Wie der Kontakt mit Tieren uns gesund macht: Das Buch von Deutschlands führenden Experten

Die Heilkraft der Tiere

Über die uralte Verbindung zwischen Mensch und Tier

Wie unterstützen Tiere unsere Kinder beim Erwachsenwerden? Warum Tierbesitzer weniger gestresst sind? Wie schützen Tiere uns vor einem Herzinfarkt? Wie gelingt es Ziegen, einem apathischen Kind, das unter der Trennung seiner Eltern leidet, wieder zu mehr Fröhlichkeit zu verhelfen? Warum öffnen sich depressive Menschen, wenn ein quicklebendiger Hund neben ihnen auftaucht? Oder auch: Was kann ein Manager von Eseln lernen? Solche und viele weitere Fragen beantworten die beiden Autoren mit einer hervorragend lesbaren und unterhaltsamen Mischung aus wissenschaftlichen Fakten und konkreten Beispielen aus dem Praxisalltag. Ihr Buch geht dabei weit über eine einfache Wertschätzung der Mensch-Tier-Beziehung hinaus. Es lässt uns verstehen, wie enorm wichtig der Kontakt mit Tieren für unsere Gesundheit ist, und wie wir dieses Wissen für unser eigenes Leben verwenden können.

Als Hörbuch in ungekürzter Lesung mit Steffen Groth

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Erfolgsgeschichten mit Tieren, die uns berührt haben

Dank Golden Retriever keine Konzentrationsschwierigkeiten mehr

Häufig saß Jakob stundenlang am Schreibtisch und starrte in seine Hefte und Bücher. Das Abitur stand vor der Tür, doch nichts vom Lernstoff wollte wirklich in seinem Kopf hängenbleiben. Seine Eltern meinten, er brauche völlige Ruhe, um sich besser konzentrieren zu können, und nichts sollte ihn ablenken. Also wurde auch der Familienhund aus Jakobs Zimmer ausgesperrt. Doch der Golden Retriever wusste es besser, nutzte eines Tages die Gunst der Stunde und schlich sich in Jakobs Zimmer. Nach einer ausgiebigen Streicheleinheit legte er sich unter den Schreibtisch und schnarchte leise vor sich hin. Und der ruhig atmende Hund unter dem Schreibtisch beruhigte Jakob, stellte Herzschlag, Blutdruck, Stresshormone und Denken auf Standgas und machte ihn so ein Stück weit fit fürs Lernen. Die Anwesenheit des Vierbeiners löste seine Blockade im Kopf, nun konnte er sich auf seinen Stoff konzentrieren, auch wenn er immer wieder über das schnorchelnde Atmen und das Zucken der Pfoten unter seinem Tisch lächeln musste.
Und was sagt die Wissenschaft dazu? Die zentrale Frage einer Studie der Psychologen Reinhold Bergler und Tanja Hoff war: Gibt es schulische Fähigkeiten, die durch einen Hund in der Familie gefördert werden können? Hierzu befragten die Forscher 200 Mütter mit und ohne Hund in der Familie. Die in der Studie sogenannten »Dog-Teens« schnitten dabei weit besser ab als ihre Mitschüler ohne Hund. Das betraf den Notendurchschnitt ebenso wie das Umgehen mit den ungeliebten Hausaufgaben. Jugendliche mit einer intensiven Beziehung zu ihrem Hund erledigten ihre Hausaufgaben effektiver, waren dabei konzentrierter, motivierter und ausdauernder. Sie zeigten in der Schule auch weniger aggressives Verhalten, arbeiteten besser mit Mitschülern und Lehrern zusammen. Ergo hatten sie bessere Noten und weniger Schulstress. Der Hund war geradezu ein Katalysator für die Entwicklung wichtiger schulischer Kompetenzen.

Durch ein Alpaka zu mehr Ruhe und Achtsamkeit

Marie, ein 10-jähriges Mädchen, war in der Schulklasse oft unruhig, konnte sich nicht konzentrieren. Versuche mit Entspannungsübungen waren fehlgeschlagen, und da sie keine Erfolge sah, hatte sie keine Lust mehr auf den »Quatsch«. In der tiergestützten Therapie fand sie Alpakas spannend. Das war aber ein Problem, denn Alpakas sind Tiere, bei denen man sich die Nähe, so überhaupt möglich, erarbeiten muss. Marie versuchte es zunächst mit vielen Worten, mit List und Tücke, Benito, einem Alpakawallach, näherzukommen – ohne Erfolg. Doch sie wünschte es sich so sehr, ihn zu streicheln. Und es brauchte einige Zeit, bis sie bemerkte, dass Benito nur stehen blieb, wenn sie ruhiger und entspannter war. Erste Erfolge ließen Marie sichtlich aufblühen, und sie überraschte mit Ruhe und Sorgfalt. Es gelang ihr immer besser, Benito zu signalisieren, ich bin respektvoll, freundlich, bei mir bist du sicher, so kamen sie sich Schritt für Schritt näher. Schließlich ließ sich Benito von ihr am Halfter halten, den Strick anlegen und stand dann ruhig neben ihr. Sogar leichte Berührungen am Hals ließ er zu. Aus der feinen und weichen Alpakawolle, gemischt mit etwas Schafwolle, filzte Dorothea, ihre Therapeutin, ein kleines Alpaka, damit Marie Benito, vor allem in der Schule, immer bei sich haben konnte und er ihr half, ruhiger und achtsamer zu bleiben. Das Beispiel zeigt, Tiere möchten uns nicht verändern, anders als der Psychotherapeut oder Coach, sie zeigen uns lediglich klar und eindeutig ihre Bedürfnisse und geben uns lediglich schnell, präzise und effektiv klare Rückmeldung auf unser Verhalten. Und das ist, wie das Beispiel von Marie zeigt, ein großes Geschenk. Weil Marie unbedingt Kontakt zu Benito haben wollte, passte sie ganz automatisch ihr Verhalten an, ganz ohne Druck.

Sich durch einen Esel verstanden fühlen.

Der 43-jährige Thomas litt an einem Burnout-Syndrom, nachdem er – aus seiner Sicht – völlig unerwartet gekündigt worden war. Wir waren mit unseren Eseln auf einem Spaziergang unterwegs.
Die Patienten sollten lernen, achtsam zu sein, für sich und die Esel. Thomas führte Samu, der wie immer hinter der Gruppe hertrödelte. Bettina und Thomas unterhielten sich über seine Kündigung, und Thomas blieb stehen, erzählte und überkreuzte dabei die Beine. Samu blieb auch stehen – und auch er überkreuzte die Vorderbeine. So standen die beiden eine Weile, während Thomas aus seinem Arbeitsleben erzählte. Dann wollte Thomas weitergehen. Bettina machte ihn darauf aufmerksam,
dass auch Samu erst mal seine Beine sortieren müsse, bevor es weitergehen könne. Thomas schaute verdutzt, schaute auf seine Beine und dann auf die von Samu. Er schluckte ein paarmal, verdrückte einige Tränen: »Samu ist wie ein guter Kumpel, der versteht einen ohne Worte.« Die Gleichzeitigkeit ließ bei Thomas das Gefühl, »Verstanden zu werden«, aufblitzen, das er ganz lange nicht mehr gespürt hatte. Thomas umarmte Samu und weinte für ein paar Minuten. Er fühlte sich danach »befreit«, und dann nahm das Gespräch eine erstaunliche Wendung. Thomas erzählte, er sei völlig frustriert, ja wütend, Gefühle, die ganz tief in ihm drinstecken würden. Sein ehemaliger Chef habe sich nicht wie ein Freund benommen, sondern wie ein Arsch. Er habe ihm einfach so aus heiterem Himmel gekündigt. Nur fadenscheinige Gründe habe er vorgebracht. Er selbst habe immer gedacht, sie seien Kumpels, vielleicht sogar Freunde, doch sein Chef habe ihn kalt abserviert. Das setze ihm wirklich zu. Er habe immer gedacht, sie verstünden sich gut. Nun müsse er erkennen, dass alles nur Einbildung gewesen sei. Eigentlich habe er niemanden, der ihn wirklich verstehe, nicht einmal seine Frau. Das mache ihn wütend, ärgerlich, frustriert und verletze ihn zutiefst. Er fühle sich ganz alleine auf dieser Welt. Durch eine einfache Spiegelung, es waren nur zwei überkreuzte Beine, und der nachfolgende Körperkontakt fand Thomas Zugang zu bisher nicht bewussten Gefühlen. In den späteren therapeutischen Gesprächen konnten wir auf das Erlebte zurückgreifen, seine negativen Gefühle bearbeiten und Ideen erarbeiten, wie er Vertrauen und Vertrautheit zurückgewinnen kann.

Das Spiel mit dem Hund als Spiegelung des eigenen Verhaltens

Das 12-jährige Mädchen Lisa tat sich schwer mit Freundschaften. Zwar suchte sie nach Kontakt, doch sollten alle immer nach ihrer Pfeife tanzen – Freunde, Mitschüler, Eltern und Geschwister. Konflikte waren da vorprogrammiert. Und so kam sie zur Psychologin Christina und ihrem Co-Therapeuten Albert (einem Hund) in Therapie. In den ersten Kennenlernstunden war Lisa im Kontakt mit Albert noch unsicher und daher eher vorsichtig, doch dann schlug ihr Verhalten um. Sie wurde aufdringlicher, und es fiel ihr schwer, Nähe und Distanz zu regulieren. Sie forderte Albert zu Action auf, um dann sofort wieder Unterordnung zu fordern, war mal fordernd, mal reglementierend. Und wie reagierte Albert darauf ? Ihm war das Verhalten – wie den Freunden und Mitschülern auch – zu blöde, er zog sich in seine Ruhezone zurück. Sollte Lisa doch machen, was sie wollte, aber bitte ohne ihn. Die Zurückweisung fuchste Lisa. Dann war Albert ein »blöder Hund«, mit dem man eh nichts anfangen kann. Doch die Verstimmung dauerte meist nicht lange, zu groß war der Wunsch, mit Albert zu kuscheln und zu spielen. Und genau das waren die magischen Momente, in denen es möglich wurde, mit Lisa ihre missglückten Interaktionsversuche zu besprechen. Und dann mit ihr zu üben, die
Hundesprache besser zu verstehen, die feinen Signale von Albert achtsamer wahrzunehmen und darauf auch entsprechend zu interdisreagieren. Waren Hundesprache und Wahrnehmung für Lisa noch ein Leichtes, stieß sie beim eigenen Verhalten schnell an ihre Grenzen. Lisa war nur schwer lenkbar und Christina musste mehrfach den Kontakt unterbrechen, was Lisa sehr frustrierte. Und es war eine riesige Herausforderung, die Bedürfnisse von Albert zu akzeptieren. »Aber ich will doch jetzt!«, »Der muss doch jetzt!«, warf Lisa häufig ein. Christina nahm dies auf und bat Lisa immer wieder, sich in Albert hineinzuversetzen: »Gut, das sind deine Wünsche. Was denkst du, was Albert jetzt braucht? Was könntest du tun, dass er sich wohler fühlt und wieder kommt? Wann fühlst du dich wohl? Wann findest du ein Treffen toll?« Nach und nach gelang es Lisa so, die Bedürfnisse des Hundes nicht nur zu erkennen, sondern auch darauf zu reagieren. Und der Kontakt wurde zunehmend lebendig und angenehm für sie beide.
Nun kam noch Hugo, ein 2-jähriger Sheltie-Rüde, ins Spiel. Im Gegensatz zu Albert, der eher distanziert ist und Körperkontakt scheut, ist Hugo ein verspielter und verschmuster Hund, der von sich aus aktiv die Nähe sucht. Und hier geschah etwas Unerwartetes: Lisa fand Hugo gar nicht nett. Sie fand es unverschämt, dass er Albert wegdrängelte, um die volle Aufmerksamkeit zu bekommen. »Das ist ungerecht! Das geht gar nicht, der arme Albert ist ja ganz außen vor«, beklagte Lisa«. »Was wäre denn gerecht?«, fragte Christina. Und da brach es aus Lisa heraus: Zuhause einen eigenen Raum. Christina müsse mit Albert auch alleine etwas unternehmen. Es dürfe sich nicht immer alles nur um Hugo drehen. Auch hier finden wir wieder einen magischen Moment, denn in Albert spiegelten sich für Lisa ihre eigenen Gefühle der »Verdrängten« und »ungerecht Behandelten« großen Schwester wieder und die damit verbundenen Gefühle der Traurigkeit. Wahrscheinlich lag darin auch eine Erklärung für ihr eigenes aufdringliches und störendes Verhalten. In der Interaktion mit dem Tier erleben die Klienten eine direkte Reaktion, wie der Hund auf ihre Spielaufforderungen reagiert, ob Pferd oder Esel ihnen freiwillig folgt, oder sie können beobachten, ob das tierische Gegenüber nervös oder ruhig wirkt. Und dadurch kann deutlich werden, dass etwas zwischen der eigenen inneren Überzeugung und dem eigenen Auftreten nicht passt.


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Wie ist die Idee zum Buch entstanden?

Unsere Hündin Thimba

Warum brauchen wir überhaupt Tiere in der Therapie?

Unsere Experten im Bereich tiergestützte Therapie

Dr. Rainer Wohlfarth
© Peter von Felbert

Dr. Rainer Wohlfarth, Jahrgang 1960, ist Psychologischer Psychotherapeut mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie und Neuropsychologie. Nach mehreren Stationen im klinischen Bereich ist er akademischer Mitarbeiter der Pädagogischen Hochschule in Freiburg, arbeitet erfolgreich in eigener Praxis und leitet »Ani.Motion«, das Institut für tiergestützte Therapie in Sasbachwalden. Er befasst sich seit 2006 intensiv mit tiergestützten Interventionen, hat zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema publiziert und ist heute einer der führenden Vertreter auf diesem Feld. Außerdem ist er Präsident der »European Society of Animal-Assisted Therapy« (ESAAT) und Vizepräsident der »International Society of Animal-Assisted Therapy« (ISAAT).

Bettina Mutschler
© Peter von Felbert

Bettina Mutschler, geboren 1968, ist Spezialistin für tiergestützte Therapie. Als Coach setzt sie Hund und Esel in ihrer täglichen Arbeit mit ihren Klienten ein. Neben ihrer Tätigkeit als Referentin bei »Ani.Motion« leitet sie eine eigene Schule zur bindungsgeleiteten Hundeerziehung. Außerdem gibt sie deutschlandweit Seminare und bildet Therapiebegleithunde-Teams aus. Sie gilt als einer der innovativsten Köpfe zum Thema Bindung zwischen Mensch und Tier im deutschsprachigen Raum und ist Autorin von zahlreichen Fachbüchern und wissenschaftlichen Artikeln.