Herr Dusse, Sie haben schon früh in Ihrem Berufsleben in der Medienbranche gearbeitet, als Radiomoderator, Fernsehautor, Autor von unterhaltsamen Sachbüchern und der Krimibestsellerreihe Achtsam morden. Sie sind ein sehr vielseitiger Mensch, haben diese Facetten Ihres Schaffens einen inneren Zusammenhang?
Ich bin in erster Linie ein neugieriger Mensch. Ich hatte bislang das Glück, in sehr unterschiedlichen Berufen Erfahrungen sammeln zu können. Mein Einstieg in den Medienbereich war reiner Zufall: Ich hatte in einem Preisausschreiben gewonnen und durfte eine Woche lang als Kabelträger für »Hans Meiser« auf Mallorca arbeiten. Daraus entwickelte sich dann ziemlich viel. Der innere Zusammenhang meiner Medientätigkeiten ist, denke ich, die Kreativität.
Hat sich Ihr Leben durch den Erfolg Ihrer Romane verändert?
Ich hoffe nicht. Erfolg ist immer eine Momentaufnahme. Alles was derzeit mit meinen Büchern geschieht, genieße ich achtsam: im Augenblick. Aber auch nach einer guten Ernte steht die nächste Saat an. Und ich bin neugierig, was dann aus den neuen Pflänzchen wird.
Welche Möglichkeiten bietet Ihnen das Schriftstellerdasein?
Mein Bedürfnis nach Freiheit war in meinem Leben immer größer als mein Bedürfnis nach Sicherheit. Das korrespondiert ganz gut mit den Freiheiten und Risiken als Schriftsteller.
Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?
Ich habe schon in meiner Kindheit und Jugend gerne kleine Texte verfasst. Allerdings hatte ich nie in Betracht gezogen, mit dem Schreiben einmal Geld zu verdienen.
Dass man das durchaus kann, habe ich das erste Mal als Autor für »RTL Samstag Nacht« festgestellt. Als Autor des damals erfolgreichsten Comedy-Formates Deutschlands öffneten sich mir im Anschluss zahlreiche weitere Türen im Medienbereich.
Das Angebot, Sachbücher zu schreiben, wurde mir gemacht, als ich als TV-Anwalt bei VOX täglich im Fernsehen präsent war.
Meinen ersten Roman Achtsam morden habe ich für mich allein geschrieben. Mein großer Wunsch war es, einen Verlag zu finden, der dafür sorgt, dass ein Roman von mir in einem Buchladen liegt. Der Wunsch ging ja nun in Erfüllung.
Wie ist es, im Vergleich zum Schreiben von Sketchcomedy, einen ganzen Roman zu schreiben?
Entspannter. Es reden wesentlich weniger Menschen mit und das auf einem wesentlich höheren Niveau.
Wie schreiben Sie?
Das Schreiben funktioniert bei mir ziemlich banal: Ich setze mich hin, klappe den Rechner auf und schreibe. Idealerweise habe ich dabei ein aufgeräumtes Zuhause, keinerlei Störungen und wurde vorher intensiv von der Muse geküsst. Dem ist aber in der Realität nicht immer so – auch das gehört zum Schreibprozess.
Als Lesender fühlt man sich von all den Problemen, die Björn verfolgen, schon aus der sicheren Distanz hinter dem Buchdeckel unter Druck gesetzt. Wie ist das beim Schreiben? Empfinden Sie die Belastungen Ihrer Hauptfigur ein Stück weit mit?
Ich glaube, die Hauptfigur Björn leidet mehr unter meinen Problemen als ich unter Björns.
Mit mikroskopischer Beobachtungsgabe die Absurdität der Welt einzufangen und damit bloßzustellen: Haben Sie das von der Comedy oder von der Juristerei gelernt?
Die Herausforderungen an meine Beobachtungsgabe empfinde ich als durchaus überschaubar. Solange jedes mikroskopisch kleine Problem von jeder beliebigen Interessengruppe medial zum Weltuntergangsthema aufgeblasen werden kann, ist die Absurdität gar nicht zu übersehen.
Im Grunde muss ich nur die Luft aus den dabei entstehenden Gebilden rauslassen und humorvoll das Häufchen Elend beschreiben, das übrig bleibt.
In der Juristerei nennt man das »Sachverhaltszusammenfassung«. In der Comedy nennt sich das »Fallhöhe ausnutzen«.
Hatten Sie bereits vor dem Schreiben von Achtsam morden einen Bezug zur Achtsamkeit?
Ich hatte einen Achtsamkeitskurs besucht. Mit dem Begriff »Achtsamkeit« konnte ich zu Beginn nichts anfangen. Der klang für mich nach »Achtung! Aufgepasst! Stillgestanden!« und hatte für mich so gar nichts mit dem einfachen Prinzip zu tun, den Augenblick wertungsfrei und liebevoll wahrzunehmen.
Auch das war mir Antrieb, den Begriff und die Prinzipien der Achtsamkeit in Achtsam morden möglichst einfach und humorvoll zu erklären.
Kennen Sie das Gefühl, im Alltag im Hamsterrad zu laufen? Oder gibt es andere Lebensbereiche, bei denen Ihnen die Achtsamkeit hilft?
Für mich ist das Bild vom Gedankenkarussell, das nicht zum Stehen kommt, zutreffender. Aus einem negativen Gedankenloop nicht herauszukommen, stört in jedem Lebensbereich.
Die Achtsamkeit ist der Stock, den man ins Getriebe des Gedankenkarussells steckt.
Die Grundidee für Ihr erstes Buch hatten Sie in einer Kneipe. Noch am selben Abend folgte das erste Pitchen und Teile der Recherche. Das klingt nach einem sehr spontanen Menschen. Stimmt das?
Ich nutze gerne den Augenblick, wenn ich meine, dass die Zeit dafür gekommen ist. In dem Fall war das so.
Sogar Erpresser und Mafiabosse haben Bedürfnisse und in manchen steckt einfach ein verletztes Kind – bringt es einen weiter, das Gegenüber immer auch als fehlbaren Menschen zu begreifen?
Es bringt mich immer weiter, mich selbst auch als fehlbaren Menschen zu begreifen.
In Ihren Büchern parodieren Sie mit großer Treffsicherheit aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, wie zum Beispiel Lippenbekenntnisse zum Umweltschutz, eine allgemeine Ellenbogenmentalität oder überzogene Political Correctness. Reicht es aus, diesen Tendenzen mit einer achtsamen Einstellung zu begegnen?
Die Selbstgerechtigkeit anderer heilt man nicht durch eigene Achtsamkeit. Achtsamkeit reduziert lediglich den Stress, den man mit dem Handeln anderer hat.
Gesellschaftliche Fehlentwicklungen muss man offen ansprechen und gemeinsam diskutieren können. Achtsamkeit mag helfen, sich dabei nicht die Köpfe einzuschlagen.
Manches Ratgeberbuch verspricht sofortige Erfüllung der Wünsche, was halten Sie davon?
Sofortige Erfüllung ist so wie Instant-Kaffee: ist direkt fertig, schmeckt aber am Ende nicht nach Kaffee.
Selbstoptimierungsphilosophien werden oft dafür kritisiert, gesellschaftliche Probleme auf individuelle Faktoren zu reduzieren: Du bist nicht achtsam, selbstliebend, positiv-visualisierend genug gewesen usw. Wollen Ihre Romane gerade auch die Grenzen dieser nur punktuell hilfreichen Strategien aufzeigen?
Nein. Ich möchte gerne die Möglichkeiten dieser Strategien aufzeigen. Wenn sich ein Leser oder eine Leserin dazu ermuntert fühlt, einen echten Ratgeber zu dem jeweiligen Thema zu lesen, kann sich jeder selbst ein Bild über die Grenzen machen.
E-Roller, Marathonläufe, Thermomixe und andere »Projekte«: Ist Achtsamkeit nur ein weiterer Trend?
Das ist wie mit einzelnen Getränken und dem Trinken an sich. Craft-Beer und Mate-Limonaden sind sicherlich verzichtbare Trend-Getränke: Trinken an sich ist aber lebensnotwendig. Sein seelisches Gleichgewicht einzupendeln, ist auch lebensnotwendig. Ob dies über Achtsamkeit geschieht, über den Glauben, über Yoga, über eine haltgebende Familienstruktur oder anderes, ist jedem selbst überlassen.
Ist Achtsamkeit in unserer anstrengenden Arbeits- und Lebenswelt nötig, um private Harmonie zu schützen?
Die Arbeits- und Lebenswelt ist ja nichts Gottgegebenes, sondern etwas, das wir alle selbst gestalten. Es gibt vier achtsame Zauberworte, mit denen jeder Einzelne sehr viel Druck herausnehmen kann: »Danke – aber nein danke.«
Der Achtsamkeitstrainer und Psychologe von Björn Diemel, Joschka Breitner, ist frei erfunden. Wie haben Sie recherchiert, um ihn mit dem nötigen Fachwissen auszustatten?
Den psychologischen Themen meiner Bücher (Achtsamkeit, inneres Kind, Pilgern) nähere ich mich zunächst über die Fachliteratur.
Dann ist es wichtig, die Kernaussage herauszufiltern, was mich an dem Thema triggert und auch, was mich irritiert. Daraus bilde ich dann den kleinsten gemeinsamen Nenner und benutze den als Umrechnungsfaktor, um die Probleme des jeweiligen Buches zu multiplizieren und als Ergebnis den passenden Ratschlag von Herrn Breitner zu präsentieren.
Oder anders ausgedrückt: Ich lese so lange Ratgeber, bis ich der Meinung bin, jetzt sollte Joschka Breitner auch mal was dazu sagen.
Eigentlich will Björn nur bewusst auf seine Bedürfnisse achten und mordet quasi aus Versehen. Ist ein Nebeneffekt von Achtsamkeit, ein kompromissloser Egoist zu werden?
Ich bin Christ. Einer der Kernsätze meines Glaubens lautet: »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.« Sich selbst zu lieben – also im positivsten Sinne egoistisch zu sein –, ist die Grundlage dafür, die Kraft und Ausgeglichenheit zu haben, anderen Menschen seine Liebe weitergeben zu können. Kompromissloser Egoismus ist meines Erachtens ein Problem des individuellen Charakters, nicht der Achtsamkeit an sich.
Björn kommt zu dem Schluss, sein Mord am Hüttenkellner sei letztlich von seinen Eltern zu verantworten. Böse Zungen würden behaupten, die Achtsamkeit scheine es leicht zu machen Moral, Gewissen und Verantwortung auszuklammern. Ist da etwas dran?
Mit Achtsamkeit klammere ich nicht aus, ich fokussiere nur anders.
Wenn ich in den Bergen stehe und gerade einen größeren Menschen vor mir in eine Schlucht gestoßen habe, dann kann ich mich entweder auf die Leiche fokussieren und deswegen unter meinem schlechten Gewissen leiden. Ich kann mich aber auch auf die nun freie Aussicht fokussieren und das schöne Bergpanorama genießen.
Das Glas in meiner Hand bleibt das gleiche - ich betrachte halt nur wertungsfrei und liebevoll die volle Hälfte des Glases.
Wird Band 3 der Reihe die Gedanken des in 40 Sprachen übersetzten Bestsellers Das Café am Rande der Welt von John Strelecky aufnehmen?
In Das Café am Rande der Welt nutzt die Hauptfigur eine Auszeit, um über allgemeine Lebensfragen nachzudenken. Ich schicke meine Hauptfigur mit derselben Intention auf den Jakobsweg. Es geht also um den Sinn des Lebens und die heilende Wirkung des Pilgerns.
Steckt hinter Ihrem lapidaren Humor auch die Erfahrung eines Juristen, der weiß, dass man manches notgedrungen akzeptieren – und vielleicht auch einfach weglächeln – muss?
Es gibt das sogenannte Gelassenheitsgebet, das ich auch in Das Kind in mir will achtsam morden zitiere: »Ich bitte um die Kraft, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann, um die Geduld, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, und um die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.«
Dieser Ansatz hat in meinen Augen für alle Lebensbereiche Gültigkeit – nicht nur für juristische. Wenn man dieses Prinzip verinnerlicht, dann muss man Dinge nicht weglächeln. Dann lächelt man einfach so.
Ist das Recht eine Disziplin, in der Emotionen keine Rolle spielen?
Ganz im Gegenteil. Fast jeder Rechtsstreit ist hochgradig emotional. Deswegen trägt Justitia ja bildlich ganz bewusst eine Augenbinde: um sich nicht vom Theater der Parteien ablenken zu lassen. Die Rechtsprechung muss das letzte Refugium sein, in dem die besseren Argumente und nicht die stärkeren Emotionen gewinnen.
Das Recht hat immer die Aufgabe, die Schwachen zu schützen – nicht zeitgeistabhängig die Hysterischen.
Hat man als Anwalt eine besondere Beziehung zum Verbrechen?
Ja. So wie ein Chirurg zu Unfällen.
Im Anwaltsberuf ist Sprache Mittel zum Zweck, in Ihren Tätigkeiten als Sketchcomedy- und Romanautor nutzen Sie die kreative und gestaltende Kraft von Sprache. Wie gelingt Ihnen dieser Spagat?
Die deutsche Sprache ist zum Glück sehr flexibel. Mit dem »DAS-GUTE-KITA-GESETZ« ist der Spagat zwischen juristischer und infantiler Sprache ja bereits offiziell aufgehoben worden.
Ansonsten spiegelt sich in der Sprache immer die Intention des Verwenders wider. Will ich jemanden bloß informieren, benutze ich eine nüchterne Sprache. Will ich jemanden auch unterhalten, greife ich auf eine kreativere Sprache zurück.
Und wenn ich meine moralische Überlegenheit nicht in die vorhandenen Worte fassen kann, erfinde ich einfach ein paar neue Zeichen dazu.
Gerade die kleinen Ungerechtigkeiten sind in Ihren Büchern pointiert beschrieben. Wenn gestresste Eltern laufend Strafzettel für notgedrungenes Parken in zweiter Reihe vor der Kita kassieren, sind das Rechtsangelegenheiten, bei denen Karsten Dusse sich die Haare rauft?
Ich mag es nicht, wenn mit zweierlei Maß gemessen wird. Selbstverständlich sollen Eltern ein Knöllchen bekommen, wenn sie vor dem Kindergarten im Parkverbot stehen. Und zwar unmittelbar nachdem das Ordnungsamt die Personalien aller Drogendealer im Park nebenan aufgenommen hat.
Eine Prise Achtsamkeit - und aus einem Bäh-Anwalt wird ein Mörder. Können auch im normalsten Menschen grausame Fantasien und Mordgelüste stecken?
Zu meinem Menschenbild gehört, dass es den perfekten Menschen nicht gibt. Jeder Mensch hat dunkle Seiten. Das ist das Normalste auf der Welt.
Die Erkenntnis, dass Menschen beim Versuch, das Richtige zu tun, das Falsche bewirken, ist leider auch eine grausame Wahrheit.
»Wenn man reiche Eltern hat, kann man alles machen«, sagt Björn in Ihrem Buch. Hat Ihre Referendariatszeit in Los Angeles Ihre Vorstellung von sozialer Mobilität verändert?
Zumindest habe ich den USA gelernt, dass der amerikanische Traum lautet: »Vom Tellerwäscher zum Millionär.« Und nicht: »Heute erkläre ich erst mal dem Tellerwäscher, wie er zu leben hat, und morgen schaue ich dann, ob ich in Papas Kanzlei oder Mamas Arztpraxis einsteige.«
Vielen Dank für das Gespräch.