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Cornelia Achenbach im Interview

„Ich betrachte das Leben oft mit großem Staunen.“

Cornelia Achenbach über Glücksvorstellungen, Lebensentwürfe, Leerstellen und das Schreiben.

„Darüber reden wir später“ dreht sich um eine Familie, die durch einen Schicksalsschlag aufgerüttelt wird. Im Mittelpunkt steht Margret.
Ihre Kinder sind erwachsen, ihr Mann Gert liegt nach einem Schlaganfall im Koma. Plötzlich findet sich Margret allein in ihrem großen Haus wieder. Dieser Wendepunkt lässt sie auf ihr Leben und auf ihre Ehe blicken. Was hat Sie daran gereizt, sich in Margret hineinzuversetzen,
eine Frau, die mehr als 20 Jahre älter ist als Sie selbst?


Jung kenne ich schon, alt werde ich gerade. Das machte es für mich spannend. Für Margret gibt es kein Vorbild aus meinem Umfeld, die Figur ist frei erfunden. Wenn überhaupt, so trägt sie Wesenszüge von mir. Ich habe mich gefragt, wie ich wohl selbst einmal sein könnte. Oder besser gesagt:
Wie ich eigentlich nicht sein möchte. Ich finde es aber auch nicht ungewöhnlich, eine Protagonistin gewählt zu haben, die 20 Jahre älter ist als ich.
Warum denn nicht? Ich könnte mir auch vorstellen, einen Roman aus Sicht eines Mannes oder einer Jugendlichen zu schreiben.
Sich nur um sich selbst zu drehen ist doch langweilig.

Ein Lederkoffer mit Tagebüchern ihrer Mutter gibt Margret den Anstoß, nach drei Jahrzehnten Schreibpause wieder Texte zu verfassen.
Haben auch Sie sich beim Schreiben ihres Romans von privaten Aufzeichnungen inspirieren lassen?


Die Tagebücher meiner Großmutter stehen in meinem Bücherregal. Ich erzähle in meinem Roman aber nicht ihre Geschichte, auch wenn einzelne Szenen dem Leben meiner Großmutter entnommen sind. So hat meine Großmutter tatsächlich hochschwanger einen Schaffner dazu bewegt, den Zug anzuhalten. Und tatsächlich hat sie sich im Nachkriegswirrwarr bei einem wildfremden Mann hinten aufs Motorrad gesetzt, um meinen Großvater zu suchen.
Am stärksten übernommen habe ich aber ihren Tonfall. Also nicht, was sie über die Kriegszeit schreibt, sondern wie.

In den Tagebuchnotizen lernt Margret ihre Mutter als junge Frau kennen.
Welche unbekannten Seiten an ihrer Mutter treten für Margret plötzlich zutage?


Margret erkennt, wie wenig sie über ihre Mutter jenseits der Mutterrolle weiß. War sie glücklich?
Hatte sie ein erfülltes Leben? Welches Trauma hat sie durchlebt? Wofür hat sie gekämpft und wogegen nicht?

Ein zentrales Thema Ihres Romans ist, wie sich Glücksvorstellungen von Generation zu Generation verändern.
Dabei spannen Sie den Bogen von den Kriegskindern bis in die Gegenwart. Können Sie uns etwas mehr darüber erzählen,
wodurch die Glücksvorstellungen von Margret geprägt wurden?


Während materieller Wohlstand in der Generation ihrer Eltern eine große Rolle spielte, wurde Margret von ihrem studentischen Umfeld geprägt.
Eine gesunde Skepsis gegenüber Obrigkeiten, Wunsch nach Individualität, Selbstverwirklichung, einer Partnerschaft auf Augenhöhe – das waren ihre Vorstellungen von einem freien, glücklichen Leben. Zugleich wurde Margret geprägt von der Zeit des kalten Kriegs und Umweltkatastrophen.
Die Tschernobyl-Katastrophe ereignete sich nur wenige Wochen vor der Geburt ihres Sohnes. Der Wunsch nach Freiheit wurde von dem nach Sicherheit verdrängt: ein Haus bauen, einen Garten anlegen, sich zufrieden geben mit dem, was man hat, den Kindern möglichst viel Liebe und Nähe schenken.

Immer wieder gab es in Margrets Leben Zeiten, in denen sie ihre eigene Mittelmäßigkeit kaum ertragen konnte.
Woher rührt Margrets Anspruch, unbedingt in irgendeiner Weise herausragend sein zu müssen, um vor sich selbst bestehen zu können?


Margret will gesehen werden – kein ungewöhnlicher Wunsch. Bei Margret wird er sicher noch dadurch verstärkt, dass sie als jüngste von drei Geschwistern heranwuchs und oft nur „nebenher“ lief. Die Schulkarriere von Bruder und Schwester hatte Vorrang. Hinzu kam, dass Margrets Ehemann Gert sich eine emanzipierte Frau wünschte, was auch immer er darunter verstand, und dass Margret auch ihren Schwarm Andreas durch ihren Intellekt und ihre Sprachfertigkeit beeindrucken wollte. Letztlich hat Margret es nur zu einem Teilzeitjob in einem Spielwarengeschäft gebracht.
Dass das keine Schande ist, sieht man an ihrer Freundin Rita, für die ihre Stelle in der Volkshochschule eben nur eine Stelle ist, über die sie sich nicht definieren muss.

Auf der Einladungskarte zur Hochzeit von Margrets Sohn steht: Zum schönsten Tag unseres Lebens. Als sie das liest, schießt es Margret durch den Kopf: „Wie schrecklich. Wenn man sich so sicher ist, dass dies der schönste Tag ist und danach nichts mehr kommen kann.“
Warum steht Margret dem Lebensentwurf ihres Sohnes Michael so skeptisch gegenüber?


Margret befindet sich in einer Situation, in der sie alle ihre Beziehungen in Frage stellt. Sie zweifelt an dem Konzept der Ehe – doch die lockere Beziehung ihrer Tochter scheint ihr ebenfalls wenig erfüllend zu sein. Dennoch ist ihr dieses scheinbar moderne Beziehungskonzept näher als das spießbürgerliche ihres Sohnes, der ihr ohnehin oft fremd ist. So vernünftig, in sich ruhend, gut sortiert.

Als Michael ein Kleinkind ist, lernt Margret den Universitätsdozenten Andreas kennen. Zwischen beiden entspinnt sich eine heimliche Freundschaft, von der Margret nie loskommt. Was bedeutet Andreas für sie?

Andreas steht für das Leben, das Margret nie geführt hat. Ein Leben ohne Kinder, voll Freiheit und Reisen. Er steht für Literatur und Kunst, Genuss und eine erfüllte Sexualität. Andreas ist im Vergleich zu Gert der kreative Kopf, der Querdenker, der Unangepasste. Aber genau das macht es auch unmöglich, sich längere Zeit an ihn zu binden. Für Margret ist Andreas die ewige Verlockung. Und zugleich eine Stimme im Kopf, die sie immer wieder daran erinnert, wie sie eigentlich sein wollte – unkonventionell, reflektiert, nicht so furchtbar träge.

Über Gerts Schlaganfall und Michaels Hochzeit rückt die Familie enger zusammen. Dadurch erblickt Margret ihre älteren Geschwister Bernhard und Ingrid plötzlich in einem völlig neuen Licht. Warum wissen wir oft gerade über unsere engsten Angehörigen so wenig Persönliches?

Vielleicht, weil wir sie so oft als selbstverständlich betrachten. Weil sie Institutionen sind, die immer schon da waren, und die wir zu kennen glauben.
Wir können uns nicht vorstellen, dass es da noch etwas Neues zu erfahren gibt, haben unser festes Bild, geben uns wenig Mühe. Wir drehen uns um uns selbst in unserem Alltag und klappern oft nur an der Oberfläche.

In Ihrem Roman finden sich gelegentlich Textpassagen, in denen Sätze unvollendet bleiben. Können Sie etwas mehr über diese Art der Sprache und die Leerstellen erzählen, die dadurch entstehen?

Unvollendet bleibt häufig Geschwätz und Geplapper – Floskeln und Wendungen, die jeder kennt und daher auch jeder selbst ergänzen kann.
Während wirklich Bedeutendes unausgesprochen bleibt, werden auf Hochzeiten, Beerdigungen oder sonstigen Familienzusammenkünften die immer gleichen Phrasen gedroschen. Die ewig gleichen Sätze füllen die Hohlräume in Gesprächen, versuchen zu vertuschen, dass man sich nichts zu sagen hat, dass man sich wenig für den Gesprächspartner interessiert, sich keine Mühe geben mag, weil es ja auch Mühe macht, und eine tiefergehende Konversation Konsequenzen haben könnte, die ebenfalls mit Mühe und Anstrengung, aber auch Verletzungen einhergehen könnte.

Gibt es in Ihrem Roman eine Figur, die Ihnen beim Schreiben besonders ans Herz gewachsen ist?

Das ist sicherlich Margrets Bruder. Bernhard stolpert in diesen Roman, ist seinen Schwestern intellektuell unterlegen, wirkt häufig unbeholfen in seinem Auftreten und ist dennoch ein liebevoller Mensch, der einfach nicht aufhört, an den Menschen in seiner Umgebung festzuhalten, ganz egal, wie oft sie ihn vor den Kopf stoßen.

Margret hatte immer davon geträumt, Schriftstellerin zu werden, doch sie hatte dieses Ziel früh aufgegeben – im Gegensatz zu Ihnen.
Können Sie uns etwas mehr darüber erzählen, wie Sie zum Schreiben kamen?


Ich bin kein Fall von „eigentlich habe ich schon immer geschrieben“. Als Jugendliche und Studentin habe ich mich für alles Mögliche interessiert, aber nicht fürs Schreiben. Das kam erst in den vergangenen Jahren. Ich hatte auch viel zu große Achtung vor Autoren – ich habe es mir schlicht nicht zugetraut, einen Roman zu schreiben. Stattdessen bin ich Journalistin geworden – die Liebe zur Sprache war ja da. Irgendwann haben sich aber immer wieder kleine Szenen in meinem Kopf eingeschlichen, und ich habe angefangen, sie aufzuschreiben. Die ersten Texte waren furchtbar schlecht. Doch als ich im vergangenen Jahr eine Schreibwerkstatt in Hamburg besuchte, die von der Autorin Mareike Krügel geleitet wurde, machte die mir Dampf, ich solle das bloß weiterschreiben. Und kurz darauf haben sich tatsächlich Menschen gemeldet, die sich für das interessierten, was ich da am Küchentisch zusammentippte.

Wie lautet Ihr Motto für ein glückliches, erfülltes Leben?

So ein Motto habe ich nicht, ich suche selbst noch nach einer Formel. Derzeit stehe ich noch daneben, betrachte es oft mit großem Staunen, und versuche, meinen Mitmenschen freundlich und verständnisvoll zu begegnen.
Manchmal gelingt es.



© WUNDERRAUM Verlag
Interview: Elke Kreil

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