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Anne B. Ragde - SPIEGEL-Bestsellerautorin aus Norwegen

Interview mit Anne B. Ragde

von Kjartan Brügger Bjånesøy, Dagbladet, Oslo

Anne B. Ragde steht mitten im Schweinekoben und redet davon, wie schön es wäre, als Schwein auf die Welt zu kommen. Ein neugeborenes rosa Wesen wird behutsam an ihre Wange gehoben. "Die riechen wie Babys. Sieh mal, so schöne blaue Augen, und solche Wimpern. So klug, so fein, so rein."

Es ist ein ausgesprochen heißer Sommertag in Trondheim. Die Autorin mag eigentlich keine Tage, an denen das Thermometer über 19 Grad klettert, und hat hinten im Wagen ihre mit Limonade gefüllte schwedische Kühltasche liegen. Sie will mit uns nach Byneset fahren, zwanzig Kilometer südwestlich von Trondheim gelegen. Hier spielt die Handlung ihres Romans Das Lügenhaus. Die Geschichte und die Personen gehen nicht nur der Autorin nicht aus dem Kopf. Die Leser waren begeistert, die Presse war sich einig und sprach vom besten Buch, das Ragde je geschrieben hat.

Ragde gewann mit diesem Buch viele neue Leser, die nicht wussten, dass sie früher Bücher geschrieben hat, in denen jede Menge Sex vorkam.

"Ich kann durchaus auf die Idee kommen, Bücher zu schreiben, die die Leser schockieren, die mich durch Das Lügenhaus kennen gelernt haben. Aber mir bricht schon der Schweiß aus, wenn mir Leute erzählen, dass sie jetzt in die Bibliothek gehen und alle meine Bücher ausleihen wollen."

"Sie stehen also nicht zu allen Ihren Büchern?"

"Doch, aber manche Bücher haben eben andere Leser."

Das Lügenhaus handelt vor allem von drei Brüdern: einem Schweinezüchter, der mehr und mehr verwahrlost, einem monotonen Bestattungsunternehmer und einem homosexuellen Schaufensterdekorateur. Es zeigt den Unterschied zwischen Stadt und Land und nimmt sich Themen wie Trauer, Verlust und Zusammengehörigkeit an. Die Autorin identifiziert sich mit dem Schweinezüchter genauso wie mit dem Champagner trinkenden Schwulen, der in Kopenhagen wohnt. Sie liebt Glanz und Glamour und Schweine und abgelegene Gegenden, fühlt sich in der Stadt und auf dem Land gleichermaßen zu Hause. Sie kommt aus der Bauernfamilie Ragde, ihr Großvater hatte einen Hof in Odda. Von ihrem langen, schmalen Haus mitten in Trondheim hat sie in den vergangenen Jahren viele Fahrten nach Byneset unternommen und dabei die Menschen aus der Umgebung beobachtet.

Das landwirtschaftlich geprägte Byneset wurde 1964 nach Trondheim eingemeindet. Jetzt gibt es dort sogar einen Golfplatz mit Blick auf den Trondheimsfjord, einen Golfplatz, wo an einigen Stellen das Gras wild wächst. Die Grundbesitzer weigern sich zu verkaufen oder den Rasen zu mähen.

"Golf in Byneset - so ein Unsinn. Byneset ist so schön, so dicht bei der Stadt gelegen, und es gibt eine fantastische Natur. Die Leute hier in Byneset sind schrecklich neugierig darauf, welchen Hof ich im Buch beschreibe, aber das weiß nur ich."

"Ich glaubte, ich hätte ein Buch geschrieben, das nur wenige anspricht. Ein junges Mädchen fragte mich, als ich gerade mit dem Lügenhaus fertig war, nach dem Rezept für einen Bestseller. ‚Du darfst auf keinen Fall über drei Brüder auf einem Schweinezüchterhof in einem Kaff bei Trondheim schreiben', war meine Antwort."
(Anne B. Ragde in: Metro, Stockholm)


In Byneset biegen wir auf den Hof von Olav Opland (39) ab, wo die Autorin eine Führung organisiert hat. Der Bauer produziert Schweinefleisch, Getreide, Erdbeeren und Holz. Ein Großbauer, ganz anders als der Schweinezüchter, über den Ragde in ihrem Roman schreibt.

"Olav Opland ist ein Bauer, der viel gewagt und viel geschafft hat. Aber die Realität in der norwegischen Landwirtschaft sieht anders aus: überall sieht man heruntergekommene Höfe, für die es keine Rettung gibt, das Erbrecht wird als Last empfunden, Höfe werden aufgegeben, der Boden wird an die Nachbarn verpachtet. Das ist schrecklich traurig."

Bauer Opland kann das nur bestätigen. Er findet sich in Ragdes Beschreibung wieder: "Als ich Das Lügenhaus gelesen habe, habe ich an meine Situation gedacht. Ich musste von einem Tag auf den anderen den Hof übernehmen, als mein Vater plötzlich im Wald zusammengebrochen war. Ich war damals 25. Der Pastor kam, und ich durfte eine halbe Stunde trauern, dann musste ich die Tiere im Stall versorgen. Ich brauchte mich zur Hofübernahme nicht zu entscheiden, ich habe es immer gewusst. Im Jahre 1829 kam mein Urgroßvater aus Rennebu und kaufte diesen Hof - das ist doch eine schöne Vorstellung", sagt er.

Der Bauer serviert Kaffee zu Waffeln mit Erdbeermarmelade, die seine Frau gemacht hat. Die Hofkatze Mona liegt träge in der Sonne, während Anne und der Schweinezüchter über einen Artikel in der Bauernzeitschrift sprechen, über Erbrecht, Zuchtsäue, die Zukunft der Bauern, die EU, Schweinefleisch und den norwegischen Landwirtschaftsminister. Nach Jahren der Recherchen weiß die Autorin, wovon sie redet.

"Ich wollte schon lange ein Buch schreiben, das auf einem Bauernhof spielt, da ich auch meine Wurzeln auf einem Bauernhof habe. Ein Familienbetrieb verpflichtet, es kommt zu unbeschreiblichen Ängsten, wenn niemand ihn übernehmen kann. Nur die königlichen Familien erleben denselben Druck wie Bauern."
(Anne B. Ragde in: Pressens Mediaservice)


"Ich begreife jetzt, dass die Qualität eines Buches davon abhängt, wie gut die Verfasserin das Umfeld kennt, über das sie schreibt", sagt Olav Opland und erzählt, dass er zu Weihnachten mehrere Exemplare von Das Lügenhaus verschenkt hat. "Dein Herz muss für die Landwirtschaft schlagen, damit du diese Bücher schreiben kannst", sagt Ragde.

Doch Anne B. Ragde schreibt nicht nur Romane, sie engagiert sich auch für ihre Schriftstellerkollegen. Sie war neun Jahre lang Mitglied im norwegischen Schriftstellerverband, bis sie schließlich austrat, weil sie dieses System, die Verteilung der Stipendien - jeder Autor erhält gleich viel, egal ob sich seine Bücher gut verkaufen oder nicht, - unsolidarisch fand.

Sie gilt nicht gerade als zurückhaltende Trönderin, und sie steht dazu, dass sie früher für eine Stange Zigaretten Konfirmationslieder geschrieben hat und Pornogeschichten für eine Pornozeitschrift, wenn sie in finanziellen Nöten war. Und natürlich fällt so etwas auf.

"Ich bin keine die provoziert. Ich sage nur, was ich denke, und das provoziert die Leute anscheinend. Aber wenn ich Autoren treffe, die von sich selbst gar zu überzeugt sind, kann ich mich eben nicht beherrschen."

"Schreiben Sie auch noch Erzählungen für Illustrierte?"

"Gerade erst habe ich für Norsk Ukeblad eine Liebesgeschichte geschrieben."

Anne B. Ragde will in den Stall zu den Hunderten von Zuchtschweinen, den vielen neugeborenen Ferkeln, die bald täglich an Gewicht zulegen werden. Der Bauer holt ein Paar Stiefel, in die sie ihre Füße mit den knallroten Zehennägeln schiebt. Es kann sehr leicht passieren, dass diese lebendigen Koteletten mit bis zu 250 Kilo einem auf die Füße trampeln. Der Geruch ist ziemlich kräftig, und Anne B. Ragde lächelt. Sie streichelt die Schweine und applaudiert ihnen. "Ich bin fasziniert von Schweinen, sie lernen so schnell", sagt die Autorin und spricht mit Babystimme mit den Tieren.

Im vergangenen Jahr bekam sie den Riksmålspreis, deshalb gehört sie in diesem Jahr zur Jury und liest alles, was an norwegischer Literatur erscheint. Und was sie liest, gefällt ihr.

"Ich habe es satt, Bildungsromane über junge Knaben zu lesen, die durch den Vorhangspalt zusehen, wie die Nachbarsfrau sich auszieht. Das habe ich ganz einfach satt. Ich bin richtig froh, dass es endlich etwas Neues auf dem Büchermarkt gibt!"

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