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Chuck Palahniuk - Die Kolonie

SPECIAL zu Chuck Palahniuk

"Ich habe eine Million Fragen"

Chuck Palahniuk im Interview

Seit der Verfilmung seines Debüts "Fight Club" ist Chuck Palahniuk das, was man einen Kult-Autor nennt. Auch in seinem Roman "Die Kolonie" bleibt er seinem Strickmuster treu: extreme Charaktere geraten in extreme Situationen.

Ihr Roman "Die Kolonie" ist eigentlich eher eine Kurzgeschichtensammlung die von einer Rahmenhandlung zusammengehalten wird. Die Geschichte: Siebzehn Autoren lassen sich in einem leer stehenden Filmtheater einschließen, um ihr Meisterwerk zu schreiben. Die Kurzgeschichten sind die Werke der eingeschlossenen Schriftsteller. Was war zuerst da, die Kurzgeschichten oder die Rahmenhandlung?

Chuck Palahniuk: Die Rahmenhandlung. Die Geschichte sollte mal ein Theaterstück werden. Die Idee war dabei, dass die Schauspieler auf die Bühne kommen und so tun als wäre das ausverkaufte Theater verlassen und sie würden sich wirklich in dem Gebäude einschließen.

In der Geschichte schneiden sich die Protagonisten Finger ab und essen Neugeborene. Wirklich üble Dinge. Aber irgendwie gehen die Figuren damit um, als wäre das alles völlig normal. Vor was hat eigentlich ein Autor Angst, der solche Sachen schreibt?

Chuck Palahniuk: Ich hasse es, krank zu sein. Ich fürchte mich unglaublich vor jeder Krankheit, die dafür sorgen könnte, dass ich zu Hause bleiben muss.

Wie schon in Ihrem vorigen Roman "Das letzte Protokoll" beschäftigen Sie sich wieder mit der Idee des leidenden Künstlers. Muss man leiden, um große Romane zu schreiben?

Chuck Palahniuk: Ich glaube, dass Menschen Geschichten erzählen, um außergewöhnliche Geschehnisse in ihrem Leben zu verarbeiten. Wenn uns etwas sehr Gutes oder sehr Schlimmes passiert, müssen wir von dem Ereignis erzählen, bis wir es als Teil unserer Persönlichkeit akzeptieren können.

Brauchen Sie selbst auch diesen Impuls zum Schreiben oder sitzen Sie montags bis freitags von neun bis fünf vor dem Computer?

Chuck Palahniuk: Ich schreibe nur, wenn ich eine zwingende Idee in meinem Kopf habe. Es muss etwas so Gutes sein, dass ich nicht riskieren kann, es zu vergessen; das ist das Einzige, was mich dazu bringt mich hinzusetzen und zu schreiben. Bis diese großartige Idee auftaucht, will ich lieber draußen sein, unter Menschen.

Ebenso wie schreckliche Erlebnisse spielen auch merkwürdige Begebenheiten eine wichtige Rolle in ihren Romanen. Was ist das Merkwürdigste was Ihnen jemals passiert ist?

Chuck Palahniuk: Als ich ein Teenager war, heiratete mein Vater seine zweite Frau. Die Zeremonie fand mitten in der Wüste auf dem Dach einer Lok statt. Es war ein ganz normaler Personenzug der während der Trauung kurz auf einem Nebengleis parkte. Die Lok war geschmückt mit Bändern und Blumen. Tausende von Blumen. Es war schrecklich. Wir standen auf dem Zug, während sich die normalen Passagiere über die Verspätung beschwerten - und alle wurden von der Sonne gebacken. Jahre später, auf dem College, habe ich zusammen mit meinem besten Freund Ecstasy verkauft. Wir hatten in dieser Zeit beide Probleme mit dem Einschlafen, also erzählten wir uns nächtelang Geschichten aus unserer Vergangenheit. In einer dieser Nächte erzählte er mir, wie er mal als Florist gejobbt hat. Er erzählte mir, wie er geholfen hat einen Zug über und über mit Blumen zu schmücken. Und tatsächlich: das war der Zug für die Hochzeit meines Vaters. Was für ein absurder Zufall.

Ein weiterer wichtiger Aspekt in Ihren Büchern ist all dieses absurde Detailwissen. Zum Beispiel wie man Seife aus Schönheitschirurgiefett macht (in "Fight Club") oder, in ihrem neuen Roman, wie man jemanden mit einer Shiatsu-Massage um die Ecke bringen kann. Sie müssen in Ihrem Büro ein riesiges Archiv haben. Stapel von Wissenschaftsmagazinen, Regale voller Enzyklopädien und Schubladen voll gestopft mit Notizen.

Chuck Palahniuk: Tatsächlich ist mein Büro ein heilloses Durcheinander … zumindest im Moment. An einer Wand stehen Regale voller Bücher, grob sortiert nach Themen: Verbrechen, Medizin, Biographien, Magie und Okkultismus, Philosophie, Theater, Lyrik und so weiter. Mitten im Raum steht ein langer Tisch auf dem sich die Entwürfe zu "Rant", meinem neuen Roman, türmen. An den anderen Wänden stapeln sich Kartons mit alten Manuskripten, redigierten Druckfahnen und Steuerbelegen. Mein Traum ist es allerdings, ein perfektes Büro einzurichten. In einer Scheune die nur einen kurzen Fußweg von meinem Haus entfernt liegt.

Schreiben Sie eigentlich schon, seit Sie ein Teenager sind?

Chuck Palahniuk: In der Schule habe ich versucht, witzige Essays im Stil von Erma Bombeck [US-amerikanische Autorin und Kolumnistin, 1927-1996, Anm. d. Red.] zu schreiben. Also Humor zu entdecken in der schrecklichen, grausamen, brutalen Teenager-Kultur auf der Highschool. Niemand hat diese Essays je zu Gesicht bekommen. Aber sie waren meine Art, mit L.B.D. - meinem Life Before Drugs - klarzukommen. Als ich dann Marihuana entdeckt hatte, habe ich das Schreiben aufgegeben bis ich 31 war. Da habe ich ein Motivationsseminar besucht und mich an meine Liebe zum Geschichtenerzählen erinnert. Heute nehme ich nur noch selten Drogen, aber durch sie habe ich so viele Ideen für gute Storys gesammelt - genug zum Schreiben für ein ganzes Leben.

Was für eine Art Kind waren Sie auf der Highschool?

Chuck Palahniuk: Die meiste Zeit habe ich gearbeitet. Erst als Tellerwäscher, dann in einem Kino. Ich habe Popcorn verkauft, die Filmprojektoren bedient und Karten abgerissen. Der Job hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich oft bis zwei Uhr morgens gearbeitet habe und dann um acht Uhr wieder im Chemieunterricht saß - mit nur vier Stunden Schlaf. Ich liebe Arbeit. Ich bete sie an.

Mal abgesehen von den Drogen … Was haben Sie gemacht bevor Sie Autor wurden?

Chuck Palahniuk: Meinen Abschluss in Journalismus. Als Reporter habe ich aber nur sechs Monate gearbeitet. Die nächsten 13 Jahre war ich LKW-Mechaniker für Freightliner, eine Tochterfirma von Daimler Benz. 1998 habe ich dort gekündigt, um nur noch zu schreiben.

Don DeLillo hat mal gesagt, dass Sie vielleicht der nächste Thomas Pynchon werden. Wie gehen Sie mit solchen Komplimenten um?

Chuck Palahniuk: Ich höre nicht drauf. Genauso mache ich es auch mit den Beleidigungen.

Welche Vorbilder haben Sie als Autor?

Chuck Palahniuk: Amy Hemple, Irvine Welsh, Joy Williams, Denis Johnson, Junot Diaz.

Und wer hat Sie noch inspiriert?

Chuck Palahniuk: Mein Großvater, Joseph Talent, ein Schweinezüchter und Mechaniker. Weil er mir gesagt hat, dass ich werden soll was immer ich werden will.

Mit welcher Person würden sie gerne einmal eine Nacht in einer Bar verbringen?

Chuck Palahniuk: Egal wer? Mit meinem Vater. Jetzt wo er tot ist, habe ich eine Million Fragen an ihn.

Und mit welchen Autoren?

Chuck Palahniuk: Jack London oder John Steinbeck. Ich habe so viel über sie gelesen, darüber wie der Erfolg ihre Leben zerstört zu haben scheint. Ich würde gerne aus ihren Fehlern lernen.
Die Fragen stellte Benjamin Maack
(September 2006)

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