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Banner Andreas Beerlage: Wolfsfährten

Andreas Beerlage: Wolfsfährten – Das Special

Ist in Deutschland Platz für Wölfe?

Irgendwann im Winter 2011/2012 fahre ich nachmittags mit einem ICE von Kassel nach Hamburg, nach einem Familienbesuch in meiner nordhessischen Heimat. In Kassel entstanden Anfang des 19. Jahrhunderts die »Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm«, zu deren bekanntesten das vom »Rotkäppchen« zählt. Der große, böse Wolf frisst das kleine, tapfere Mädchen. Es wird vom Jäger gerettet. Aber wem erzähle ich das, das kennt ja jeder.

Während die von der bereits tief stehenden Nachmittagssonne ausmodellierte Landschaft vor mir vorbeizieht, eine Meditation im Takt der Gleisschwellen, lasse ich meinen Gedanken freien Lauf. Ich liebe diese schwebende Stimmung auf Bahnfahrten. Hinter Hannover aber werde ich irgendwann aus meinen Tagträumen gerissen. Auf einer kleinen Lichtung, vor einem Birkenwäldchen, vielleicht 50 Meter entfernt, steht in voller Breitseite ein großer Hund. Er ist grau, schlank, etwas eleganter als ein Schäferhund, der Rücken untypisch gerade. Zwei, drei, höchstens vier Sekunden sehe ich das Tier da stehen: schön, erhaben, ein Denkmal seiner selbst. Ich bin plötzlich sehr aufgeregt, wie aus dem Nichts davon überzeugt, einen Wolf gesehen zu haben. Ein Moment des blitzartigen Erkennens.

Der Wolf ist, mehr als jedes andere Tier, dem Menschen nah. Weltweit in nahezu allen schamanischen Kulturen war der Wolf zentraler Mittler ins Geisterreich, ein Bruder des Menschen. In unzähligen Mythen rund um die Welt spielt er eine Hauptrolle, von den Märchen ganz zu schweigen. Er geistert durch Werwolfsgeschichten, macht sich im Aberglauben breit.
Zuhause angekommen setze ich mich sofort an den Schreibtisch und starte den Computer. Ich finde schnell Informationen zu einem neu bei Munster in der Lüneburger Heide angesiedelten Wolfsrudel. Die Tiere sind aus dem Osten gekommen, aus der Lausitz. Und haben sich einen Truppenübungsplatz als Heimat auserkoren. Munster kennen Autobahn-7-Fahrer vielleicht vom Hinweisschild des dortigen »Panzermuseums«.

Seit jenem Winter vor etwas mehr als fünf Jahren hat sich viel getan, Deutschland ist inzwischen wieder Wolfsland geworden: Die östlichen Bundesländer sind erobert, Niedersachsen ist genommen, und überall in der Republik kann der Wolf als Nächstes auftauchen. Jetzt steht er vielleicht gerade am Rande des kleinen Waldes, hinter der Stadt, in der Sie wohnen, und lässt seine ausdrucksvollen Augen über die Felder streifen.

Der Wolf ist wieder da – sofort keimt uralte Angst auf. Und uralte Verbundenheit. Denn Zehntausende Jahre lang jagten Wolf und Mensch in der Tundra das gleiche Wild, hin und wieder sogar gemeinsam, sagen Anthropologen. Der Wolf jagte aber auch den Menschen, und umgekehrt. Es war ein Gleichgewicht des Schreckens. Der Wolf ist zurück, als Bote dieser mythischen Vergangenheit. Und er wirft große Fragen auf: Finden wir noch einen Weg, Natur und Wildnis in unser modernes Leben zu integrieren? Ist unser heutiges Verhältnis zur Natur realistisch – oder völlig verlogen? Wie authentisch darf die Natur heutzutage überhaupt noch sein – und wie viel Wildnis wollen wir Menschen dulden? [...]

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