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Elizabeth Kelly über »Die offizielle Verabschiedung meiner langjährigen Kindheit«

»Für mich ist der Roman eine reine Übung der Vorstellungskraft«

Elizabeth Kelly über Familie, Inseln, Ideen und ihre Tätigkeit als Schriftstellerin

Wann haben Sie angefangen zu schreiben – nicht nur an »Die offizielle Verabschiedung meiner langjährigen Kindheit«, sondern ganz allgemein?
Elizabeth Kelly: Beruflich schreibe ich seit meinen Zwanzigern, da habe ich für Zeitungen und Zeitschriften gearbeitet, aber eine frühe Einführung in das Schreiben bekam ich schon, als ich noch viel jünger war. Mein Vater war Schriftsteller – er schrieb zunächst Werbetexte und führte politische Kampagnen, später wurde er dann Dokumentarfilmer und schrieb Theaterstücke und Romane –, und als ich ein Teenager war, warb er mich ganz aktiv als Hilfskraft an. Mit dem belletristischen Schreiben habe ich erst mit über dreißig angefangen – ich hätte nie gedacht, dass ich die Disziplin aufbringen würde, einen Roman zu beenden –, obwohl das immer mein Ziel war.

Wie kamen Sie auf die Idee zu »Die offizielle Verabschiedung meiner langjährigen Kindheit«?
Elizabeth Kelly: Ich würde sagen, es war zunächst eher das Aufflimmern einer Idee als eine umfassende Vision. Im Gegensatz zu anderen Schriftstellern bin ich keine Ideenmaschine. Ich bin auch nicht der Typ, der sich hinsetzt und das Schreiben wie einen normalen Bürojob betrachtet. Für mich ist es keine Frage des Stolzes, über Inspiration verächtlich die Nase zu rümpfen – bei mir muss die Inspiration einschlagen wie ein Blitz. Ich verabrede mich auch nicht hin und wieder mit Ideen, ich verliebe mich in eine, gehe mit ihr eine feste Beziehung ein, und dann fängt die Arbeit für mich an.
Bei mir öffnet sich immer nur ein ganz kleines Fenster und gibt den Blick auf einen Ausschnitt des Gesamtbildes frei. »Die offizielle Verabschiedung meiner langjährigen Kindheit« entstand zum Beispiel aus einem winzigen, immer wiederkehrenden Bild: Ein Mädchen blickt durch ein Loch in einem Zaun, bekommt dabei etwas Verstörendes mit, erzählt aber niemandem davon – ironischerweise spiegelt das auch meinen Schreibprozess wider.
Ich lasse diese winzige Ahnung in meinem Unterbewusstsein über Monate, vielleicht sogar ein Jahr lang vor sich hinköcheln, und dann fange ich mit dem eigentlichen Schreiben an – das ist für mich ein organischer Prozess.

Familie ist ein zentrales Thema in Ihren Romanen. Was bedeutet Familie für Sie persönlich?
Elizabeth Kelly: Ich glaube, ich bin da wie viele Menschen: Mir ist Familie sehr wichtig. Ich habe einen Hang zum Einsiedlerleben, daher bilden mein Mann, meine Kinder, mein Enkelsohn und meine Schwestern auch mein komplettes Sozialleben. Haben die vielleicht ein Glück!
Obwohl ich in meiner Erzählliteratur mittels der Familie Ideen, Themen usw. ausdrücke oder darstelle, interessiert es mich gar nicht so sehr, über die Familie an sich zu schreiben – das konventionelle Familienleben zu erforschen, Alltagsdramen, eine kriselnde Ehe, eine Scheidung, die Probleme von Jugendlichen –, das würde mich langweilen.
Wenn ich eine Familie benutze, ist das für mich nicht viel anders, als würde ich eine Gruppe Offiziere oder Arbeitskollegen als universelle Handlungsträger benutzen. Die Familie kann sich als lohnende Abkürzung erweisen, ein Treibhaus sein, in dem eine bestimmte Sichtweise der Welt heranwächst, und ein Schaukasten für die sieben Todsünden.

Ihre Romane »Die verrückten Flanagans« und »Die offizielle Verabschiedung meiner langjährigen Kindheit« spielen beide auf Inseln vor der amerikanischen Ostküste. Was reizt Sie an Inseln?
Elizabeth Kelly: Ich mag die Freiheit, die mir eine Insel als Handlungsort bietet. Sie dient einem größeren Zweck, indem sie die Menschen in einer Welt isoliert, die sie sich anscheinend selbst geschaffen haben, einer Welt, in der sie einerseits überlebensgroß sind, andererseits aber auch reduziert werden durch all die Verwirbelungen um sie herum. Es ist eine zeitlose Umgebung, isolierend, in stetem Wandel begriffen und von größeren Mächten umtost, ein Ort, an dem Menschen zu treiben scheinen, obwohl ihre Position fest verankert ist.
In meinen Romanen wird nie jemand von einem Stoppschild aufgehalten werden, niemand bleibt im Verkehr stecken oder wird die ganze Nacht vom Geräusch einer Autoalarmanlage wachgehalten. Die Figuren existieren losgelöst von den normalen Hintergrundgeräuschen des täglichen Lebens, dadurch kann der Leser sie besser hören.

Sie leben in Ontario, Kanada. Wie kommt es, dass Sie Cape Cod und Martha’s Vineyard so gut kennen?
Elizabeth Kelly: Als ich »Die verrückten Flanagans« schrieb, war ich noch nie auf Cape Cod gewesen. Auf Martha’s Vineyard war ich bis heute noch nicht, obwohl ich inzwischen viele andere Teile von Cape Cod besucht habe. Ich habe den Handlungsort für »Die offizielle Verabschiedung meiner langjährigen Kindheit« ausgewählt, nachdem ich in Wellfleet war – der Blick von den Bluffs herunter war eine Offenbarung! Ich wusste sofort, dass der Ort eine Rolle in meinem neuen Roman spielen würde.
Für mich ist der Roman eine reine Übung der Vorstellungskraft, die nicht durch die Identität des Autors oder persönliche Umstände eingeschränkt werden sollte. Ich habe den Krieg in El Salvador nicht selbst erlebt, aber ich habe mich mit seiner Geschichte vertraut gemacht und ließ dann meine Vorstellungskraft das Übrige tun. Ich denke, das macht Schriftsteller aus.
Es fasziniert mich, wenn ich manchmal Beschwerden eines empörten Lesers sehe, der in einem fiktiven Werk über eine belanglose Unstimmigkeit stolpert, etwa dass der Autor sich bei einem Straßennamen geirrt hat oder das Licht einer bestimmten Lampe nicht akkurat beschreibt. Ich verstehe, dass mithilfe von Genauigkeit der Traum im Fluss gehalten werden kann, und das ist auch ein sinnvoller Ansatz, aber ich glaube, seine Wichtigkeit wird überschätzt.
Schließlich ist ja alles erfunden. Holden Caulfield hat nie existiert. Auch Moby Dick, Gulliver, Daisy Buchanan und Stephen Dedalus nicht. Man betritt hier eine Welt der Lügen, und wenn Verzerrung oder eine falsche Darstellung oder sogar faktische Fehler einen Teil des Traums ausmachen und von den anderen Elementen des Romans überzeugend gestützt werden, dann möge es so sein. In »Die offizielle Verabschiedung meiner langjährigen Kindheit« geht es nicht um Cape Cod oder Wellfleet, nicht einmal um die Camperdowns – letztlich geht es nur um eine Sache: den Geist der Person, die es geschrieben hat.

In beiden Romanen spielen Tiere eine wichtige Rolle, manche sind für die Handlung fast ebenso wichtig wie ihre menschlichen Besitzer, und ihre Persönlichkeiten offenbaren sich den Lesern ebenso sehr wie die der menschlichen Protagonisten. Sie haben selbst auch einige Tiere – wann fing diese Freundschaft an und was schätzen Sie besonders an Tieren?
Elizabeth Kelly: Ich wuchs mit Tieren auf, die als Familienmitglieder betrachtet wurden. Derzeit habe ich fünf Hunde, zwei Leonberger und drei Shih Tzus, und zwei Katzen.
Meine Familie, vor allem meine Eltern, war immer sehr tierlieb und für mich sind vor allem Hunde die große, beständige Liebe meines Lebens (mein Mann möge mir verzeihen). Tiere bereichern das Leben ungemein.
Tiere sind komisch und amüsant, kompliziert und einfach, unfassbar unterhaltsam und interessant. (Wie viele Menschen hat man gern um sich?) Sie haben so viele beeindruckende Fähigkeiten und solch eine Begeisterung dafür, in diesem Moment zu leben. Ich maße mir niemals an zu verstehen, was sie denken, ich weiß nur, dass sie etwas denken.

Wenn Rezensenten über Ihre Romane schreiben, verweisen sie oft auf John Irving. Und mich erinnern sie sehr an »Die Geschichte der Wapshots« von John Cheever. Sind diese Autoren Vorbilder für Sie? Oder ganz allgemein gefragt: Wer sind Ihre Lieblingsautoren, welche Schriftsteller haben Ihr Schreiben beeinflusst?
Elizabeth Kelly: Der Verweis auf Irving kommt sehr häufig, und ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich noch nie etwas von ihm gelesen habe! Ich bin aber ein Fan der Kurzgeschichten von John Cheever.
Dylan Thomas war wohl mein erster literarischer Einfluss, weil ich ihn schon ganz früh, mit zwölf Jahren, gelesen habe. Am meisten hat mich sein Umgang mit Sprache fasziniert. Wenn ich an meine prägenden Jahre zurückdenke, haben mich Lyriker wahrscheinlich mehr beeinflusst als andere Schriftsteller.
Yeats, T. S. Eliot, Edna St. Vincent Millay, Philip Larkin – ich war begeistert von ihrem genialen Umgang mit Sprache im Dienste der Ideen und Gefühle.
Ich bewundere auch James Joyce und so viele andere: Martin Amis, Kingsley Amis, Nancy Mitford, Jane Bowles, William Maxwell, Kazuo Ishiguro, Lionel Shriver, Colm Toíbín, Donna Tartt, Richard Ford. Mir gefällt nicht immer alles, was sie schreiben, aber ich mag und respektiere ihr herausragendes Können und ihr Vertrauen in die Welten, die sie erschaffen.
Wenn ich lese, mag ich es gern, wenn ich das Gefühl habe, dass dem Autor die Seite gehört und dass er in Hinblick auf seine charakteristische Sprache, seine Beobachtungsgabe und seine Ideen so eine Macht hat, dass auch ich ihm gehöre.


Sie arbeiten auch als Journalistin. Worin liegt für Sie der Unterschied zwischen dem Schreiben von Artikeln und Essays und dem Schreiben von Erzählliteratur?
Elizabeth Kelly: Obwohl mir viele Aspekte des Journalismus gut gefielen und ich noch immer jede Zeitschrift und Zeitung lese, die mir in die Finger kommt, hat er mich im Laufe der Zeit doch immer weniger fasziniert, und schließlich verlor ich ganz das Interesse am Schreiben nichtfiktionaler Texte. Es gibt zwar viele wunderbare Journalisten und Möglichkeiten zur Veröffentlichung, aber der Bereich wird zunehmend von Leuten überrannt, die sich eigentlich für Mode, Styling, Klatsch, Promis, Populärkultur und digitale Kultur interessieren.
Journalismus sollte im Idealfall eine Berufung sein, kein Weg, um an kostenloses Make-up zu kommen, auf Pressereisen zu gehen, persönliche Publicity zu machen oder eine angesagte Boygroup zu treffen.
Ich bin schon lange nicht mehr mit dem Herzen dabei. Daher habe ich beschlossen, meine kreativen Energien auf das Schreiben von Erzählliteratur zu konzentrieren.

Was inspiriert Sie?
Elizabeth Kelly: Mut, Intelligenz, Güte.

Was sehen Sie, wenn Sie während des Schreibens aus dem Fenster blicken?
Elizabeth Kelly: Eine verwilderte Glyzinie, Baumwipfel, den Himmel und die Hausdächer meiner Nachbarn.

Schreiben Sie schon an Ihrem nächsten Roman? Und wenn ja, worum geht es?
Elizabeth Kelly: Gerade überarbeite ich einen Roman über einen Jungen, der eine Marienerscheinung gehabt haben soll.

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