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Dankesrede von Juli Zeh zum Preis der Stiftung Else Mayer


Am 18. November 2016 wurde Juli Zeh mit dem Preis der Stiftung Else Mayer ausgezeichnet. Der Preis wird jährlich an besonders engagierte Frauen übergeben, die sich dafür einsetzen, die gesellschaftliche Stellung der Frau zu stärken. Da die Autorin selbst nicht bei der Verleihung anwesend sein konnte, hat sie eine besondere Dankesrede an die "Anwesenden" verfasst. In ihrer Rede spricht sie über Emanzipation, die Frau zwischen Beruf und Familienleben und den "Spiegel der gesellschaftlichen Überzeugung, die bei uns immer noch vorherrscht."

Sehr verehrte Damen und Herren,
liebe Anwesende,

bestimmt ist es unüblich, eine Dankesrede mit einer Entschuldigung zu beginnen, aber ich möchte mich bei Ihnen dafür entschuldigen, dass ich Sie als „Anwesende“ adressiere, während ich selbst abwesend bin. Bitte legen Sie es mir nicht als Geringschätzung für den Else-Mayer-Preis aus; im Gegenteil ist es mir eine Ehre, heute als eine von drei Preisträgerinnen zu Ihnen sprechen zu dürfen. Der Grund, aus dem ich nicht persönlich erschienen bin, ist in gewisser Weise mit dem Lebenswerk von Else Mayer verbunden, deshalb möchte ich ihn erwähnen.

Bis zu meinem 27. Lebensjahr hätte ich auf Nachfragen jederzeit verkündet, dass das Projekt des Feminismus als erfolgreich beendet gelten könne, dass ich selbst eine dankbare Repräsentantin der ersten wahrhaft emanzipierten Frauengeneration sei und dass ich nie im Leben auch nur die Spur einer Diskriminierung erfahren habe. Im Gegenteil hatte ich es immer als Vorteil empfunden, ein Mädchen zu sein, denn wir mussten weniger leisten und wurden mehr gelobt, vor allem im Sport.
Ich war gut in der Schule gewesen, ich studierte Jura, welches sich von einem Männerfach gerade zu einer Frauendisziplin wandelte, besonders im Strafrecht, wo es immer üblicher wurde, dass männliche Angeklagte vor einer weiblich besetzten Richterkammer standen. Mir stand die Welt offen, das war damals mein Gefühl, niemand würde mir Steine in den Weg legen, jedenfalls nicht aufgrund meines biologischen Geschlechts.

Der erste Roman wurde ein Erfolg, man lud mich zu Talkshows ein. Also stand ich vor dem jeweiligen Fernsehauftritt beim üblichen kleinen, unentspannten Empfang in der Gäste-Garderobe, gemeinsam mit der meist durchweg männlichen Runde von anderen Talkshow-Teilnehmern, bis ein weiterer Gast die Garderobe betrat, alle Anwesenden mit freundlichen Worten und Handschlag begrüßte und sich schließlich an mich wandte – mit der Bitte, ob ich ihm eine Cola bringen könne.

Das ist mir nicht nur einmal passiert, und natürlich war ich jedes Mal in der Lage, darüber zu lachen. Allerdings nicht von Herzen, sondern eher, um das Gesicht zu wahren. Die Cola ist ein Beispiel, ein Symbol dafür, was man als erfolgreiche Frau im öffentlichen Leben heute noch immer darstellt: einen Fremdkörper nämlich, im besten Fall eine angenehme Überraschung, im schlimmsten Fall ein Ärgernis. Ich hörte auf, den Feminismus als beendetes Projekt zu betrachten. Trotzdem weigerte ich mich weiterhin, mich selbst als Frauenrechtlerin zu bezeichnen. Ich hatte das Gefühl, dass sich mit der aktiven Fortführung des Feminismus die Fronten eher verhärteten, als dass sich Probleme lösen ließen. Ich fand, dass man anfangen musste, Frauenfragen nicht als Frauenfragen, sondern als gesamtgesellschaftliche Herausforderungen zu begreifen, für die wir alle zuständig sind.

Dann bekamen wir unser erstes Kind und drei Jahre später das zweite. Der Junge ist heute viereinhalb, das Mädchen noch nicht ganz zwei Jahre alt. Seitdem bin ich überzeugt, dass eine Mutter von kleinen Kindern im Grunde gar nichts anderes sein kann als Feministin. Denn die berühmte Vereinbarkeit von Beruf und Familie, über die wir im gesellschaftlichen Diskurs so gerne sprechen, bedeutet in der Realität in den meisten Fällen, dass die Frau mal gucken kann, wie sie Beruf und Karriere vereinbart. Emanzipation heißt dann, dass die Frau zusätzlich zu ihren häuslichen Pflichten auch noch arbeiten gehen darf. Und alle finden das völlig normal – ich kenne eine Reihe Beispiele im Bekanntenkreis, bei denen die Frau das höhere Einkommen erwirtschaftet als der Mann, sich um die Kinder und einen großen Teil des Haushalts kümmert, während er arbeiten geht und gelegentlich einen Sprössling zum Fußball fährt, und alle haben den Eindruck, dass sei die real existierende Form von Gleichberechtigung.

Ich spreche an dieser Stelle gar nicht über mich selbst, denn ich bin gesegnet mit einem Mann, der nicht nur voll hinter jedem meiner beruflichen Schritte steht, sondern auch noch mindestens die Hälfte der Last an Kindern und Haushalt trägt. Außerdem habe ich als Freiberuflerin eine viel höhere Flexibilität in meinen Arbeitszeiten – mit anderen Worten, ich kann nachts oder früh morgens arbeiten, während die Kinder hoffentlich schlafen – was Festangestellten nicht vergönnt ist. Die Ungeheuerlichkeiten, die die vermeintliche Gleichberechtigung berufstätigen Müttern zumutet, erlebe ich eher im Bekanntenkreis. Oft stehen mir die Haare zu Berge, wenn ich anhöre und miterlebe, was junge Frauen auf sich nehmen, die weder auf ihren Beruf noch auf Kinder verzichten wollten. Viele leisten geradezu Übermenschliches, und sie werden dabei gesellschaftlich nicht unterstützt. Im Gegenteil sollen sie noch dankbar dafür sein, dass man ihnen erlaubt, sich derart aufzureiben. Sie bekommen keine Anerkennung, sondern Ärger mit dem Arbeitgeber, wenn sie schon wieder Fehltage zu verzeichnen haben, weil eins der Kinder erkrankt ist. Während die meisten Männer gar nicht auf die Idee kämen, wegen eines kranken Kinds zu Hause zu bleiben.
Ich will nicht sagen, dass es gar keine gleichberechtigten Haushalte gibt, sondern dass sie bei uns in Deutschland nach wie vor eine echte Ausnahme darstellen.
Das ist gar nicht die konkrete Schuld von irgendjemandem, nicht die Schuld von einzelnen Männern oder Frauen, sondern es ist schlicht und ergreifend der Spiegel einer gesellschaftlichen Überzeugung, die bei uns immer noch vorherrscht und die uns zu einem rückständigen Land macht, egal, für wie fortschrittlich wir uns halten mögen. Gerade wurde in den USA ein Präsident gewählt, von einem aufgeklärten Volk mit langer demokratischer Tradition, der Frauen entweder für Spielzeuge oder für bedrohlich hält. Alle wussten das, die Medien haben vollumfänglich darüber informiert – trotzdem hat er die Mehrheit der Stimmen erhalten, darunter sehr viele von Frauen. Auch das zeigt, wo wir stehen.

Ich bin als Frau voll berufstätig und zudem Alleinverdienerin. Ich weiß also, welche Verantwortung, Verpflichtungen und oft auch Ängste es mit sich bringt, eine Familie zu ernähren. Aber ich bin auch Mutter und weiß genauso gut, dass Kinder mehr brauchen, viel, viel mehr als einen abbezahlten Hauskredit und ein Auto mit großem Kofferraum. Ich will es nicht machen wie die Männer aus der Generation meines Vaters, die, wenn die Arbeit es zuließ, bei den von der Frau gekochten Abendessen präsent waren und ansonsten vielleicht am Wochenende etwas mit der Familie unternahmen. Ich will alles zugleich sein, Frau, Mutter, Schriftstellerin und heute Abend eine Ihrer Preisträgerinnen.

Liebe Anwesende, das ist es also, was meine Abwesenheit erklärt: Gemeinsam mit meiner Familie habe ich soeben einen längere Auslandsaufenthalt angetreten, die Kinder werden gerade in einen fremden und auch fremdsprachigen Kindergarten eingewöhnt, und ich möchte in dieser Phase bei ihnen sein. Während Sie heute Abend hier sitzen und meine Worte hören, sitze ich wahrscheinlich gerade auf einer Bettkante und lese Gute-Nacht-Geschichten vor.

Wahrscheinlich sollte ich mich dafür gar nicht entschuldigen, vor allem nicht bei Ihnen, die mich doch im Namen von Else Mayer ehren. Lieber danke ich Ihnen ein weiteres Mal, nicht nur für den Preis, sondern auch für Ihr gelebtes Verständnis dafür, was es heißt, eine berufstätige Frau und Mutter zu sein.

In diesem Sinne: Vielen Dank.


Foto (c) Thomas Müller

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