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Detlef Brendel, Sven-David Müller: Die Zucker-Lüge

Detlef Brendel im Interview zu »Die Zucker-Lüge«

»Genuss ist keineswegs schädlich«

Schluss mit falschen Vorschriften: Warum maßvoller Zuckerkonsum nicht schadet

Als Autor des Buches »Die Zucker-Lüge« stellen Sie sich deutlich gegen den Trend. Zucker wird als Droge, als Dickmacher und als Ursache für Diabetes dargestellt. Sie plädieren dagegen für Freispruch.
Detlef Brendel: Das ist ein Freispruch erster Klasse, weil es für die vielen Anfeindungen nicht einen einzigen wissenschaftlich fundierten Beleg gibt. Zucker wird so massiv wie kein anderer Inhaltsstoff unserer Ernährung angegriffen. Das verunsichert die Verbraucher, führt zu Fehlentscheidungen in der Ernährung, senkt den beim Essen wichtigen Genuss und verstellt vor allem die notwendige Sicht auf die wahren Ursachen. Nicht der Zucker in unserer Ernährung ist ein Problem für die Gesundheit, sondern es ist der Lebensstil, mit dem wir uns beschäftigen müssen.

Zucker wird von der Ernährungsindustrie vielen Produkten beigemischt, um damit den Verbraucher zu ködern. Wird hier der Verbraucher nicht getäuscht?
Detlef Brendel: Warum sollte die Ernährungswirtschaft ihre Kunden täuschen? Vielmehr geht es darum solche Produkte herzustellen, die sie nicht enttäuschen. Die Verbraucher wollen Produkte haben, die ihnen schmecken. Dazu gehört der Zucker. Und es gibt, um es noch einmal zu betonen, keine wissenschaftlich fundierte Studie, die dem Zucker ein gesundheitsgefährdendes Potenzial zuschreibt. Zucker wird traditionell, auch wenn es um das private Kochen oder Backen geht, als wichtige Zutat zur Herausbildung von Geschmack und Genuss geschätzt. Dieser Tradition bleiben die Nahrungsmittelhersteller treu.

Die permanenten Angriffe auf den Zucker, lassen Sie mich das betonen, sind auch permanente Angriffe auf die Lebensmittelwirtschaft. Angebliche Verbraucherschützer und Ernährungs-Fundamentalisten wollen mit Lügen und Behauptungen die Produzenten von Nahrungsmitteln in Misskredit bringen. Es entzieht sich jeder Logik, dass hier unterstellt wird, eine ganze Branche, die in Deutschland über fünf Millionen Menschen beschäftigt, würde ihre Kunden betrügen und krank machen wollen. Hier wird grundlos Panik geschürt und Genussfeindlichkeit verbreitet. Bei diesen Attacken geht es um Ideologie, nicht um die Verbraucheraufklärung.

Woher kommt denn nun das Übergewicht, für das der Zucker immer wieder verantwortlich gemacht wird?
Detlef Brendel: Das Thema Übergewicht ist keineswegs zu verharmlosen. Aber wir müssen die Fakten betrachten. Nehmen wir einmal die sachlichen Zahlen, die in der so genannten KiGGS-Studie ermittelt wurden. In dieser Studie zur Verbreitung von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland wurde ermittelt, dass insgesamt 15 Prozent der Kinder zwischen drei und 17 Jahren übergewichtig sind. Darin enthalten sind 6,3 Prozent, die unter Adipositas leiden. (Übergewicht bei einem BMI > 25 und Adipositas bei einem BMI > 30) Vergleicht man diese Werte mit den Zahlen aus den 80er und 90er Jahren, so zeigt sich, dass sich der Anteil der Übergewichtigen während der letzten 30 Jahre rund verdoppelt hat. Das ist in der Tat eine unerfreuliche Entwicklung, mit der wir uns beschäftigen müssen.

Damit bestätigen Sie, dass Übergewicht zu einem wachsenden Problem in der heutigen Gesellschaft wird. Das muss doch Gründe haben.
Detlef Brendel: Hier den Zucker verantwortlich machen zu wollen, führt in die falsche Richtung. Schon die Logik sagt uns, dass der Zucker für diese Entwicklung nicht verantwortlich sein kann. Von 1970 bis heute liegt der Pro-Kopf-Absatz von Zucker konstant bei rund 35 kg pro Kopf und Jahr. Der tatsächliche Zuckerverzehr liegt sogar noch darunter. Nach der nationalen Verzehrs-Studie pendelt er zwischen 18 und 20 kg pro Kopf und Jahr. Ein seit 40 Jahren gleichbleibender Zuckerverzehr kann für die zunehmende Herausbildung von Übergewicht während dieser Zeit nach den Gesetzen der Logik wohl kaum verantwortlich sein. Was sich während dieser 30 Jahre signifikant verändert hat, ist die Lebensweise. Wir sind kontinuierlich bewegungsärmer geworden. Ein konkretes Beispiel: In exakt dieser Zeit hat sich der Markt der Computerspiele rasant entwickelt. Zwischen der dynamischen Zunahme der Spielkonsolen und der Zunahme des Gewichts von Kindern lässt sich tatsächlich eine interessante Relation herstellen. Vielleicht wäre man näher an der Realität, wenn man auf Spielkonsolen den Warnhinweis anbringen würde: Kann Übergewicht und Adipositas erzeugen.

Kein einzelner Nahrungs-Bestandteil, und das sagt uns auch ganz klar die Wissenschaft, ist für das Übergewicht verantwortlich. Es ist die Relation zwischen Ernährung und dem Kalorienverbrauch, der heute durch unsere weitgehend bewegungsarme Lebensweise bestimmt wird. Wir müssen eine Lifestyle-Diskussion führen. Wer immer wieder versucht, die Schuld in Richtung Zucker zu schieben, handelt entweder dumm oder praktiziert eine sträfliche Verbraucher-Täuschung.

Die Zunahme von Diabetes wird parallel zum Übergewicht immer wieder als Problem genannt. Welche Rolle spielt der Zucker dabei?
Detlef Brendel: So wenig wie regelmäßiges Wandern eine Wanderniere erzeugt, so wenig erzeugt Zucker die umgangssprachlich genannte Krankheit Zucker, also Diabetes. Dabei sprechen wir von Diabetes mellitus Typ 2. Dass bei dieser Krankheit die Körperzellen immer weniger auf Insulin ansprechen, ist die Folge unterschiedlicher Faktoren. Dazu zählen genetische Veranlagung, Übergewicht und Bewegungsmangel. Ein Zusammenhang zwischen dem Zuckerkonsum und Diabetes mellitus Typ 2 wurde bislang nicht wissenschaftlich belegt. Die Mehrzahl entsprechender Studien ergab vielmehr, dass der Zuckerverzehr bei Diabetikern vor ihrer Erkrankung sogar eher unterdurchschnittlich war. Die einfache Formel Zucker macht Zucker trifft also in keiner Weise zu. Einige Studien lassen eher vermuten, dass bei höherem Zuckerkonsum das Risiko der Zuckerkrankheit geringer ist. Andere Studien weisen auf einen erhöhten Cortisol-Spiegel als Ursache hin, der durch Stress und auch durch intensiven Fernsehkonsum entstehen kann. Ein Beispiel aus einer interessanten Studie: An Männern, die wöchentlich über 40 Stunden vor dem Fernseher saßen, konnte ein nahezu dreifaches Diabetesrisiko gegenüber solchen Männern beobachtet werden, die weniger als eine Stunde vor dem Fernseher verbrachten. Auch in diesem Kontext geht es also wieder um den Lebensstil und die damit heute oft verbundene Bewegungsarmut.

Kommen wir noch einmal zu den Vorwürfen, denen der Zucker ausgesetzt ist. Dabei wird regelmäßig betont, dass es sich bei Zucker um eine Droge handelt, die süchtig macht.
Detlef Brendel: Dieses Märchen, oder um beim Buchtitel zu bleiben, diese Lüge basiert auf keinen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Mit dieser irreführenden Behauptung will man aus einem Experiment Kapital schlagen, das an der Princeton University durchgeführt wurde. Dort hat man Ratten wochenlang mit zuckerhaltiger Lösung gefüttert und dann die Fütterung der Tiere mit dem gewohnten Zucker abrupt eingestellt. Die Ratten haben, nachdem ihnen der gewohnte Zucker entzogen wurde, nervös reagiert. Damit ist zunächst bewiesen worden, dass der Zucker ihnen gut geschmeckt hat. Eine Zuckersucht hat selbst Prof. Dr. Bart Hoebel, der das Experiment geleitet hatte, nicht daraus ableiten wollen.

Auch uns Menschen schmeckt Zucker sehr gut. Allerdings muss man zwischen Sucht und natürlichem Verlangen oder Genuss und Wohlgeschmack differenzieren. Der Mensch hat auch ein natürliches Verlangen nach Licht und Sonne. Das hat mit der Bildung von Vitamin D zu tun und mit der Stabilisierung unseres Serotonin-Spiegels durch das helle Tageslicht. Durch den Neurotransmitter Serotonin wird unser Lebensgefühl positiv beeinflusst. Auch Zucker ermöglicht die Bildung von Serotonin. Wer Zucker als Droge bezeichnet, müsste auch die Sonne als süchtig machende Droge bezeichnen. Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens, dass unser Verlangen nach Süßem besonders ausgeprägt ist, wenn die Tage kürzer werden und dass die Menschen einen höheren Zuckerverbrauch haben, je nördlicher sie leben.

Es gibt viele Prozesse im Körper, die zu einem Glücksgefühl beitragen. Sportliches Ausdauertraining hebt den Serotonin-Spiegel. Bei einem guten Essen und auch beim Sex wird das psychisch positiv wirkende Dopamin ausgeschüttet. Natürliche Inhaltsstoffe in Hopfen oder Weintrauben oder H-Carboline, die beim Rösten, Braten oder Backen gebildet werden, entfalten positive Wirkungen und den Wunsch nach Wiederholung. Alles das, was mit Genuss verbunden ist, scheint heute aber zu den krank machenden und mit Einschränkungen und Verboten zu belegenden Substanzen zu gehören. Die Verbraucher sollten sich von diesen Bevormundungen freimachen. Wir sollten uns nicht bieten lassen, dass die Ernährungs-Fundamentalisten eine genussfreie Welt predigen und durch Regulierungen durchzusetzen versuchen.

Zucker schmeckt zweifellos gut. Aber braucht der Körper diesen Zucker tatsächlich?
Detlef Brendel: Das lässt sich, ohne zu tief in die Chemie und die Photosynthese einzusteigen, relativ plastisch darstellen. Glukose, also Traubenzucker, ist ein wesentlicher Ursprung des Lebens. Die Pflanzen haben mit der Photosynthese die Fähigkeit, Kohlendioxid zu organischen Kohlenhydraten umzuwandeln, also zu dem, was wir gemeinhin Zucker nennen. Sie gewinnen praktisch Energie aus Sonnenlicht. Wir können dagegen das Sonnenlicht nicht als Energiequelle nutzen, wir müssen uns diese Energie in Form von Essen zuführen. Jeder Sportler weiß, dass Zucker die schnellste und intensivste Form der Energiezufuhr ist. Und den meisten Menschen dürfte auch bekannt sein, dass ihr Gehirn ein ganz wesentlicher Verbraucher von Zucker ist. Zu den Pflanzen, die den Vorgang der Photosynthese besonders gut beherrschen, zählt die Zuckerrübe, aus der wir das Nahrungsmittel Zucker gewinnen. Das mag den Zucker-Gegner gefallen oder nicht. Es ist nun mal eine Tatsache.

Ihre Kritik an der Ernährungs-Diskussion betrifft offenbar nicht nur den Zucker, sondern zahlreiche Anschuldigungen, denen Lebensmittel heute ausgesetzt sind. Was halten Sie von einer Ampelkennzeichnung als Orientierung für die Verbraucher?
Detlef Brendel: Eine solche Kennzeichnung ist Unsinn und Verbrauchertäuschung. Man kann Lebensmittel nicht generell in gut oder schlecht einteilen. Eine grüne, gelbe und rote Kennzeichnung würde beim Einkauf gute oder schlechte Wahl suggerieren. Menschen sind erstens individuell und haben zweitens einen unterschiedlichen Bedarf. Für manche kann gelb oder rot die bessere Wahl sein, grün kann auf Dauer sogar gesundheitsschädlich werden. Wichtige Lebensmittel würden rote Stoppsignale erhalten, obwohl sie gerade wegen ihrer Nährstoffgehalte oder wegen anderer Inhaltsstoffe gesundheitsförderlich sind wie etwa Olivenöl, Avocados, Makrelen, Heringe oder Nüsse. Und zur Bekämpfung von Übergewicht kann eine Ampelkennzeichnung ohnehin keinen Beitrag leisten. Ein Mensch, der täglich große Mengen von grün gekennzeichneten Nahrungsmitteln verschlingt und sich dabei nicht bewegt, wird satt auf dem Sofa sitzend zunehmen. Bei der Ampel geht es um politische und ideologische Abwertung von Lebensmitteln durch angebliche Verbraucherschützer, die alles regulieren wollen.

Eine abschließende Frage: Was hoffen Sie mit Ihrem Buch zu erreichen?
Detlef Brendel: Wir wollen den Menschen Hysterie und Angst im Umgang mit ihrer Ernährung nehmen. Wir wollen sie sensibel machen für willkürliche Konstruktionen von angeblichen Ursachen und vermeintlichen Wirkungen. Die Verbraucher werden mit irreführenden Behauptungen und Theorien traktiert und in einen Zustand zunehmender Angst getrieben. Genuss ist keineswegs schädlich. Die Eindimensionalität des Denkens vieler Ernährungs-Ideologen und das ständige Wiederkäuen von unsachlichen Plattitüden sollten wir kritisch sehen. Gleichzeitig sollten wir begreifen, dass wir zur Lösung existierender Probleme nur dann beitragen können, wenn wir über das Thema Lebensstil sprechen. Zu einem gesunden Lebensstil gehören eine ausgewogene Ernährung und ausreichende Bewegung, um eine gute Balance für den Körper herzustellen. Die verlogene Debatte, die von den Ideologen im Hinblick auf das immer wieder beschworene Thema Gesundheit bislang geführt wird, ist kontraproduktiv. Im Vorwort haben wir geschrieben, dass dieses Buch aufklären, informieren und Sicherheit geben soll, solange der Genuss in unserem Land noch nicht zum Straftatbestand erklärt wird.


Detlef Brendel ist studierter Kommunikationsforscher. Er arbeitet heute als Wirtschaftspublizist und leitet eine Presseagentur. Mit seinem Buch Wirtschaft im Würgegriff hat er sich intensiv mit der Frage der Steuerung öffentlicher Meinungen und den Grenzen staatlicher Aufsicht beschäftigt.