Ein Roman über das fragile Gleichgewicht zwischen Nähe und Distanz in den Beziehungen zu unseren Nächsten.

Ein kleines Leben im Einfamilienhaus mit Garten, die zwei Kinder längst ausgezogen. Den Lebenstraum, Bücher zu schreiben, hat Margret aufgegeben. Als ihr Mann ins Krankenhaus muss, bleibt sie allein zurück – ein Zustand, der ihr fast gefällt. Sie beginnt, sich Fragen zu stellen. Ist Gert der Richtige? Hätte sie sich damals auf Andreas einlassen sollen? Zur Ablenkung gibt Margrets Bruder ihr die Tagebücher der verstorbenen Mutter zu lesen. Auf einmal ist sie mit einer Liebe konfrontiert, die Krieg und Flucht überstand – und ein Ereignis, über das nie jemand sprach. Bis Ingrid, die ältere Schwester, die jahrelange Distanz durchbricht und endlich zu reden beginnt.

»Liebe ist vergesslich. Liebe möchte manchmal allein sein. Aber das ist nicht schlimm: Liebe ist das Gegenteil von Verstehen.«

Jetzt bestellen!

eBook
€ 9,99 [D] inkl. MwSt. | € 9,99 [A] | CHF 15,00* (* empf. VK-Preis)

Trailer zum Buch

Leseprobe

Margret steht am Küchenfenster und versucht, die Fliege nicht zu beachten, die über die roten Äpfel im Obstkorb krabbelt. »Ich komme dich besuchen«, hat Anna geschrieben,
und Margret hat sich gefreut. Anna hätte schreiben können: »Ich komme euch besuchen«, aber Anna besucht nicht ihre Eltern. Anna besucht ihre Mutter. Denn auch wenn Anna ihren Vater liebt, wie Töchter ihre Väter nun einmal lieben, so ist es doch ihre Mutter, zu der sie fährt. Gert wird beim Essen mit am Tisch sitzen, später vor dem Fernseher oder mit einem Buch (Krimi, skandinavisch oder deutsch) im Ohrensessel. Gert schneidet Salami für das Abendbrot, er holt Wein aus dem Keller oder streicht den Gartenzaun. Dann vergehen zwei Winter, und er streicht ihn noch einmal. Margret denkt: Gert verbringt sein halbes Leben damit, den Gartenzaun zu streichen.
Die Fliege hat das Ceranfeld erreicht und reibt sich die Hinterbeine. Margret sieht sie aus dem Augenwinkel.
Anna kommt mit dem Zug. Sie hat kein Auto, und sie sagt, dass sie auch keines will. Weil es gut sei, kein Auto zu haben, gut und günstiger. Vom Bahnhof aus ist es nicht weit bis zum Haus, »kommt bloß nicht auf die Idee, mich abzuholen«.
Draußen flimmert die Luft über dem Asphalt. Als Anna noch ein Kind war, hat sie sich im Sommer gerne auf den Bürgersteig vor das Haus gelegt, beide Arme von sich gestreckt, zugedeckt von der Wärme der Sonne.
Die Fliege bewegt sich nicht mehr, ruht sich aus, scheint erstarrt. Es ist die Nähe zum Wald. Ständig haben sie Fliegen, Spinnen und Langbeine im Haus. An der Hauswand
hinterlassen Nacktschnecken klebrige Spuren, auf dem Rasen liegen Hasenköttel.
»Wenn Fliegen ihre Beine reiben, heißt das, dass sie sich putzen«, hat Gert einmal erklärt.
Zwei Tempo-30-Straßen, eine Spielstraße, ein Wendehammer. Klinkerbau, gepflasterte Einfahrt, Garage, Küchenfenster, gepflegter Vorgarten. Das Haus, das Anna
»Elternhaus« nennt. Margrets Haus. Margrets und Gerts Haus. Dazu zwei Kinder, Sohn und Tochter, ein Garten, zwei Autos, zwei Fahrräder, ein Tageszeitungsabonnement,
WLAN, Rasensprenger, Geräteschuppen, Thermomix und Jägerzaun, ein Plattenspieler, Stereoanlage, Flachbildfernseher, ein barrierefreies Bad unten und ein in die Jahre gekommenes oben. Schlafzimmer, Küche, Esszimmer, Keller, Werkraum, Arbeitszimmer, Gästezimmer und zwei unbewohnte Kinderzimmer.
Margret hat in dem Kinderzimmer alles so gelassen, wie es war, als Anna vor sieben Jahren auszog. Natürlich hat Anna Dinge mitgenommen. Den größten Teil ihrer Kleidung,
die Stereoanlage, ihren Fernseher. Aber der Rest ist so geblieben. Der Schreibtisch, das Bett, der Flickenteppich, die Bücher. Kinderbücher, Jugendbücher, Erwachsenenbücher. An den Buchkanten klebt Staub. Auf der Schreibtischlampe liegt Staub. Auf der Kommode: ein Herz, das Anna mit dem Finger in die dünne Staubschicht gemalt hat.
Margret öffnet den Schrank mit dem Putzzeug und holt die Fliegenklatsche heraus. Gert hat einmal gesagt: »Bring sie nicht um. Ist alles nur natürlich.« Margret betrachtet das
grün glänzende Unwesen einen Moment lang und legt dann die Fliegenklatsche zurück.
Nur selten geht sie noch in Annas Kinderzimmer. Mal zum Lüften, mal zum Heizen. Damit sich kein Schimmel bildet. Aber in Wahrheit weiß sie nichts mit diesem angebrochenen
Raum anzufangen. Ein Gästezimmer brauchen sie nicht, das gibt es schon. Nur Gäste gibt es selten. Und wenn Anna doch einmal da ist, an Weihnachten oder Ostern,
dann ist es ganz schön, wenn sie in ihr altes Zimmer kann, ist es vielleicht, so der Gedanke, für Anna ganz schön, sich zu erinnern und zu wissen, dass das hier immer noch
ein Zuhause ist und eine Rückkehr nicht ausgeschlossen.
Margret macht das Fenster weit auf, ein freundliches Angebot, doch die Fliege rührt sich nicht. Margret öffnet den einmal nach draußen, wo Anna nicht zu sehen ist, dann
zur Fliege, die still verharrt. Stülpt den Topf über das Tier, in das dann doch Bewegung kommt. Immer wieder prallt die Fliege gegen den Rand ihres metallenen Gefängnisses.
Margret stellt die Herdplatte an, dreht den Herd voll auf, sieht das Lämpchen, das rot leuchtet.
Es klingelt an der Haustür. Margret stellt den Herd wieder aus, und das Lämpchen erlischt.
Anna klingelt, obwohl sie einen Schlüssel hat. Die Tür schnappt auf, Margret drückt ihre Tochter an sich, küsst sie, sagt nicht: »Du bist aber groß geworden«, denn das sagen
nur Fremde, und überhaupt wäre »groß« falsch, groß wird Anna nicht mehr, nur noch älter, aber darüber macht man sich in Annas Alter keine Gedanken, das kommt erst später.
»Da bist du ja.«
Margrets Blick fährt die Linien ihrer Tochter entlang. Vergleicht das Bild im Kopf mit der Wirklichkeit. Die Figur, die Haut, die Haare. Ihre Tochter in Jeans, T-Shirt, Sneakers im Retro-Look. Nichts, was schockt, alles ist an seinem Platz. Margret nickt. »Schön, dich zu sehen.«

Hier geht's zur vollständigen Leseprobe »

Cornelia Achenbach
© Michael Gründel

Cornelia Achenbach

Cornelia Achenbach, 1982 in Lörrach geboren, studierte Politik und Romanistik in Freiburg und Lille. Sie arbeitet als Redakteurin für die »Neue Osnabrücker Zeitung« und lebt mit ihrer Familie in Osnabrück. »Darüber reden wir später« ist ihr erster Roman.

Cornelia Achenbach im Interview über Glücksvorstellungen, Lebensentwürfe, Leerstellen und das Schreiben.

Interview mit Cornelia Achenbach zu ihrem Roman