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Ein Vorwort zu Frances Hodgson Burnett´s Roman
Die Liebenden von Palstrey Manor

»Ein Märchen, abgemildert durch unromantischen Realismus.«

Von Isabel Raphale

»… letzten Donnerstag bin ich wieder in Oxford gewesen, und diesmal hat er mir einen Antrag gemacht, hier, sieh mal … «, sagte ich und zeigte ihr den schönen Ring, einen in Diamanten gefassten Granat.
»Erzähl mir nicht, dass er ihn selbst getragen hat, so wie in Die Liebenden von Palstrey Manor«, sagte Polly.
»Doch, genau so, nur dass es kein Rubin ist.«
»Aber fast so groß wie eine Taubenei. Du hast ein Glück!«

In der Szene in Nancy Mitfords Liebe unter kaltem Himmel von1949 (Nancy Mitford, Liebe unter kaltem Himmel, München, Graf Verlag, 2013, S. 131.), in der Alfred Fanny einen Heiratsantrag macht, kommt der moderne Leser zum allersten Mal mit einem Buch in Berührung, von dem die Kritikerin Marghanita Laski damals schrieb, es sei »das Lieblingsbuch fast aller Frauen«, nämlich Frances Hodgson Burnetts The Making of a Marchioness, 1901. Damals mag es ein Lieblingsbuch vieler gewesen sein, heute ist es fast nirgends mehr erhältlich, restlos untergegangen zwischen all den Nachdrucken, Verfilmungen und kritischen Analysen der ewigen Bestseller der Autorin: Der kleine Lord (1886), Sara, die kleine Prinzessin (1905) und Der geheime Garten (1910). Hier gilt das Gleiche wie für Mariana von Monica Dickens, über das Harriet Lane schon damals anlässlich des ersten Nachdrucks in der Persephone-Reihe schrieb:

Das Buch hat, in der richtigen Dosierung, genau das, was Dusty Answer, I Capture the Castle, Rebecca und The Pursuit of Love zu so spannenden, fesselnden und mitreißenden Lektüreerlebnissen macht. Nahezu mühelos wird eine ganze Welt heraufbeschworen … Mit anderen Worten: Mariana zählt zu den ganz großen Werken, mit denen man sich am liebsten mit einer Wärmflasche ins Bett verkriechen möchte.

Das trifft auch auf Die Liebenden von Palstrey Manor zu. Das Buch fand als Liebesgeschichte keine Beachtung, dabei ist es wunderbar kurzweilig.

Auch sind die Schattenseiten im Leben einer Frau darin allgegenwärtig. Was dieses kluge, kleine Buch so weit über das Niveau von Groschenromanen erhebt, ist sein scharfsichtiger Blickwinkel, Laski sagte, es sei die »grausame Enthüllung der britischen Gesellschaft zur Zeit Edwards VII.«. Sie schrieb, The Making of a Marchioness

wurde in der Mitte des goldenen Zeitalters des spätviktorianischen und früheduardischen Populärromans geschrieben – vorrangiges Thema der Romane war die gesellschaftliche Klasse. Angeblich ist im englischen Roman die Gesellschaftsklasse immer schon Hauptthema gewesen, in jener Epoche tritt das allerdings besonders ungeschminkt zutage. Das hat auch seinen Grund, denn der Glanz von Adel und Königshaus wurde nicht hinterfragt, und der Wunsch aller einfachen Leute, diesem Glanz nahe zu kommen, ebenso wenig. … Das Thema aller erfolgreichen Bücher von Mrs. Hodgson Burnett - mit Ausnahme ihres Meisterwerks Der geheime Garten – […] ist der Eintritt in die besseren Kreise.

Dies ist […| der beste Roman, den Mrs. Hodgson Burnett je geschrieben hat, sie hat ihr Ziel auf hohem Niveau erreicht, ein Märchen, abgemildert durch unromantischen Realismus. Aus heutiger Sicht ist der Roman noch viel interessanter als sie geahnt haben dürfte, denn sie hätte wahrscheinlich nicht angenommen, dass man ihren Realismus als so rigoros empfinden könnte, wie wir das heute tun.

Unschuld ist das Grundthema dieses Romans, eine heutzutage unterbewertete Tugend, die gerne mit Unwissenheit verwechselt wird oder doch zumindest mit Naivität. Wir möchten resolute und unabhängige Heldinnen dargestellt bekommen. Zieht nicht jeder eine Becky Sharp einer Amelia Sedley vor, eine Emma Woodhouse einer Jane Fairfax? Wir sind zu zynisch geworden, um noch an Märchen zu glauben, in denen am Ende das Aschenputtel seinen Traumprinzen bekommt und die beiden »glücklich bis ans Ende ihrer Tage« leben, oder um zu glauben, die gute Fee würde sich um Scheidungsklagen wegen Unvereinbarkeit der Charaktere und Unterhaltsforderungen kümmern, nachdem die anfängliche Begeisterung der Eheleute nachgelassen hat.

Emily Fox-Seton, die Heldin von Die Liebenden von Palstrey Manor, ist alles andere als ungebildet. Mit ihren vierunddreißig Jahren kennt sie die Welt, in der sie lebt, und weiß um ihre Gefahren. Armut hat sie am eigenen Leib erfahren, sie hat zwar nicht die zermürbende Landarbeit oder die Fabrikarbeit oder die Arbeit in den Londoner Slums kennengelernt, dafür aber die Armut des verarmten Adels: Hier kann die Notwendigkeit, den Schein wahren zu müssen, ebenso unaufhaltsam zu einem einsamen Tod im Armenhaus führen, kann die Verpflichtung zur wöchentlichen Mietzahlung zur Folge haben, dass man Hunger leidet, kann die Versuchung, den »Schutz« eines Mannes zu suchen, soziale Ausgrenzung und persönliches Unglück bedeuten. Emily weiß, wie der Heiratsmarkt funktioniert, und macht sich keine Illusionen, weder über ihr eigenes Leben – »Sie war aus gutem Hause und hatte eine gute Erziehung genossen, innerhalb der Grenzen, die Frauen wie ihr gesteckt waren« – noch über das Leben der bezaubernden Debütantin Lady Agatha.

Anders als Emily hatte Letztere gar keine Möglichkeit, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, indem sie für bessergestellte Herrschaften die Einkäufe tätigte. Ihre gesellschaftliche Position (die Mutter jammert: »Würden wir nicht in Debrett’s und Burke’s verzeichnet, müssten wir uns um solche Dinge keine Gedanken machen […], aber was soll man tun, wenn jeder das Alter der eigenen Tochter im Buchladen in Magazinen nachlesen kann?«) zwingt Agatha dazu, reich zu heiraten, »oder sich in prosaischer und beengter Eintönigkeit langsam aus dem Leben verabschieden«. Trotz hoher Geburt und großer Schönheit, oder gerade deswegen, steckt sie »völlig hilflos« in den Fängen der High Society des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in der das Leben einer jungen Frau, sollte sie nicht umgehend und erfolgreich heiraten, an seinem Endpunkt angelangt war. Dann wird ihr klar: »Wenn jetzt nichts geschieht … werden Alix und Hilda und Millicent und Eve und ich verhungern – langsam verhungern – weil wir uns nach dem sehnen, was das Leben einer jungen Frau erträglich macht, sofern sie in eine bestimmte Klasse hineingeboren wurde.« Und ihre Gastgeberin bemerkt: »Sobald Agatha anfängt, ein wenig an Reiz zu verlieren, und sie bis dahin nicht verheiratet ist, muss sie ihren Schwestern den Vortritt lassen. Die anderen müssen auch eine Chance bekommen […] Sie werden Agatha auf ihren Wohnsitz in Irland schicken … das überlebt sie nicht.«

Ihre Unschuld machte Emily Fox-Seton zur Heldin, zur uneinnehmbaren Festung, zum Bollwerk gegen »Neid, Hass, Bosheit und Unbarmherzigkeit«, wie es im Allgemeinen Gebetbuch [Das Book of Common Prayer ist das Gebetbuch der Anglikanischen Kirche. Anm. d. Ü.] heißt. Sie hat die Selbstdisziplin, ihre Rolle im Leben anzunehmen, und nicht genug Vorstellungskraft, um gegen deren Zwänge aufzubegehren. Dünkel oder Anmaßung sind ihr ganz und gar fremd und in ihren Mitmenschen sieht sie nichts als deren Freundlichkeit. Alles Gute, das ihr widerfährt, schätzt sie mit einer solchen Aufrichtigkeit und Dankbarkeit, dass ihre Freude auf die Menschen abfärbt, die sie gerne unter ihren Schutz stellen, während sie selbst »nie eine Chance ungenutzt verstreichen lässt, einem anderen Menschen zu helfen, auf welche Art auch immer«.

Und sie ist dabei erfreulicherweise nicht selbstgefällig; sie beobachtet andere, aber sie verurteilt sie nicht. Ihre Armut ist ihr zwar verhasst, aber sie stellt sich der Notwendigkeit des Sparens mit dem gleichen gesunden Menschenverstand, mit dem sie alle Dinge im Leben anpackt. Sie hat weit mehr vom Leben verdient, doch ihre aufrichtige Bescheidenheit hindert sie daran, sich nach dem Unerreichbaren zu sehnen. Die einzige emotionale Schwäche, der sie hin und wieder nachgibt, ist die Panik, die sie beim Gedanken an ihre Zukunft überfällt, wenn sie sich ausmalt, wie ihr Leben als einsame Frau aussehen wird, »ohne Unterstützung und ohne eine Bleibe«. Fürs erste genießt sie jeden Glücksfall, den das Schicksal ihr beschert. ›»Diese Frau erfreut sich an allem‹, bemerkt Lord Walderhurst. ›Was für ein Temperament! Dafür gäbe ich zehntausend im Jahr! ‹«

Dass Emily so unerwartet zu einem Ehemann, einer gesellschaftlichen Stellung und Wohlstand gelangt, erstaunt alle, nur Lady Maria Bayne nicht. Diese ist egoistisch und scharfzüngig, somit fällt Emily Fox-Setons Herzensgüte bei Lady Bayne auf einen herrlich sauren Boden. Mit weltmännischer Leichtigkeit nimmt sie jeden Hang zur Gefühlsduselei aufs Korn, und ihre spitzen Kommentare sind recht witzig. Sie wäre den intriganten Osborns ein ebenbürtiges Gegenüber, daher ist es für die Geschichte gut, dass Emily in dem Bewusstsein, wie sehr es Lady Maria langweilen würde, wenn man sie einweihte, der Versuchung klugerweise wiedersteht.

Doch in dieser Geschichte gibt es nicht nur eine Heldin, sondern auch einen Bösewicht: Alec Osborn, mutmaßlicher Erbe des Marquis’ und ein Schurke ersten Ranges. Er und Hester, seine anglo-indische Frau (anglo-indisch im Sinne von »eine Person mit indischem Blut«), sind in vielerlei Hinsicht Emilys Spiegelbilder. Auch sie haben einst Armut und soziale Verwahrlosung erfahren, aber im Gegensatz zu Emily träumen sie von der »großen Rache für vergangene Pein« und schmieden Ränke, denn sie sind verbittert und wollen aus dem Weg räumen, was sie als Haupthindernis für ihre eigene glückliche Zukunft ansehen. Hester, die so kindisch ist wie Emily kindlich, träumt von einem zufälligen Unglück, Alec dagegen heckt ganz bewusst einen Mordplan aus und stützt sich auf die Hilfe von Hesters indischer Kinderfrau. Damit missbraucht er Ameerahs Vertrauen, so wie er überhaupt jeden missbraucht, dem er begegnet, denn er spielt mir ihrer Ergebenheit für ihre Herrin und benutzt ihre dubiosen Fähigkeiten zur Verfolgung seiner eigenen Ziele. Es ist stimmig, dass Ameerah schließlich selbst Rache üben kann, und dass sie, obgleich sie düster und grausam erscheint, am Ende ganz auf ihre Art zur Heldin wird.

Die Liebenden von Palstrey Manor ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil wurde im Juni, Juli und August 1901 in der Zeitschrift Cornhill veröffentlicht, und die Geschichte endete mit der Szene, in der Lord Walderhurst Lady Maria sagt, er werde Emily heiraten. (Marghanita Laski bezog sich also auf diesen Teil, als sie Die Liebenden von Palstrey Manor zum besten Erwachsenenroman der Autorin erklärte.) Der zweite Teil wurde Die Methoden der Lady Walderhurst genannt. »Während in der ersten Geschichte unromantischen Personen hochromantische Dinge widerfahren, sind es im zweiten Teil undramatische Personen, in deren Leben hochmelodramatische Dinge geschehen«, schrieb Frances Hodgson Burnett.

Nach dem ersten Lektüreeindruck scheint der erste Teil dem zweiten weit überlegen zu sein. Nur wenige Begegnungen sind so romantisch wie die zwischen Walderhurst und Emily, als er ihr über dem Fischkorb einen Heiratsantrag macht, und Frances Hodgson Burnett ist Proust um ein Jahrzehnt voraus: »Emily hatte gehört, dass manchen Leuten beim Duft einer Blume oder dem Klang einer Melodie schwer ums Herz wurde, aber in ihrem Fall sollte es der Geruch von frischem Fisch sein, bei dem sie Traurigkeit überkam.« Und wer würde sich nicht über einen Rubin »groß wie ein Hosenknopf« freuen? Wir lachen leise über die hochgewachsene, unkomplizierte Emily mit ihren großen Füßen und ihren riesigen aufrichtigen Augen (»wie die von einem hübschen wilden Tier, das man einmal im Zoo gesehen hat«), aber wir blühen auch mit ihr auf, wenn sie durch die Wärme ihrer eigenen Bewunderung für einen steifen Adligen im besten Alter ihre Blüte öffnet, Blatt um Blatt. Außerdem ist sie nicht etwa dumm oder ungebildet; sie schreibt schöne Briefe in einer feinen, flotten Handschrift und kennt ihren Thackeray. Sie mag etwas schlicht sein, doch selbst die überaus anspruchsvolle Lady Maria hat Freude an ihrer Gesellschaft.

Doch den zweiten Teil sollte man sorgfältig lesen, es lohnt sich. Hinter dem Melodram versteckt sich die subtile Schilderung einer Entwicklung zur Reife, und das glückliche Ende wird nur über eine drohende Tragödie erreicht. Vielleicht zucken wir bei manchen Bemerkungen über Ameerah zusammen, die uns heute politisch nicht korrekt oder beleidigend erscheinen mögen, aber man spürt, dass sie von Emily als Vorurteil gebrandmarkt und ausschließlich den ungebildeten Cupps in den Mund gelegt werden. (Nebenbei bemerkt wartet Frances Hodgson Burnett mit weniger stereotypen Vorurteilen auf als ihre Zeitgenössinnen wie etwa Flora Annie Steel und Ethel M. Dell.) Die Art, wie Ameerah beschrieben wird, ist nur ein Widerhall des damals herrschenden Misstrauens gegenüber fremden Rassen aus fernen Ländern: In In Der geheime Garten beschwört Martha, die Magd, den Zorn von Mary Lennox auf sich herab, weil sie von jedem Kind aus Indien annimmt, es müsse »schwarz« sein. Außerdem geben sie der Autorin einen exotischen und gefährlichen Kontrast zu dem bodenständigen und banalen britischen Handlungsort.

Emily ist nicht die einzige Figur, die sich seelisch entwickelt; Hester, Lady Maria, Walderhurst selbst, sie alle stehen unter dem Einfluss ihres »klaren Verstandes« und ihrer unerschütterlichen Überzeugung, die Welt sei voller Freundlichkeit. Lord Walderhurst bemerkt:

»Sie sagen oft, dass die Leute freundlich zu Ihnen sind.«
Emily sagte nichts darauf, sie fühlte sich ein klein wenig verlegen. Ihr wurde bewusst, dass sie nicht sehr klug war, und als bescheidenes Wesen fragte sie sich, ob sie wohl wie ein Papagei immer dieselben Sätze von sich gab und die anderen damit langweilte. Sie errötete bis über die Ohren.
»Die Menschen sind wirklich freundlich«, sagte sie zögerlich. »Ich – sehen Sie, ich habe nichts zu geben und scheine doch immer etwas zu bekommen.«

Aber das, was andere von Emily bekommen, bildet den Kern des Buches.

Frances Hodgson Burnett selbst nannte Emily Fox-Seton »eine Art Aschenputtel … mit großen Füßen statt kleinen.«

Ich liebe sie über alles … Die Klugheit des Ganzen (ich weiß, dass es klug ist) liegt in den Charakterstudien und in der Art und Weise, wie eine wildromantische Situation mit vollkommen gewöhnlichen und unromantischen Menschen und Dingen auf stimmige Weise verquickt wird. Der Marquis von Walderhurst ist völlig unromantisch, und so auch die freundliche, gar nicht kluge Emily Fox-Seton.

Emilys Erfinderin war auch eine Art Aschenputtel gewesen, die durch ihr Talent und ihren Ehrgeiz von der Lumpenmarie zur Goldmarie aufgestiegen war und die feinen Unterschiede einer klassendominierten Gesellschaft nur allzu gut kannte. 1849 in einem Vorort von Manchester geboren, drittes Kind eines »Eisenwarenhändlers und Silberschmieds«, lebte sie in relativem Wohlstand bis zum frühen Tod ihres Vaters im Jahre 1853. Von da an ging’s bergab mit der Familie, bis Frances die Sache selbst in die Hand nehmen konnte. Ihre verwitwete Mutter zog in einen weniger gesunden Teil von Salford, wo Frances die Armut ganz aus der Nähe beobachten konnte, während sie ein Ohr für Dialoge entwickelte, was ihr später beim Schreiben zugute kam. 1865 schließlich nahm Mrs. Hodgson ihre Sprösslinge (zwei Söhne und drei Töchter, Frances lag genau in der Mitte) und fuhr mit einem Segelschiff zu ihrem Bruder nach Tennessee.

Damit hatte sie die schmutzigen Straßen des industriellen Englands gegen saftige grüne Täler und eine schlichte Blockhütte eingetauscht. Der Amerikanische Bürgerkrieg ging gerade seinem Ende entgegen, und die ländliche Gesellschaft war unzivilisiert und isoliert. Aber Mrs. Hodgson hatte Standards hochzuhalten, und mochten sie auch Hunger leiden, so hatten sie doch Silberbesteck und feines Leinen für den Tisch, und »in einer Gemeinschaft, in der nicht jeder Schuhe oder gar Unterwäsche besaß, trugen die Mädchen immer die nettesten geblümten Musselinkleidchen, weiße Strümpfe und Riemchenschuhe.«

Frances lernte früh die Macht des äußeren Scheins kennen. Aber sie war auch praktisch veranlagt und sich nicht zu schade, Wildtrauben zu ernten, um Geld zu verdienen, oder eine Schule zu betreiben, in der mit Gemüse bezahlt wurde. Und die ganze Zeit schrieb sie, wie Louisa M. Alcott in Boston, bombardierte die Herausgeber von Zeitschriften mit ihren romantischen Geschichten, die im Jahr 1868 schließlich publiziert wurden. Außerdem umwarb sie der Sohn des ansässigen Arztes, Swan Burnett, den sie 1873 heiratete und mit dem sie nach Washington ging.

Frances wurde in ihrer Ehe nicht glücklich, obwohl ihr zwei Söhne geschenkt wurden, Lionel and Vivian, die sie über alles liebte und die für Der kleine Lord Pate standen. Sie war eine umtriebige Frau, ständig auf Achse mit ihren Reisen über den Atlantik und durch Europa, ständig zwischen wilden Energieausbrüchen und nervöser Erschöpfung hin und her schwankend. Sie war die Hauptverdienerin; und sie war der Herr im Haus. Mit dem Erfolg von That Lass o’ Lowrie’s im Jahre 1877 fasste sie in der Literaturszene Fuß, brachte von nun an einen Roman nach dem anderen heraus und verfasste nicht weniger als dreizehn Bühnenstücke. Gladstone bewunderte sie, Israel Zangwill war ein enger persönlicher Freund und sogar Henry James, der sich ansonsten ihren Versuchen, ihn zu ihrem Halbgott zum machen, geschickt entzog, nannte sie einen »confrère«. Sie verkehrte in Künstlerkreisen und in den gehobenen Kreisen und überwand viele Grenzen allein durch ihre unwiderstehliche Vitalität, die über ihre untersetzte Figur, ihr gefärbtes Haar, ihre exzentrische Kleidung und die melodramatischen Zusammenbrüche in ihrem Privatleben hinwegsehen ließen.

Frances hatte etwas Erdrückendes und sie war unberechenbar, aber sie hatte auch wundervolle Fähigkeiten. Sie spielte unglaublich gerne die gute Fee – war aber keinesfalls eine Lady Bountiful, wie sie immer betonte –, und wenn sie ihren Verwandten aus England, die ihr in dunklen Tagen Gutes getan hatten, eine Freundlichkeit erwies, dann hatte ihre Großzügigkeit immer auch etwas Praktisches, zum Beispiel richtete sie ihnen nette Pensionen ein, mit denen sie einen auskömmlichen Lebensunterhalt verdienen konnten. Kinder und Bedienstete mochten sie, weil ihre sonderbaren Eigenheiten echt waren, und ihr Sohn blieb ihr – obwohl Der kleine Lord für ihn zeitlebens eine Bürde war – von ganzem Herzen zugetan. Was sie nicht besaß, war ein gutes Urteilsvermögen, das hatte sie weder in der Literatur noch bei der Wahl ihrer Ehemänner bewiesen. Ann Thwaites Biografie Waiting for the Party (1974) legt Zeugnis ab von ihrer chronischen Rastlosigkeit und ihren verheerenden emotionalen Verstrickungen, wie auch von ihrer Energie und Entschlossenheit. Zu Lebzeiten war sie eine populäre Autorin, heute basiert ihr Ruf vor allem auf Kinderbüchern wie Der geheime Garten.

Dieses Buch und Die Liebenden von Palstrey Manor haben vieles gemeinsam. Beide sind einfach geschrieben, ohne die Gefühlsduselei, von der dieser phänomenale Kassenschlager, Der kleine Lord, durchdrungen war. Beide haben die Emotionen im Griff und ziehen den Leser direkt ins Geschehen hinein, etwa in der Szene, in der Colin im Garten ausruft: »Ich werde für immer und ewig und ewig leben!« oder mit dem Marquis von Walderhurst, der mit der Sturheit der Verzweiflung seine Emily von der Schwelle des Todes zurückruft. Anders als in Frances Hodgson Burnetts emotional aufgeladenen Liebesgeschichten oder den Geschichten vom Leben in der Gosse, schildert sie hier eine Welt, die sie aus eigener Erfahrung kennt, und sie ist nicht zurückhaltend, wenn es darum geht zu zeigen, wo ihre Sympathien liegen.

Bis vor Kurzem war dieses Buch vergessen, jetzt steht es in Amerika wieder auf dem College-Lehrplan. In einem Kurs mit dem Thema Romancing the Novel steht es auf der Leseliste zwischen Stolz und Vorurteil, Jane Eyre, Daisy Miller, Lady Chatterleys Liebhaber, Lolita und Der englische Patient. Ich bin froh, dass es wieder aufgelegt wird. Im Zeitalter der Anspruchshaltung und der Wehleidigkeitskultur ist es eine sanfte Erinnerung an die wahren Werte. Die Autorin nannte es: »So ein nettes Ding. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, mit welcher Freude ich es geschrieben habe«, diese einfache Geschichte, die so viel Wärme und Charme besitzt. Unter den unglaublichsten Umständen siegt die Tugend, und ich zumindest bin mir absolut sicher, dass es für Emily und ihren Marquis hieß: Sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.

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