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SPECIAL zu Elisabeth Herrmann »Seefeuer«

Elisabeth Herrmann
© Random House/Isabelle Grubert
ELISABETH HERRMANN wurde 1959 in Marburg/Lahn geboren. Sie machte Abitur auf dem Frankfurter Abendgymnasium und arbeitete nach ihrem Studium als Fernsehjournalistin beim RBB, bevor sie mit ihrem Roman "Das Kindermädchen" ihren Durchbruch erlebte. Fast alle ihre Bücher wurden oder werden derzeit verfilmt: Die Reihe um den Berliner Anwalt Vernau sehr erfolgreich mit Jan Josef Liefers vom ZDF. Elisabeth Herrmann erhielt den Radio-Bremen-Krimipreis und den Deutschen Krimipreis 2012. Sie lebt mit ihrer Tochter in Berlin.cbt sprach mit der Autorin über ihren neuen Roman "Seefeuer".
„Abseits des Weges hat man die schönsten Aussichten.“

Interview mit Elisabeth Herrmann (Mai 2014)


Liebe Frau Herrmann, seit 2005 haben Sie sechs Kriminalromane, zwei historische Romane und vier Hörspiele veröffentlicht. Zudem erscheint jetzt mit „Seefeuer“ Ihr vierter Jugendroman und nebenbei schreiben Sie auch noch die Drehbücher Ihrer Romanverfilmungen… Wie passt das alles in nur ein Leben?
Ich habe einfach viel ausprobiert: Was funktioniert, was macht Spaß, wo bleibe ich länger dran, womit habe ich Erfolg? Und mit einem Hörspiel, wie beispielsweise einem Radio-Tatort, ist man ja kein ganzes Jahr beschäftigt. Da bleibt noch genug Zeit, um zu recherchieren und an weiteren Projekten zu arbeiten. Alle diese unterschiedlichen Arbeiten haben ja eine Gemeinsamkeit: sich Geschichten auszudenken.

In den letzten Jahren wurden einige Ihrer Romane erfolgreich im ZDF verfilmt – auch „Schattengrund“ soll demnächst als Film zu sehen sein. Teilweise haben Sie auch die Drehbücher geschrieben. Haben diese Erfahrungen Ihr Schreiben beeinflusst? Sehen Sie jetzt vielleicht auch Ihre neu entstehenden Geschichten bereits als „Film“ vor sich?
Ich sehe die Geschichten nicht als Film vor mir, aber man hat mir schon früh gesagt, ich würde sehr filmisch schreiben. Eigentlich ist es doch auch der Sinn des Lesens und des Schreibens, dass man Kino im Kopf hat, eine Geschichte erlebt und sich darin aufgehoben fühlt. Oder auch erschüttert wird oder erschauert. Durch die Drehbucharbeit ist die Dramaturgie meiner Geschichten noch mal geschliffen worden. Beim Drehbuch hat man nur das Skelett der Geschichte. Es muss alles in drei Sätzen gesagt sein. Da konzentriert man sich wirklich absolut auf das Wesentliche. Man hat den Kern der Geschichte vor sich und kann dann wie an einen abgenadelten Christbaum im Februar hier eine Kugel und dort eine Kugel dranhängen und so den Baum wieder schmücken.

Wie fühlt es sich an, seine eigenen Geschichten als Hörbücher vorgelesen oder als Filme vorgespielt zu bekommen? Bekommt man dadurch selbst noch einmal einen anderen Zugang?
Absolut! Nehmen Sie zum Beispiel so einen Glücksfall wie Laura Maire beim Hörbuch von „Schattengrund“. Ich wollte eigentlich nur kurz reinhören und bin bis drei Uhr morgens an dieser Stimme hängen geblieben. Sie hat mich wirklich mit einem seidenweichen sanften Spinnennetz noch einmal in diese Geschichte hineingezogen und sie durch Sprache und Einfühlungsvermögen neu erleben lassen. Da fühlt man sich als Autor auch geadelt, man bekommt eine Art Ritterschlag. Toll war auch der Moment, als ich das erste Mal an einen Drehort kam, damals für „Das Kindermädchen“. Es ist schon circa 15 Jahre her, aber ich kann mich noch daran erinnern, wie ich an einem uralten Computer mit einem riesigen Monitor saß und diese Szene schrieb. Und auf einmal bin ich mittendrin. Das war ein ganz tief berührendes Erlebnis. Das war eine absolute Premiere, dieses: „Boah, ich stehe in meinem eigenen Buch und sie sprechen meine Sätze.“

Sie haben nun schon zahlreiche Romane für Erwachsene und Jugendliche geschrieben. Unterscheidet sich Ihr Arbeiten, wenn sie für ein jüngeres oder ein älteres Publikum schreiben?
Ja, da gibt es einen ganz großen Unterschied. Die Älteren, also Leser ab 30, haben schon das eine oder andere erlebt. Da kann man also in die Trickkiste des Grauens greifen. Junge Menschen, die am Anfang ihres Weges stehen, haben noch ein ganz großes Gerechtigkeitsempfinden, das im Laufe der Jahre – leider Gottes – immer mehr von außen beschädigt wird. Für mich war es daher wichtig, einen Ausweg zu zeigen, also das Grauen nicht als ausweglos zu beschreiben. Ich drücke es mal so aus: In den Erwachsenenbüchern suche ich das Böse, in den Jugendbüchern suche ich das Gute. Und auch im Schreiben ist es ein Unterschied. In meinen Erwachsenenbüchern gebe ich meinen Hauptcharakteren eine andere Stimme. Es sind oft gebrochene Charaktere, die auch ganz anders sprechen als junge Menschen.

Ihr letzter Jugendroman „Seifenblasen küsst man nicht“ (2013) war kein Thriller, sondern eine moderne Aschenputtel-Geschichte. In „Seefeuer“ gibt es dagegen wieder jede Menge Geheimnisse, Intrigen und gefährliche Situationen. Waren Sie froh, wieder über Mord und Totschlag zu schreiben?
Bei „Seifenblasen“ hatte ich einfach diese süße Geschichte im Hinterkopf und meiner Lektorin geschickt. Und dann haben wir gesagt, „das wird so ein kleines ‚Zwischendurch‘“. Und was soll ich sagen, so ein kleines Zwischendurch gibt es nicht. Es ist verdammt genauso viel Arbeit wie ein großes Zwischendurch. Zumal es ja auch um Formel 1 geht. Da war ich in Hockenheim und Oschersleben, bin bei der DTM mitgefahren und habe in der Startposition gestanden. Das einzufangen ist das Tolle am Schreiben. Von daher war es ein wunderbarer Ausflug in ein anderes Genre und es hat mir viel Spaß gemacht.

In einem Interview haben Sie einmal den schönen Satz gesagt: „Ich liebe es, mir meine Geschichten mit eigenen Händen auszugraben. Eigentlich bin ich eine Geschichten-Archäologin.“ Können Sie das anhand von „Seefeuer“ näher erklären?
Ich habe eine Idee und die hört sich ganz zauberhaft an. Ein Schiff ist vor über 60 Jahren gesunken und an Bord ist ein Familiengeheimnis, das gelüftet werden muss. Das klingt genial einfach, wenn man das so erzählt. Dann kommt man aber dahinter, dass man sich da erst mal erkundigen muss: Welche Schiffe sind damals gefahren, wie konnten die untergehen, wie war die Situation mit den Seefeuern, also mit den Leuchttürmen, wann begann bei denen die Elektrizität? Da kommen Sie vom Hölzchen aufs Stöckchen. Denn es soll ja alles authentisch sein. Das heißt, ich muss die Geschichte vorher ausgegraben und erarbeitet haben. Wenn man keine ordentliche Geschichtsarchäologie betrieben hat, bleibt einem von der eigenen Geschichte viel verborgen. Nur wenn man das alles freigelegt hat, kann man sagen: das nehme ich… und das… und das. Und dann wird es rund.

Sie haben schon oft betont, dass Sie gerne wahre Geschichten weiterspinnen und wie wichtig Ihnen eine genaue Recherche bei Ihren Buchideen ist. Haben Sie auch für „Seefeuer“ wieder Recherchereisen unternommen und sind auch hier wahre Begebenheiten miteingeflossen?
Natürlich! Am schönsten war der Besuch in der Seehundstation Friedrichskoog. Da habe ich mich mit der Stationsleiterin getroffen und wir haben eine richtig tolle Führung bekommen. Ich habe viel über die Arbeit dieser Station und über die der Seehundjäger gelernt, auch über das Wattenmeer, die Gezeiten und die Inseln. Das war ganz zauberhaft. Es freut mich, wenn es solche Begegnungen gibt und man dann weiß: Hier bin ich richtig mit meiner Geschichte.

Recht zu Beginn von „Seefeuer“ sagt Marie: „Es bringt nichts. Wenn du die Umstände nicht ändern kannst, musst du sie akzeptieren.“ Aber Marie – und auch die Protagonistinnen Ihrer anderen Jugendbücher – sind Mädchen, die sich eben nicht mit den für sie „vorgesehenen“ Lebensläufen zufrieden geben, sondern ihr Leben selbst gestalten wollen und dies auch tun. Ist das eine Botschaft an die jungen Leser: „Nehmt euer Schicksal selbst in die Hand“?
Absolut! Sich nicht an das halten, was die Eltern sagen. Seinen eigenen Weg suchen und finden und das gegen alle Widerstände. Ich glaube, man muss wirklich selber auf sich hören und auch den Mut zum Irrtum haben. Ich kann meine Leser nur dazu ermuntern, auch mal einen Fehler zu machen und Irrtümer zu begehen. Das Leben ist unendlich lang. Lasst euch nicht einreden, dass es darauf ankommt, dass ihr mit 15 schon wisst, welchen Beruf ihr erlernt oder dass ihr das Abi machen und danach studieren müsst, weil sonst nichts aus euch wird. Wenn ein junger Mensch in sich etwas entdeckt, das nicht 08/15 ist, dann soll er da sehr genau nachhaken und schauen, was er daraus machen kann. Es werden Künstler, Akrobaten, Schriftsteller, Politiker und UN-Abgeordnete gebraucht; Berufe, für die es keine gezielte Ausbildung gibt. Also: Mut zum Träumen, Mut, den Weg auch mal zu verlassen. Abseits des Weges hat man die schönsten Aussichten.

Auch das Motiv der „Reise“ oder des „Weggehens“ spielt in Ihren Jugendthrillern eine wichtige Rolle. In „Lilienblut“ flieht Sabrina vor den Weinbergen, in „Schattengrund“ macht sich Nicola auf die Suche nach Ihrer Vergangenheit in den Harz auf und in „Seefeuer“ fühlt sich Marie in mehrerer Hinsicht „entwurzelt“. Kann man Ihre Geschichten auch als klassische Heldenreisen lesen?
Ja, ich denke schon. Es muss Punkt A und B und die Reise zu Punkt B geben. Es wird eine Aufgabe gestellt und die muss gelöst werden. Und was dann tatsächlich meine Heldinnen unter der Hand an Erfahrung mitnehmen, an Weisheiten oder auch an Dingen, die sie nicht mehr machen, das ist das Ergebnis dieser Reise.

Ihren Jugendbücher haftet auch ein Hauch von etwas „Fantastischem“ an. Bei „Schattengrund“ ging es um die Grenzen zwischen Wahrheit, Einbildung und Erinnerung. In „Seefeuer“ gibt es zum Beispiel die Szene, in der Marie von einer scheinbar verwirrten Frau angesprochen wird, sie habe den „Geruch des Meeresgrundes“ an sich. Hätten Sie auch mal Lust in einem Ihrer Romane eine ganz eigene fantastische Welt zu erschaffen?
Absolut. Ich müsste nur wissen, welche Szenarien noch nicht verbraten wurden. Es gibt des Öfteren eine Diskussion mit meiner Tochter, die alles liest, was auf dem Markt ist. Und dann sage ich: „Du, pass mal auf, wie ist das, wenn die Leute, von denen du träumst, wenn die…“ – „Mama, gibt es alles.“ Dann sage ich: „Was ist denn, wenn dein eigener Schatten…“ – „Mama, das gibt es alles schon…“.

In „Seefeuer” steht auf dem Bergungsschiff Sea Fire folgender Satz als Inschrift über der Kantinentür: „What is lost, must be found. Was verloren ging, muss gefunden werden.“ Dieser Satz ist dem Buch auch als Motto vorangestellt. Marie hinterfragt diese Aussage im Buch: „Ist das so?“. Daher auch die Frage an Sie: „Ist das so?“ Muss gefunden werden, was verloren ging?
Muss alles gefunden werden? Will alles gefunden werden? Das ist die Frage. Ich habe lange darüber nachgedacht. Wenn wir etwas vergessen, oder weggelegt haben, ist es etwas anderes, als wenn wir etwas verloren haben. Wenn etwas verloren gegangen ist, glaube ich, will es auch wieder gefunden werden: verloren gegangene Lieder, Erinnerungen, Gegenstände... Aber manchmal steht ja beim Verschwinden auch ein Wille dahinter. Dann ist es nicht verloren gegangen, sondern hat sich abgesetzt oder ist verschwunden, oder man hat es wirklich bewusst entfernt. Dann muss man da auch nicht hinterher sein. Aber ansonsten gilt: „What is lost, must be found.“

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch wurde für den cbt-Verlag von Anna Heubeck geführt.