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Richard David Precht - Wer bin ich - und wenn ja wie viele?

Richard David Precht - "Wer bin ich - und wenn ja wie viele?"

Richard David Precht im Interview zu seinem Bestseller "Wer bin ich - und wenn ja wie viele?"

Richard David Precht
© Christian O.Bruch
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben?
Es gab mehrere Gründe, die mich auf die Idee zu diesem Buch gebracht haben. Zum einen ganz persönliche. Einer meiner Söhne interessiert sich schon sehr für Geschichte und Fragen der Philosophie. Ich wollte ein Buch über Philosophie schreiben, dass jeder, also auch ein 17-Jähriger, verstehen kann.

Was ist also an „Wer bin ich? Und wenn ja, wie viele?“ anders?
Im Prinzip habe ich das Buch geschrieben, das ich mir selbst als Philosophie-Student zum Einblick in die Materie gewünscht hätte. Es gibt ja unzählige Einführungswerke in die Philosophie. Die meisten sind aber zum einen historisch angelegt – und das, obwohl die Philosophie nun wirklich keine historische Wissenschaft ist. Zum anderen beschränkt sich die Einführungsliteratur in der Regel starr auf die eigenen Fachgrenzen. Ich habe darüber hinaus auch andere Fachgebiete wie etwa die Hirnforschung mit einbezogen.

Wie haben Sie die Kenntnisse auf dem komplexen Gebiet der Hirnforschung erworben?
Also für Biologie habe ich mich schon immer sehr interessiert, als Kind wollte ich auch immer Zoodirektor werden (lacht). Und seit meiner Promotion, die liegt ja nun auch schon fast 14 Jahre zurück, habe ich mich als Journalist intensiv mit der Hirnforschung befasst.

Und haben ja auch den Publizistikpreis für Biomedizin gewonnen…
Stimmt. Und ich hatte auch die Chance für meine Recherchen mit bedeutenden Hirnforschern zu sprechen. Dieses ganze Wissen über die Philosophie und die Hirnforschung wollte ich einfach mal sortieren. Sicherlich ein hehrer Anspruch, aber dazu war ich arrogant genug (lacht).

Gegen Ende Ihres Buches beschäftigen Sie sich mit der Frage, wie man sein persönliches Glück finden kann. Glauben Sie, dass Selbsterkenntnis zum Glück führt?
Die Möglichkeiten, sich zu verändern sind natürlich gering. Aber ich glaube schon, je mehr man über sich reflektiert und Abstand zu sich und seinen Gefühlen gewinnt, desto höher ist die Chance auf das persönliche Glück. Aber letztendlich umfasst die Frage nach dem Glück in meinem Buch nur ein Kapitel. Und das habe ich mit einem großen Augenzwinkern geschrieben.

Was hat es dann mit Ihren Regeln zum Glücklichsein auf sich?
Das ist natürlich so eine Sache. An sich stimmen diese Regeln schon, also „Aktiv sein“, „Realistische Erwartungen“ oder „Gute Gedanken“. Aber sie funktionieren natürlich nicht auf Knopfdruck. Das Wissen über sie reicht nicht allein, sie anzuwenden. Genau diesen Schnellschritt, den die Ratgeber-Literatur in der Regel macht, lehne ich ab. Daran glaube ich nicht.

Ein Kapitel in ihrem Buch widmet sich den ethischen Grenzen der Hirnforschung. Hier fordern Sie die Zusammenarbeit zwischen Hirnforschern und Philosophen. Was meinen Sie damit?
Die Versprechen der Hirnforschung sind ja wirklich sehr groß. Deutlich größer als das, was wir uns von der Gentechnik erhoffen können. Aber die gesellschaftliche Debatte über diese schon sehr zukunftsnahen Chancen, aber auch Gefahren, fangen gerade erst an. Ich bin sicher, in absehbarer Zukunft ist es möglich, direkt in die Gehirne einzugreifen. Und ich bin überzeugt, dass noch unsere Generation erleben wird, dass Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer heilbar sind. Aber gleichzeitig besteht mit diesen Möglichkeiten natürlich die Gefahr der Manipulation.

Hier setzt die Frage nach den ethischen Regelungen an…
Richtig. Und genau hier sind Philosophen, oder auch Psychologen, Soziologen oder Kulturwissenschaftler gefragt. Sich mit den ethischen Grenzen zu befassen, ist eben keine Aufgabe der Hirnforscher. Meiner Meinung nach hat die Philosophie die Pflicht, sich praxisorientiert mit diesen Themen auseinandersetzen. Es gibt in Deutschland vielleicht vier Lehrstühle, die sich mit diesen Themen beschäftigen, aber 40 Experten für Kant. Ich würde mir wünschen, dass die Relation andersherum wäre.

Welche Bedeutung hat die Philosophie denn allgemein in unserer heutigen Gesellschaft?
Um über die Bedeutung der Philosophie heute zu sprechen, muss man erst einmal wissen, dass es eigentlich nur zwei heroische Phasen der Philosophie gegeben hat. Das waren die Griechische Antike zur Zeit der Platonischen Akademie und die Epoche von der französischen Aufklärung bis hin zum deutschen Idealismus.

Was war das Besondere an diesen beiden Epochen?
Im Endeffekt kommt die Philosophie nur in Krisenmomenten einer Gesellschaft zum Tragen. In der Griechischen Antike betraf das beispielsweise den Prozess des Staatsaufbaus. In unserer heutigen Gesellschaft, also zumindest hier in Deutschland, hat die Philosophie zwangsläufig einen geringen Stellenwert. Uns geht es glücklicherweise einfach zu gut. Vielleicht ist die Philosophie für den Einzelnen wichtig, aber nicht für die Gesellschaft.

Auch die Glaubensfrage sprechen Sie in Ihrem Buch an. Glauben Sie persönlich an Gott? Und ist es überhaupt möglich, an Gott zu glauben, wenn man sich so intensiv mit der Hirnforschung befasst hat?
In meinem Fall muss ich natürlich erwähnen, dass ich streng atheistisch erzogen wurde. Allerdings habe ich mich immer für Religion interessiert und habe Respekt vor den Religionen. Ob es Gott gibt, darüber kann niemand eine Aussage treffen. Unser Gehirn ist nun mal nicht dazu gemacht, objektive Wahrheiten zu erkennen, wir sind in unserer Wahrnehmung sehr eingeschränkt. Deshalb würde ich es so ausdrücken: Ich habe großen Respekt vor all dem, was wir nie begreifen könne. Und wenn jemand diesen Raum mit Glauben ausfüllt, ist das für mich völlig legitim – nur eben nicht mein persönlicher Weg.

Apropos atheistische Erziehung: Ihre eigene Geschichte haben Sie in Ihrer Autobiografie „Lenin kam nur bis Lüdenscheid“ erzählt. Das Buch wird jetzt verfilmt, oder?
Es ist bereits verfilmt worden, unter der Regie von Andre Schäfer und produziert von Florian Film, zusammen mit dem WDR und dem SWR. Es ist ein Dokumentarfilm, der auch von der Filmstiftung NRW gefördert worden ist und gerade auf der Berlinale präsentiert wurde. Er kommt demnächst in die Kinos und wird vermutlich Ende 2008 in der ARD laufen. Übrigens bin ich in dem Film auch selbst zu sehen und laufe in einigen Szenen durch das Bild. Und auch mein vierjähriger Sohn hat mitgewirkt, er spielt in dem Film mich als kleines Kind.

Noch eine letzte Frage zu Ihrem aktuellen Buch: Was wollen Sie damit erreichen?
Also ich bin schon sehr erfreut, wenn jemand mein Buch gerne und mit Freude gelesen hat. Ganz toll wäre es, wenn er danach viel schlauer geworden ist und sich darüber freut.

Copyright: benet, Gütersloh 2008
Text und Foto: Ute Rosenzweig

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