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Leonie Swann: »Garou«

Die Schafskrimis von Leonie Swann: »Glennkill« und »Garou«

Das Wachsen des Grases ist kein Geräusch, es ist ein Geruch

Leonie Swann im Interview über ihren Schaf-Thriller „Garou“

(c) Peter von Felbert
Ihr Debütroman "Glennkill", ein Kriminalroman mit einer Herde Schafe als Ermittler, wurde auf Anhieb ein überwältigender Erfolg. Wie hat dieser Erfolg Ihr Leben verändert?
Nicht so sehr, wie man vielleicht denken könnte. Soweit ich sehen kann, sind mir noch immer dieselben Dinge wichtig. Ich trinke weiter gerne Tee, lese, beobachte Spinnen und sitze im Grünen.
Aber es ist ein schönes Gefühl, etwas geschrieben zu haben, das vielen Menschen Freude macht. Und es hilft einem, an die Geschichten zu glauben, die noch so in einem schlummern. Natürlich hat sich auch einiges geändert: ich mache Lesereisen, werde auf Festivals eingeladen, gebe Interviews. Aber es fühlt sich nicht so an, als hätte der Erfolg mein Leben von Grund auf verändert – eher eine neue Tapete an der Wand als ein Umzug in den Wolkenkratzer, bildlich gesprochen.

"Glennkill" haben Sie in Paris, Irland und Berlin geschrieben. Wo haben Sie sich bei der Arbeit an Ihrem neuen Roman "Garou" aufgehalten?
In Berlin und England.

"Glennkill" entstand eher zufällig: Während eines längeren Aufenthaltes in Paris packte Sie die Sehnsucht nach dem Landleben, und Sie begannen eines Abends, eine Geschichte über Schafe zu schreiben. Einen Roman hatten Sie dabei gar nicht im Sinn. Ganz anders verhielt es sich bei Ihrem neuen Roman "Garou", der als Fortsetzung von "Glennkill" angelegt war. Das zweite Buch, heißt es sicher nicht umsonst, sei für einen Schriftsteller das schwerste. Wie ist es Ihnen gelungen, konzentriert an "Garou" zu arbeiten und sich vom Druck zu befreien, der nach dem Erfolg von "Glennkill" auf Ihnen lasten musste?
Ich glaube, letztlich hat mir die Geschichte selbst geholfen, und meine Zuneigung zu den Schafen: Figuren, Szenen, kleine Ideen, die auf einmal einfach da waren. Man kann sie nicht herbeizwingen, aber man kann sich freuen, wenn es sie gibt. Und man kann dieser Freude ein Stück weit vertrauen, Spaß haben an der Geschichte, experimentieren und loslassen.
Das war nicht immer einfach, ganz und gar nicht, aber irgendwie, wunderbarerweise, ging es dann manchmal doch. Ich bekam auch viel Unterstützung von Freunden, meiner Agentin und nicht zuletzt auch sehr vom Goldmann Verlag, der alles getan hat, damit ich möglichst entspannt arbeiten konnte.

"Garou" erscheint später als geplant. Zur Begründung hieß es, Schafe hätten ein "ausgeprägtes Eigenleben". Gaben die Schafe der Geschichte eine andere Richtung, als Sie ursprünglich vorgesehen hatten?
Hierzu vielleicht ein Gedanke aus der bildenden Kunst: Eine Möglichkeit, das Entstehen einer Statue zu beschreiben, ist, zu sagen, dass die Figur bereits im Marmor steckt und vom Bildhauer nur herausgeholt werden muss. Ähnlich fühlt sich das Schreiben manchmal für mich an – die Geschichte ist schon da, ich muss sie nur verstehen, entdecken.
Nun, als der Abgabetermin für „Garou“ näher rückte, hatte ich das Gefühl, die Geschichte noch nicht gut genug aus dem Stein befreit zu haben – das Gefühl, dass es hier noch mehr zu erzählen gab. Die Fristverlängerung hat mir erlaubt, noch einmal auf Entdeckungsreise zu gehen. Ich habe neue Figuren gefunden, neue Szenen und Zusammenhänge.
Hat sich die Geschichte dadurch verändert? Natürlich. Man könnte aber auch sagen, dass ich die Schafe und ihre Abenteuer jetzt nur besser verstanden habe als zuvor.

In "Glennkill" hatte der Schäfer George seiner Herde eine Reise nach Europa versprochen. Seine Tochter Rebecca, die neue Schäferin, löst dieses Versprechen in "Garou" ein. Doch den Kontinent hatten sich die Schafe anders vorgestellt. Mitten im eisigen Winter verschlägt es sie in Frankreich in einen entlegenen Obstgarten am Fuß eines düsteren Schlosses. Gibt es für diesen Ort ein Vorbild?
Es gibt ein Vorbild – ein kleines bretonisches Schloss mitten im Wald von Brocéliande, komplett mit Schlossturm und Schafsweide und flackernden Lichtern, die sich im Burggraben spiegelten. Nur den Namen habe ich vergessen.

Was hat es mit dem Titel "Garou" auf sich?
„Loup garou“ ist das französische Wort für Werwolf.
„Loup“ repräsentiert natürlich die Wolfsseite, während das altfranzösische „garou“ zwar auch „Werwolf“ bedeuten kann, hier aber eher für den menschlichen Aspekt der Kreatur steht. Der Titel ist für mich eine Anspielung darauf, dass das Unheimlichste an der Figur des Werwolfs vielleicht doch seine Menschennatur ist. Außerdem ist der Werwolf eine Figur, in der die Ängste von Menschen und Schafen zusammenfließen.

In "Garou" haben wir es mit einem Kriminalfall zu tun, der überlagert wird von mystischen Ereignissen. Natürlich geht es auch in "Garou" um die Aufklärung des Falls, doch die meiste Zeit über fühlen sich die Schafe wie auch Rebecca, ihre Mutter und einige der Dorfbewohner Gefahren ausgesetzt, die sie rational nicht einordnen und ergründen können. Können Sie uns etwas mehr über das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Ebenen erzählen?
Während „Glennkill“ ein Schafkrimi ist, der klassische Whodunits in der Tradition Agatha Christies zum Vorbild hat, orientiert sich „Garou“ mehr am modernen Thriller.
Daraus ergibt sich eine andere Plotstruktur. Das Verbrechen liegt diesmal nicht in der Vergangenheit. Der Täter (Werwolf oder nicht) ist weiter aktiv, auf der Suche nach neuen Opfern, und weder Menschen noch Schafe noch Ziegen sind vor ihm sicher. Es geht nicht nur darum, ein Verbrechen aufzuklären, sondern vor allem auch darum, neue Morde zu verhindern. Menschen und Schafe sehen sich mit der Irrationalität eines Psychopathen konfrontiert, die sie dazu zwingt ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. In gewissem Sinne denken die Schafe hier sogar rationaler als die Menschen. Sie können nicht auf tradierten Aberglauben zurückgreifen – die Wölfe in ihrer Welt sind vierbeinig, pragmatisch und sehr real.
(c) Peter von Felbert
In Ihrem neuen Roman begegnet der Leser allen Schafen wieder: Mopple the Whale beispielsweise mit seinem elefantösen Gedächtnis, der mutigen, eigensinnigen Zora, dem alten Leitwidder Sir Ritchfield, dem schwarzen Othello mit der zwielichtigen Vergangenheit, der scharfsinnigen Miss Maple und nicht zuletzt dem Winterlamm. Welche Schafe spielen diesmal die Hauptrolle, und wie hat sich die Auswahl für Sie ergeben?
Mopple the Whale, Miss Maple und Othello sind weiterhin zentrale Figuren, die mit ihren Ideen und ihrer Persönlichkeit die Handlung entscheidend beeinflussen.
Neu ist, dass diesmal das Winterlamm mehr im Vordergrund steht und um seinen Platz in der Herde kämpft. Aus Sicht des Winterlamms ist „Garou“ ein Entwicklungsroman. Umgekehrt geht es mit Sir Ritchfield bergab. Der alte Leitwidder wird zunehmend seniler, dabei aber kein bisschen weniger würdevoll. Vielleicht taucht ein Teil seines Charakters wieder auf, der während seiner Leitwidderjahre ein wenig versteckt war, freundlich und sehnsüchtig und sehr liebenswert.
Und natürlich gibt es zwei Neuzugänge: den ungeschorenen Fremden und Madouc, die streng genommen gar kein Schaf ist, aber trotzdem für Aufregung sorgt.
Wie sich die Auswahl ergeben hat?
Über Sir Ritchfield und das Winterlamm erfährt man in „Glennkill“ nicht wirklich viel – trotzdem hatte ich das Gefühl, dass in ihnen noch viel Persönlichkeit steckt. Es war sehr schön, die beiden bei der Arbeit an „Garou“ ein wenig besser kennenzulernen.

Für Ihren ersten Roman hatten sie Feldforschung betrieben, um sich besser in die Schafe hineinversetzen zu können. Diese Erfahrungen wollten Sie nach "Glennkill" bei einem Schäferpraktikum in Frankreich vertiefen.
Haben Sie dieses Praktikum tatsächlich absolviert? Und falls ja, können Sie uns etwas über Ihre wichtigsten Erlebnisse erzählen?

Das Praktikum hat tatsächlich stattgefunden, und ich hoffe, dass ich mich auf dem Schafhof auch ein wenig nützlich gemacht habe. Jedenfalls habe ich eine Menge gelernt, nicht so sehr die großen Zusammenhänge, sondern sinnliche kleine Dinge. Heugerüche, helles Lämmerblöken, das beruhigende Murmeln eines Mutterschafs, den Rhythmus eines Lebens mit Schafen, das fettige, warme Gefühl von Wolle, die Lebendigkeit und den unglaublichen Lebenswillen der Lämmer, Scheu und Misstrauen und Schafsmut. Und natürlich gab es Geschichten! Bernie beispielsweise geht auf diese wahren Schafsgeschichten zurück.

Stammt aus dieser Zeit auch Ihre Idee, die Schafe auf eine kleine Herde Ziegen treffen zu lassen?
Es ist nicht immer einfach, genau zurückzuverfolgen, wo und wie eine Idee entstanden ist. Vielleicht hatte ich schon vorher an Ziegen gedacht, aber die Geschichten der Schäferin (die früher auch Ziegen hielt und Ziegenkäse hergestellte) haben mich sicher darin bestärkt,

Schafe und Ziegen kann man häufig gemeinsam und scheinbar einträchtig auf einer Weide sehen. In Ihrem Roman herrscht zwischen Schafen und Ziegen jedoch alles andere als Harmonie. Wie würden Sie die Ziegen im Vergleich zu den Schafen charakterisieren?
Die Ziegen in meiner Geschichte sind irrational, chaotisch, dionysisch, schamlos und verrückt. Sie klettern auf Bäume, leihen sich gegenseitig Namen aus, stellen sich nach Farben auf, praktizieren Demokratie und stinken. Sie sind sehr lebendig und manchmal ein wenig zerstörerisch.
Während die Schafe um jedes bisschen Rationalität kämpfen, haben die Ziegen den Kampf längst aufgegeben und wollen einfach nur ihren Spaß. Sie sind ein vergnügungssüchtiges Publikum, vor dessen kritischen Kommentaren die Schafe bei ihren Ermittlungen keinen Augenblick sicher sind.

Ihre Schilderungen der Welt aus der Schafsperspektive bieten eine Fülle überraschender Wahrnehmungen und skurriler Vergleiche: Eine Kommode beispielsweise wird von den Schafen als Lamm eines Schrankes betrachtet, ein Kaschmirmantel erregt den Unmut der Schafe, weil er aus Ziegenhaar und dennoch ihrer Schäferin Rebecca lieb und teuer ist. Entstehen diese Einfälle spontan beim Schreiben oder sammeln Sie Ideen, auf die Sie zurückgreifen können?
Der Schrank, die Kommode und viele andere Ideen entstanden direkt beim Schreiben, ganz natürlich und beiläufig, und erst später, wenn mich Leute auf diese Szenen ansprechen, beginne ich, sie überhaupt als Ideen wahrzunehmen. Vorher waren sie einfach nur Teil der Geschichte.
Eine gute Idee ist nicht so sehr die Nadel im Heuhaufen – eher eine Ziege im Heuhaufen. Zuerst ist man einen Moment lang überrascht, aber dann versteht man, warum sie ganz natürlich genau da hingehört, wo sie aufgetaucht ist. Sie frisst Heu und guckt unschuldig. Und nach dem ersten Schreck beginnt man, sich vorsichtig über sie zu freuen.

Haben Sie im Sinn, Ihre Geschichten über die Schafherde aus Irland fortzusetzen, oder stehen für Sie nun erst einmal andere Projekte im Vordergrund?
Momentan gibt es keine konkreten Pläne für neue Schafsabenteuer.
Das Erzählen aus Schafsperspektive ist sehr reizvoll, gleichzeitig ist man aber durch die Naivität der Schafe vielen Beschränkungen unterworfen. Ich freue mich sehr darauf, neue Geschichten zu erkunden und auf die Freiheit, erzählerisch Neues auszuprobieren zu können.
© Elke Kreil, Goldmann Verlag