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»Eine kurze Geschichte von sieben Morden« von Marlon James (Heyne Hardcore)

Einige der vielen Figuren, die in Ihrem Buch auftauchen, sind die Männer, die 1976 versucht haben, Bob Marley zu töten. Sie sagen, dieses Ereignis habe Sie Ihr ganzes Leben hindurch verfolgt und Jamaika nachhaltig verändert. Warum hatte es so eine Bedeutung?

Ich selbst war ja noch ein Kind und habe es damals nicht verstanden. Aber ich denke, manchmal unterschätzen wir Kinder. Selbst wenn ich nicht verstanden habe, was da genau vor sich ging, verstand ich doch die Angst in den Augen der Leute. Es war eines dieser Ereignisse, bei denen du spürst, dass da etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Dass nun nichts mehr so sein würde, wie es einmal war. Die Wahl, die unmittelbar nach dem Attentat stattfand, war eine der gewalttätigsten in der Geschichte Jamaikas. Es war wie eine Sintflut. Du musstest nicht dreißig sein, um das zu verstehen. Marley war unnahbar, unantastbar. Er war wie ein allseits akzeptiertes Allgemeingut, dem niemand Schaden zufügen würde. Aber dann hat es doch jemand getan. Sein Haus war wie ein Heiligtum, in dem sowohl der Premierminister als auch die härtesten Gangster ein- und ausgehen konnten. Ein gesegneter, friedlicher Ort. Eigentlich galt die Attacke, so seltsam das klingen mag, mehr dem Haus selbst als den Personen, die sich darin befanden.

Die Geschichte spielt vor dem aufreibenden politischen Hintergrund Jamaikas in den 1970er-Jahren. Mitten im Kalten Krieg war die Insel in zwei Lager geteilt, die beide von Kriminellen kontrolliert wurden. Wie kam es dazu? Welche Bedeutung hatte der Kalte Krieg für Jamaika?

Der Kalte Krieg hatte einen enormen Einfluss, denn in den 70er-Jahren wandte sich das Land mehr und mehr dem Sozialismus zu. Premierminister Michael Manley erklärte den demokratischen Sozialismus zum politischen Ziel. Und wie wir in der Debatte um Bernie Sanders im US-Wahlkampf sehen können, denken viele Leute, Sozialismus sei nur eine Vorstufe des Kommunismus. Wegen dieser Angst vor dem Kommunismus wären wir unfreiwilligerweise fast einer der Hauptakteure des Kalten Krieges geworden. Wir waren wie eine unwissende Nebenfigur in einem James-Bond-Film. Die Dokumente und Zeitzeugnisse, auf die ich bei meinen Recherchen gestoßen bin, lesen sich wie ein Thriller. Ich fühlte mich, als würde ich ein John-le-Carré-Buch schreiben.

In dem Buch gibt es Anklänge an den amerikanischen Schriftsteller James Ellroy, der über das Kennedy-Attentat geschrieben hat. War er eine große Inspiration?

Ellroy war eine immense Inspiration für mich. Ehrlich gesagt war Ellroys Panorama der USA wie eine Bibel für mich, so wie Don DeLillos Libra für ihn. Es lag die ganze Zeit auf meinem Schreibtisch. Ich habe es immer wieder durchgeblättert. Es beschreibt einen der grausamsten Wendepunkte der amerikanischen Geschichte. Und Ellroy erzählt dieses Ereignis aus der Perspektive und in der Sprache gewöhnlicher Leute, die es niemals in die Geschichtsbücher schaffen würden. Das war eine große Inspiration für mich. Auf einer Pressekonferenz fragte mich jemand: »Wird das der erste Kriminalroman, der den Booker Prize gewinnt?« Ich habe nur geantwortet: »Ich weiß nicht, aber wenn Sie das so sagen wollen, nehme ich es gerne an.«

Eine Schlüsselfigur ist der psychopathische Gang Leader Josey Wales, dessen Geschichte das gesamte Buch umspannt. Trotz seiner hohen Gewaltbereitschaft beschreiben Sie ihn nicht ausschließlich negativ. Warum?

Es ist mir wichtig, dass meine Figuren widersprüchlich sind, egal ob es sich dabei um Helden, Verbrecher oder wen auch immer handelt. Man kann Josey Wales nicht auf ganzer Linie verurteilen. Er hat schreckliche Dinge getan, eine Frau ermordet. Aber er ist auch derjenige, der die Spielchen der CIA und der Politiker durchschaut. Und er erkennt als Einziger, dass es ein schrecklicher Fehler wäre, den Sänger zu töten, weil es ihn von einem lebenden Feind zu einem Märtyrer machen würde. Man kann nicht einfach sagen: „Er ist eine furchtbare Figur.“ Außerdem bietet er eine gute Gelegenheit, den Hochmut darzustellen, mit dem die Mächtigen die armen Leute behandeln, die die Drecksarbeit für sie erledigen.

Weil wir eben schon über andere Schriftsteller gesprochen haben: Wie man seine widerwärtigen Figuren zu lieben lernt, scheinen Sie sich von Jane Austen abgeschaut zu haben.

Ja, auf jeden Fall. Es mag erst mal komisch klingen, aber in vielerlei Hinsicht ist Josey Wales meine Austen-ähnlichste Figur. Denn in Stolz und Vorurteil sind die widerwärtigsten Figuren die mit dem realistischsten Weltbild. Jeder denkt, Mrs. Bennet sei eine schrille, hysterische Gestalt, aber sie ist auch die Einzige im gesamten Buch, die weiß, was Sache ist. Viele Leute verehren Jane Austen, aber ich glaube nicht, dass alle erkennen, wie schlau und hintersinnig sie eigentlich ist.

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