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SPECIAL zu David Benioff »Stadt der Diebe« & »Alles auf Anfang«

Die Geschichte vom Messerstecher

Rezension von Sabine Schmitt

„Stadt der Diebe“ ist bereits der zweite Roman des amerikanischen Drehbuchautors David Benioff. Sein Erstlingswerk erschien im Jahr 2000 unter dem Titel „The 25th Hour“ und wurde vom afroamerikanischen Kultregisseur Spike Lee, Mitbegründer des New Black Cinema, verfilmt. Einem breiteren Publikum hat sich Benioff mit dem Drehbuch zu Khaled Hosseinis anrührenden Roman „Drachenläufer“, der Geschichte einer Jugend in Afghanistan, vorgestellt. Der von den Medien vielbeachtete Film lief 2007 in deutschen Kinos.

Filmtauglich
Auch sein neuestes Werk „Stadt der Diebe“ lässt keine Zweifel daran aufkommen, dass sich das Buch hervorragend verfilmen ließe, bietet es doch alles, was des Lesers Herz begehrt: eine spannende Handlung, eine turbulente Freundschaft, eine skurrile Liebesgeschichte, ein Haufen zwielichtiger Bösewichter und eine zwischen Realismus und Groteske schillernde Atmosphäre – vor allem aber einen bitteren und unbezähmbaren Sinn für Humor.

Schreiben über Leningrad
Die Geschichte beginnt, als eine Fachzeitschrift den Ich-Erzähler (der wie im wirklichen Leben Drehbuchautor ist) bittet, ein Essay über sich zu schreiben. Erst da wird ihm bewusst, dass sein Leben bisher „äußerst eintönig“ war: „Nicht, dass ich mich beklagen will. Selbst wenn sich das Resümee meines Daseins langweilig liest – Schule, College, Gelegenheitsjobs, Universität, Gelegenheitsjobs, wieder Universität, mutierende Superhelden –, so war es doch schön auf der Welt zu sein. Aber als ich mich mit dem Essay herumschlug, stellte ich fest, dass ich keine Lust hatte, über mein eigenes Leben zu schreiben, nicht einmal fünfhundert Wörter lang. Ich wollte über Leningrad schreiben.“

Stoff für viele Bücher
Also muss der Großvater ran. Bewaffnet mit einem Kassettenrekorder rückt der Ich-Erzähler seinen Großeltern im Rentnerparadies Florida zuleibe. Lew Beniow, ein Amerikaner russischer Abstammung, hat in der Tat viel zu erzählen. Seine Erinnerungen füllen nach und nach Kassette um Kassette – Stoff für mehr als einen Roman. Nachdem er fertig ist, vertraut der alte Mann das Material seinem Enkel an – schließlich sei dieser ja Autor: „,David' sagte er. ,Du bist der Schriftsteller. Denk dir was aus.' “

Bittere Not
Das lässt David sich nicht zweimal sagen. Die Kulisse für sein Schelmenstück liefert Russland während des Zweiten Weltkriegs. Ausgangspunkt ist die Stadt Leningrad kurz vor der 900-tägigen Belagerung durch die Deutschen. Obwohl viele Bekannte und Verwandte, darunter Mutter und Schwester, Leningrad längst verlassen haben, harrt der 17-jährige Lew mit einem Häufchen Gleichgesinnter in einem heruntergekommenen Wohnblock aus. Der schmächtige Bursche hat sich vorgenommen, die Stadt gegen die Invasoren zu verteidigen. Das ist leichter gesagt als getan, denn im Januar 1942 herrschen bittere Kälte und Not:

„Noch nie hast du solchen Hunger gehabt; noch nie hast du so gefroren. Wenn wir schliefen, sofern wir überhaupt schliefen, träumten wir von Leckerbissen, die wir sieben Monate zuvor gedankenlos gegessen hatten – all den Butterbroten, den Kartoffelklößen, den Würsten –, ohne Bedacht gegessen, hinuntergeschluckt hatten, ohne sie zu würdigen, und dabei auf unseren Tellern große Krümel liegen ließen, weggeschnittenes Fett. Im Juni 1941, bevor die Deutschen kamen, dachten wir, wir seien arm. Aber bis zum Winter erschien uns der Juni wie das Paradies.“

Im Gefängnis
Lews Vater, ein jüdischer Dichter, wurde bereits vier Jahre zuvor von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet und ist seitdem verschollen. Nun droht seinem Sohn das gleiche Schicksal. Als Lew beim Ausplündern eines toten deutschen Soldaten geschnappt wird, scheint sein letztes Stündlein geschlagen zu haben. Gemeinsam mit seinem Zellengenossen Kolja, einem gut aussehenden Deserteur mit Charme und literarischen Ambitionen, wartet er in der dunklen Stille des großen Stadtgefängnisses auf das unausweichliche Ende. Groß ist die Überraschung der beiden Häftlinge, als sie am nächsten Tag anstelle eines Erschießungskommandos dem Oberst vorgeführt werden, der sie mit einem Spezialauftrag betraut. Fünf Tage haben die Beiden Zeit, zwölf Eier für die Hochzeitstorte seiner hübschen, drallen Tochter zu organisieren. Als Belohnung verspricht er ihnen die Freiheit. Bloß, dass in und um Leningrad seit langem schon keine Eier mehr gesichtet wurden, geschweige denn die Vögel, die sie legen könnten. Lew und Kolja machen sich dennoch auf den Weg. Sie haben keine Wahl.

Von Geistern und Kannibalen
Wie in einem düsteren Volksmärchen gefangen, irren sie Gerüchten über Hühnerhaltung hinterherjagend durch die Stadt und finden sich in einer Reihe gefährlicher und deprimierender Sackgassen wieder. Einmal fallen sie fast auf einen schwarzbärtigen Riesen herein, der sich darauf verlegt hat, Menschen in eine Art Schlachthalle zu locken, und entgehen knapp einem Ende als schmackhafter Braten. Ein anderes Mal wähnen sie sich bereits am Ziel. Statt einer Schar putzmunterer Hühner finden sie aber nur einen sterbenden Jungen vor, der beschützend ein armseliges, mehr totes als lebendiges Exemplar umklammert hält. Schließlich entscheiden sie sich dazu, die „Stadt der Geister und Kannibalen“ zu verlassen, um auf dem Land nach dem raren Geflügel weiterzusuchen.

Wolfsfrau
Tief im winterlich verschneiten Wald, dem Erfrieren nahe, fallen sie hinter den feindlichen Linien einer Gruppe Partisanen in die Hände. Die einzige Frau und fähigste Scharfschützin der wilden Horde ist ein raubtierhaftes rothaariges Mädchen namens Vika. Lew ist hingerissen von ihr, seine Hormone geraten in Wallung.

„Zum hundersten Mal in dieser Nacht fragte ich mich, wie sie wohl aussah, wenn sie den vor Schmutz starrenden Tarnanzug abgelegt hatte, ihre blasse ungewaschene Haut sich straff über das blaue Geflecht ihrer Adern spannte. Hatte sie Busen oder war sie flachbrüstig wie ein Junge?“
Die Wolfsfrau aber straft ihn mit Nichtbeachtung und ist stattdessen ganz von der Mission durchdrungen, den verhassten Anführer der „Einsatzgruppe“, einer Nazi-Todesschwadron, zu jagen.

Was würde Lew nicht alles dafür tun, Vikas Zuneigung zu erringen, und sei es durch einen Mord! Außerdem besitzt er noch das Messer, das er damals vor seiner Verhaftung dem toten deutschen Soldaten abgenommen hatte. Ehe der friedfertige Lew sich versieht, steht er vor der Entscheidung, es auch zu benutzen...

Geflissentliche Nichtbeachtung
Wer David Benioffs Kriegsmärchen, bei dem es einen so angenehm gruselt, erst einmal aufgeschlagen hat, bringt es kaum fertig, es vor dem Ende wieder aus der Hand zu legen. Der Roman liest sich spannend bis zur letzten Zeile. Männliche Leser bekommen darüber hinaus noch gute Ratschläge mit auf den Weg. Wie es gelingt, das weibliche Geschlecht nachhaltig zu beeindrucken, weiß nämlich Schwerenöter Kolja: „Das ganze Geheimnis dabei, eine Frau zu erobern, ist geflissentliche Nichtbeachtung.“
Sabine Schmitt
Mainz, Dezember 2008

Video-Interview mit David Benioff

Noch vom Jetlag gezeichnet erzählt David Benioff vor einer Lesung in München über seinen Leningrad-Roman "Stadt der Diebe":

Stadt der Diebe

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