurch sind aufgebracht. Ein Jahr nach der brutalen Mordserie, die ihre Stadt erschütterte, beginnt der Prozess um den berüchtigten Schlächter von Christchurch. Doch Joe, der scheinbar grenzenlos naive Serienmörder, beteuert nach wie vor seine Unschuld. Unterdessen zieht sich die psychopathische Melissa X einen neuen Killer heran, um Joe, mit dem sie einst eine unheilige Liaison einging, zu töten. Christchurch droht eine Apokalypse des Todes ...

Paul Cleave über »Opferzeit«

Joe ist zurück!

Als ich 1999 Der Siebte Tod schrieb, hatte ich ein anderes Ende im Sinn – Joe sollte mit seinen Taten ungeschoren davonkommen. Er sollte sich in Melissa verlieben und den Drang zu Töten verlieren. Der letzte Satz im Buch lautete so ungefähr: „Aber wer weiß, vielleicht trennen wir uns irgendwann ja wieder.“

2005 gelang es mir, das Manuskript in Neuseeland zu verkaufen. Fünf Jahre lang hatte ich an verschiedenen Fassungen gearbeitet – doch in jeder Version kam Joe schließlich davon. Die Lektoren von Random House wollten jedoch ein anderes Ende: ich sollte mir überlegen, ob ich Joe nicht sterben lassen sollte. Ich dachte darüber nach, kam aber zu dem Schluss, dass ich Joe viel zu gerne hatte. Also einigten wir uns auf einen Kompromiss, und ich schrieb das Ende, das Sie alle kennen. Joe landete im Gefängnis – was eine Fortsetzung natürlich unmöglich machte. Was wäre das auch für ein Roman geworden, in dem Joe nur in seiner Zelle sitzt und die Wand anstarrt?
Der Siebte Tod erschien, danach folgten weitere Bücher, und in diesen Büchern erinnerte ich die Leser immer daran, dass Joe noch im Gefängnis saß. Viele Leute schrieben mir Mails, in denen sie fragten: „Wann kommt endlich die Fortsetzung von Der Siebte Tod? “Nun, ich hatte einfach zu viel Angst davor, eine Fortsetzung zu schreiben – die Leute mochten Joe, und wenn ich Joe keine spektakuläre Rückkehr ermöglichte, würden sie mich hassen.

Im letzten Sommer war ich wieder in Neuseeland – und zum Jahreswechsel 2011/2012 wollte ich mit dem Roman für 2013 beginnen. Das Haus des Todes, das 2012 erscheinen sollte, war fertig, und wieder dachte ich an die vielen Leute, die mich wegen der Fortsetzung zu Der Siebte Tod angemailt hatten, an die vielen Menschen, die mich auf Lesungen und Literaturfestivals dasselbe gefragt hatten, und plötzlich, wie aus heiterem Himmel, wusste ich, dass die Zeit reif dafür war. Ich wollte diese Fortsetzung schreiben. Ich musste sie schreiben. Langsam nahm der Roman Gestalt an.
Opferzeit wurde zum Großteil im Sommer 2012 geschrieben. Ich saß mit Joe und Melissa und Schroder in meinem von Erdbeben durchgeschüttelten Haus. Es machte großen Spaß, wieder in Joes Gesellschaft zu sein, und die Arbeit ging mir leicht von der Hand. Ich schrieb aus Joes Perspektive, und Melissa und Schroder bekamen ihre eigenen Kapitel, und mit einem Mal begriff ich, dass der Roman viel besser wurde, als ich mir je zu träumen gewagt hätte. Tatsächlich möchte ich behaupten, dass es das beste Buch ist, das ich je geschrieben habe.
Ihre E-Mails haben Joe zurückgebracht – deshalb ich möchte mich, auch im Namen von Joe, bei Ihnen, den Lesern, für seine Rückkehr bedanken …


Interview zu »Opferzeit«

Paul Cleave im Gespräch

Paul Cleave
© Markus Naegele
Mr. Cleave, warum haben Sie mit »Opferzeit« jetzt die Fortsetzung zu Ihrem Romandebüt »Der siebte Tod« geschrieben?
Paul Cleave: Ich habe »Opferzeit« für meine Fans geschrieben. Sie sind mir so viele Jahre treu geblieben und haben immer wieder nachgefragt, wann Joe, der Serienkiller aus »Der siebte Tod«, endlich zurückkommt. Ich wollte ihnen diesen Wunsch gerne erfüllen. Ich habe mich schnell wieder in Joe hineindenken können:Mir hat das Schreiben von »Opferzeit« wirklich einen Heidenspaß gemacht. Der Zeitpunkt war perfekt, weil ich gerade meinen Thriller »Das Haus des Todes« fertig geschrieben hatte und meinem Verlag die nächste Romanidee vorschlagen sollte. Ich wusste, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für »Opferzeit« gekommen war.

Joe ist ein Serienkiller, den jeder gut leiden kann – trotz seiner grauenvollen Taten. Wie kamen Sie auf die Idee, über so jemanden zu schreiben?
Paul Cleave: Das ist lange her, lange bevor »American Psycho« auf den Markt kam, und fünf oder sechs Jahre vor »Dexter«. Ich hatte bis dahin noch nie von einem Buch gehört, das aus der Sicht eines Serienkillers geschrieben war und fand die Idee neu und toll. Ich wusste, dass das Entscheidende war, diesen fiesen Typen so sympathisch zu machen, dass die Leser ihn mögen. Sonst wäre das Buch zu deprimierend geworden und keiner hätte mehr als ein paar Kapitel gelesen. Ich brauchte jemanden, über den man sich lustig machen kann obwohl er die Charakterzüge eines Serienkillers hat. Ich habe dieser Figur Sinn für Humor gegeben und eine Mutter, die meiner nicht unähnlich ist (aber auch nicht zu ähnlich). Das Ergebnis ist Joe.

Melissa X ist Serienkillerin und spielt sowohl in »Der siebte Tod«, als auch in »Opferzeit« eine wichtige Rolle. Sind Frauen gefährlicher als Männer?
Paul Cleave: (lacht) Wenn ich das beantworte, bekomme ich wirklich Probleme ...

Mr. Cleave, Sie sind aus Neuseeland. In Ihren Büchern ist Christchurch (wo Sie die meiste Zeit des Jahres leben) fast ein Teil der Handlung. Inwieweit haben die schrecklichen Erdbeben (besonders im Jahr 2011), die Christchurch erschütterten, Ihr Leben verändert?
Paul Cleave: Bislang hatten die Erdbeben keinen Einfluss auf meine Bücher, aber dafür umso mehr auf mein Leben. Diese Erdbeben haben unsere Leben auf den Kopf gestellt. Seit zwei Jahren fürchten wir, dass sie sich wiederholen könnten. Wir haben Angst, dass unsere Häuser in sich zusammenfallen und keiner traut sich mehr, nahe an hohen Gebäuden entlang zu gehen. Die Innenstadt wird renoviert und wieder aufgebaut. Man bekommt Angst um die Menschen, die man liebt. Es war eine schreckliche Zeit und für manche hat sich das noch nicht wirklich geändert, weil sie immer noch kein neues Zuhause haben. Mein eigenes Haus wurde schwer beschädigt, und der aktuelle Stand ist, dass die Renovierungsarbeiten im August beginnen werden. Das sind fast drei Jahre nach dem ersten schweren Erdbeben. Ich erinnere mich daran, wie ich einige Journalisten durch die Stadt geführt habe, um ihnen die Orte zu zeigen, die ich in meinem Buch beschrieben habe. Sie haben viele Fotos von mir und den Gebäuden gemacht – und zwei Tage später war alles kaputt.

Was inspiriert Sie?
Paul Cleave: Ich habe Glück, denn ich liebe es einfach zu schreiben. Ich unterhalte Menschen gerne, oder versuche es zumindest. Am allermeisten mag ich es, Leute zum Lachen zu bringen. Mein Beruf bringt es mit sich, genau das jeden Tag aufs Neue zu versuchen. Daher ist mein Beruf in sich bereits meine größte Inspirationsquelle. Außerdem genieße ich es, meine Fans zu treffen und Bücher zu signieren. Manchmal erzählen mir Leute, dass sie jahrelang überhaupt nicht gelesen haben und erst durch meine Bücher wieder zum Lesen zurück gefunden haben. Wenn ich ehrlich bin, dann höre ich das sogar ziemlich oft, und ich empfinde es als eine große Ehre, dafür verantwortlich zu sein.

Können Sie sich ein Leben ohne Musik vorstellen?
Paul Cleave: Nein, ohne Musik geht bei mir nichts. Ich höre ständig Musik. Ich habe eine Anlage im Schlafzimmer, eine im Esszimmer, eine in meinem Büro und eine im Bad. Ich schlafe mit Musik ein. Ich schreibe mit Musik im Hintergrund. Eigentlich tue ich praktisch nichts ohne Musik. Wenn ich schreibe, drehe ich die Musik auf und singe laut. Ich muss Sie warnen, Sie wären nicht gerne in meiner Nähe, wenn ich singe. Ich bin zweifellos der schlechteste Sänger auf der ganzen Welt. Wenn ich loslege, rennen meine Katzen nach draußen. Ich habe außerdem gerade angefangen, Gitarrenstunden zu nehmen. Ich höre viel Springsteen, The Doors, The Rolling Stones, David Bowie, Arcade Fire, The Killers – diese Art von Musik.

Gibt es etwas, was Ihnen richtig Angst macht?
Paul Cleave: Alt zu werden. Das ist meine größte Angst – und gleichzeitig passiert natürlich genau das. Es ist eine dumme Angst, aber ich kann es einfach nicht ändern. Ich habe Angst, dass mir die Haare ausfallen. Ich habe Angst, dass weitere Erdbeben noch mehr Menschen verletzen. Und ich habe Angst, dass die Menschen eines Tages aufhören werden, meine Bücher zu mögen.

Wird Joe eines Tages in der Hölle landen?
Paul Cleave: Vielleicht. Ich kann nicht zu viel verraten. Sie müssen das Buch erst lesen, weil ich nichts über Joes Schicksal preisgeben möchte. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass Joe dem Teufel viel Freude machen wird, falls er sich eines Tages in der Hölle wiederfinden sollte.

Ihre deutschen Fans sind schon sehr auf das neue Buch gespannt – kommen Sie selber vielleicht auch bald wieder nach Deutschland?
Paul Cleave: Aber sicher! Noch in diesem Jahr ... sogar schon im Oktober, wenn mein Buch auf den Markt kommt ...


Steckbrief über Joe

»Ich heiße Joe. Ich bin ein netter Kerl.«

Sternzeichen - Schütze
Größe – 1,73 Meter
Geschlecht – bekommt viel Aufmerksamkeit
Aussehen - nordeuropäisch
Körperstatur – normal
Kinder – mag ich nicht
Schulbildung – Abitur
Religion – Ich würde ja gerne an Gott glauben, aber er macht es mir schwer.
Raucher – nein
Alkoholkonsum – nur zu besonderen Ereignissen


Wer bin ich?
Ich heiße Joe. Ich bin ein netter Kerl. Ich war noch nie verheiratet, habe keine Kinder, und ich war noch nie verliebt. Zumindest nicht so richtig. Oder halt, vielleicht doch … einmal. In eine Frau, die mir ziemlich wehgetan hat, aber ich habe schon lange nichts mehr von ihr gehört.
Ich habe Abitur gemacht, aber nicht studiert. Ich wusste lange nicht, was ich einmal werden möchte, und ehrlich gesagt, weiß ich es immer noch nicht. Ich bin auf der Suche. Während ich suche, wünsche ich mir eine besondere Frau an meiner Seite.
Zurzeit stehe ich zwischen zwei Jobs. Bis jetzt war ich Hausmeister. Ich weiß, das klingt jetzt nicht wirklich aufregend. War es auch nicht. Aber ich habe meinen Job gerne gemacht, und meine Kollegen waren nett. Ich habe mir nun ein Jahr Auszeit genommen, aber ich denke, dass ich bald nach Christchurch zurückkommen werde.

Die perfekte Frau
Ich suche eine sanfte, treue, fürsorgliche Frau mit einer tollen Persönlichkeit. Sie muss wirklich lustig sein und über sich selber lachen können. Außerdem muss sie sehr entspannt sein, denn ich hasse es, zu streiten. Ich gehe nicht ins Fitnessstudio, aber ich bin durchaus fit – ich bin weder dick noch dünn. So ein typischer Durchschnittstyp. Insofern wäre es gut, wenn du nicht zu fett bist.
Ich würde gerne eine Frau kennenlernen, die mich zum Lachen bringt, die intelligent ist, Haustiere liebt (ganz besonders Fische), mit meiner Mutter gut auskommt, gerne am Strand spazieren geht und sich an mich kuschelt, wenn wir einen Film gucken. Ich weiß, dass sich das ziemlich klischeehaft anhört, aber das Herz fühlt nun mal, was es will. Die perfekte Frau hat im Idealfall genauso ein Faible für Liebesgeschichten wie ich. Und sie muss wahnsinnig tolle Brüste haben.

Das ideale erste Date
Ich würde dich irgendwo ganz weit weg von allem hinfahren. Und es wäre ein Geheimnis, damit niemand weiß, wo wir gewesen sind.

Musik
Ehrlich gesagt bedeutet mir Musik nicht viel. Manchmal habe ich einen Ohrwurm, aber selbst dann kann ich nicht sagen, wer das singt oder wie die Band heißt. Ich mag „Thriller“, aber hauptsächlich wegen dem Video.

Lieblingsfilm
“Die Verurteilten”

Bücher
Romantische Liebesgeschichten jeder Art. Meine Mama erzählt mir dauernd von einem Buch namens “Shades of Grey”, aber dort, wo ich jetzt bin, kennt es keiner. Sie sagt, dass sie und ihr Freund Walt davon einige Sachen ausprobiert haben, woraus ich schließe, dass es in dem Buch um alte Paare geht, die Picknicks veranstalten und Wein trinken.

Weitere Interessen
Ich mag Brettspiele, aber ich hasse Puzzles, obwohl ich mit Vorliebe versuche, Geheimnisse aufzuklären. Ich sitze gerne vor dem Fernseher. Einige gute Serien gucke ich zusammen mit meiner Mutter. Außerdem gehe ich gerne nachts durch die Stadt und beobachte Menschen.

Zusammenfassung
Ich stehe mit beiden Beinen im Leben und versuche nicht vorzutäuschen, jemand anderes zu sein. Ich will jemanden zum Liebhaben finden und will so geliebt werden, wie ich bin. Nämlich als Joe.


Aus dem Tagebuch eines Serienkillers I

Liebes Tagebuch,

Mein Name ist Joe. Ich wurde gerade verhaftet und werde bald für eine ganze Reihe von Verbrechen angeklagt. Es heißt, ich hätte haufenweise Leute umgebracht, aber ich wüsste nicht, wie das jemand mit Sicherheit sagen kann. Niemand kann sich vorstellen, dass ich ein Mörder bin. Alle halten mich für einen netten Kerl. Den nettesten Kerl überhaupt.
Heute tut mir mein Gesicht weh. Als hätte eine Katze ihre Krallen in meinen Augapfel gerammt und würde jetzt fest daran reißen, als würde sie mir die Haut bis zum Mund hinunter aufschlitzen. Ich habe eine Augenklappe und einen Verband auf dem Kopf und über einer Gesichtshälfte. Der Arzt, der mich operierte, sieht so aus, als hätte er selbst einen chirurgischen Eingriff hinter sich – als hätte man ihm die Gesichtshaut abgezogen, gewaschen und so heiß gebügelt, dass sie etwas eingegangen ist, bevor man alles wieder angenäht hat. Seinen Namen habe ich vergessen, aber jedes Mal, wenn er mich ansieht, starrt er mich ein paar Sekunden zu lange an, und dann glaube ich, dass er sich eine Zukunft mit mir vorstellt – eine Zukunft, in der Peitschen und Isolierband und ein verlassener Kellerraum des Krankenhauses eine gewisse Rolle spielen. Später wird er mir den Verband abnehmen und mir zeigen, wie die Operation verlaufen ist. Wenn er Mist gebaut hat, werde ich ihn eines Tages zu Hause besuchen und ein bisschen an ihm herumoperieren, nur so als Revanche. Morgen früh werde ich dann der Polizei ausgeliefert. Anscheinend soll ich bis zum Prozessbeginn ins Gefängnis wandern. Sie werden mich rund um die Uhr beobachten, damit ich mich nicht selbst umbringe. Aber alle sagen mir so viele Sachen, dass ich überhaupt nicht mehr weiß, was ich noch glauben soll – aber bestimmt nicht das, was sie mir da erzählen. Prozesstermine und Gefängnisaufenthalte und Verhöre gehören nämlich nicht zu meinen Zukunftsplänen. Unmöglich. Ich hasse Krankenhäuser, und diese Erfahrung eben hat mich nicht gerade vom Gegenteil überzeugt. Vielleicht wäre es etwas anderes, wenn die Schwestern hübscher wären, sind sie aber nicht. Die Schwestern hier sind keine schmutzige Fantasie – sie würden es niemals in die Träume anderer schaffen, und Typen wie ich würden sie niemals zu Hause besuchen. Sie haben so ernste Gesichter wie einsame Bibliothekarinnen, tragen hässliche Häubchen, haben Bartstoppeln und ihre Körper riechen nach Katzenpisse. Vor zwei Tagen erschien die Polizei vor meinem Haus und hat mich mitgenommen. Sie nennen mich den Christchurch Carver, obwohl ich ständig beteuere, dass sie den Falschen haben, aber mir hört ja keiner zu. Wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich alles aufklärt und mich wieder alle für den Freundlichen Joe halten, den etwas beschränkten Joe mit dem breiten Lächeln, eine der vielen einfachen Putzkräfte dieser Welt. Im Moment liege ich im Krankenhaus, mein Gesicht ist von meinem Selbstmordversuch etwas lädiert, und nichts davon trifft auf mich zu – ich bin nur Joe, ein Opfer, dem ein Augenlied fehlt und dem das Etikett „Serienkiller“ aufgedrückt wurde. Manchmal sind die Leute echt gemein. Meine Hände sind mit Handschellen an das Bett gefesselt. Genau wie meine Füße. Ständig sind zwei bewaffnete Polizisten in meinem Zimmer. Manchmal machen sie mir eine Hand los, damit ich in eine große Plastikflasche pinkeln oder das Kreuzworträtsel in der Zeitung lösen oder ein Geständnis schreiben kann – obwohl ich gar nicht weiß, was ich überhaupt gestehen soll. Detective Inspector Schroder scheint fest davon überzeugt, dass ich einen Haufen Leute ermordet habe, aber woher will er das wissen? Kann er gar nicht. Er vermutet es nur, aber bald wird er begreifen, dass ich zu nett für einen Mörder bin, und dann werden sie mich freilassen, und das ganze Zeug über Verhandlungen und Gefängniszellen und so weiter war nur leeres Gerede. Wenn ich nur ans Gefängnis denke, würde ich mich am liebsten umbringen. Wenn ich mich nicht aus dieser Sache rausreden kann, werde ich mir ein Bettlaken um den Hals binden und mich erhängen. Morgen wissen wir mehr. Heute wird mir der Arzt die Verbände abnehmen. Mal sehen, was mich da erwartet.


Aus dem Tagebuch eines Serienkillers II

Liebes Tagebuch,

Ich bin jetzt seit über einem halben Jahr im Knast und ich weiß nicht, was mich zuerst umbringen wird – ein Mitgefangener, ich mich selbst oder die Langeweile. In ein paar Tagen ist Weihnachten. Ich habe dem Weihnachtsmann einen Brief geschrieben – wenn es Geister gibt, könnte es ja auch den Weihnachtsmann geben, oder? Das hoffe ich zumindest – ich habe ihn nämlich gebeten, mich hier rauszuholen.
Mein Anwalt ist verschwunden. Nicht nur, dass er mich nicht mehr im Gefängnis besucht, er ist einfach nicht mehr da. In den Nachrichten heißt es, dass er Todesdrohungen erhielt, weil er mich verteidigte. Mein zweiter Anwalt ist nicht verschwunden – er wurde tot aufgefunden. Ihm haben sie ebenfalls gedroht. Also bin ich jetzt bei meinem dritten Anwalt. Das ist okay, die ersten beiden hielten mich sowieso für schuldig. Jetzt kann ich nochmal erklären, dass ich nichts getan habe und das eigentliche Opfer bin.
Freunde habe ich mir hier nicht gemacht, soweit würde ich nicht gehen, aber immerhin kann ich mich mit ein paar Leuten unterhalten. Komischen Leuten. Die meiste Zeit verbringe ich mit Weihnachtsmann-Kenny. Er behauptet, wir wären „BFs“. Hat jedenfalls ein anderer Gefangener behauptet. Ich wusste erst nicht, wofür BF steht – ich dachte schon, das heißt Blasefreunde, denn so was kommt hier gar nicht so selten vor, da muss man aufpassen. Eigentlich heißt es Beste Freunde. Klingt aber so oder so ziemlich schwul.
Meine Mutter hat mich besucht. Sie sagt, dass sie jetzt einen Freund namens Walt hat. Walt kennt sie noch von früher, hat ihn aber bis letztes Jahr aus den Augen verloren. Walt ist ein so hässliches Accessoire, dass meine Mutter vergleichsweise gut aussieht, wenn sie ihn am Arm hat. Hoffentlich komme ich nicht eines Tages nach Hause und muss erfahren, dass sie ihn geheiratet hat. Über den Prozess reden wir nicht – stattdessen reden wir über die Verwandtschaft, das Wetter und das Fernsehprogramm. Komischerweise interessiert mich all das ungemein. Ich hänge an ihren Lippen. Sie ist meine einzige Verbindung zur Außenwelt. Noch komischer ist, dass ich mich auf ihre Besuche freue. Das ist ja wohl Beweis genug, dass ich nicht mehr Herr meiner Sinne bin. Gestern hat sie mir mein Weihnachtsgeschenk vorbeigebracht und gesagt, dass es gleichzeitig mein Geburtstagsgeschenk ist, weil sie es vor ein paar Wochen vergessen hat. Schon komisch – im Gefängnis war mein Geburtstag genauso ein Scheißtag wie alle anderen.
Heute hat mich Detective Schroder besucht. Zurzeit sieht er ziemlich fertig aus. Vor ein paar Tagen war er in den Nachrichten – anscheinend ermittelt er in einem Banküberfall, der schiefgelaufen ist und bei dem ein paar Leute draufgegangen sind, aber das interessiert mich nicht. Wieso auch? Er hat nach Melissa gefragt. Alle paar Wochen kommt er vorbei, um sich zu erkundigen, ob ich meine Meinung nicht geändert hätte. Aber ich werde ihm nicht helfen, was immer er mir auch als Gegenleistung anbietet. Wenn die Verhandlung vorbei ist und ich ein freier Mann bin, dann hilft es mir ja nichts, wenn Melissa dafür im Knast sitzt.
Ich kann es kaum erwarten, sie wiederzusehen.
Übrigens, der Geist macht mir nicht mehr so viel aus. Er ist noch da, aber inzwischen habe ich mich an ihn gewöhnt. Erst dachte ich, er will mir etwas sagen, aber er steht einfach nur da, wo er immer steht. Das ist zwar lästig, macht mir aber keine Angst mehr. Vielleicht ändert sich das, wenn er mir irgendwann erzählt, was er will. Irgendwie ist es sogar ganz nett, Weihnachten nicht alleine verbringen zu müssen – selbst wenn meine Gesellschaft aus dem Jenseits kommt.