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Elizabeth Strout über „Mit Blick aufs Meer“

»Ich liebe den Blick aufs Wasser, auf die Schiffe.«

Elizabeth Strout im Interview

Elizabeth Strout
© Yoon S. Byun /strewnwonder.com
Hat sich Ihr Leben durch den Pulitzerpreis und den großen Erfolg, den Ihr Roman „Mit Blick aufs Meer“ hatte, sehr verändert?

Einerseits ja, weil ich mehr auf Reisen war und viel mehr Leser treffen konnte als zuvor, und das hat mich sehr berührt – in verschiedenen Ländern Menschen kennenzulernen, die in meinem Buch so etwas wie Trost gefunden haben und/oder sich und ihre Welt in einem größeren Zusammenhang sehen konnten. Das hat mir sehr viel bedeutet. Aber andererseits bin ich immer noch ich selbst, daran hat sich nichts geändert. Ich gehe auch nicht öfter auf Partys als früher, und mein Freundeskreis besteht nach wie vor aus wenigen geliebten Menschen, die mir nahestehen.

Sie haben nur wenige Bücher veröffentlicht, dafür ist jedes ein Meisterwerk auf seine Art – wie finden Sie Ihre Geschichten und wie wird ein Buch daraus?

Ich kann eigentlich nicht so recht beschreiben, wie ich meine Geschichten finde, sie scheinen zu mir zu kommen. Zuerst sind es winzige Stücke, und wenn ich dann die Szenen ausarbeite, bekomme ich allmählich ein größeres Bild, ich probiere verschiedene Sachen aus und schreibe alles ständig um, so dass ich Jahre brauche, bis ich ein Werk präsentieren kann, das sich endlich ganz anfühlt, vollendet, logisch und wahr. Ich kann mir vorstellen, dass das keine befriedigende Antwort ist. Die richtige Antwort lautet: Ich weiß es nicht.

Haben Ihre Figuren reale Vorbilder?

Nein, so kann man es nicht sagen. Meine Figuren setzen sich aus ganz vielen realen Vorbildern zusammen. Erlebnisse aus der Vergangenheit ploppen hoch, manchmal nur kleine Schnipsel, und die verwende ich dann, zusammen mit anderen kleinen Schnipseln, und allmählich bekommt die Geschichte oder der Roman ein Eigenleben. Es ist fast so ähnlich wie träumen. Wenn in einem Traum eine Person aus dem realen Leben auftaucht, ist sie trotzdem anders als in Wirklichkeit.

In Ihrem neuen Roman „Das Leben, natürlich“ schreiben Sie über eine Familie aus Maine, zwei Brüder und eine Schwester, die nach langer Trennung wieder zusammenkommen, um ein Familienproblem zu lösen. Durch die Rückkehr nach Maine werden sie mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, mit den Folgen ihrer Lügen und ihres Schweigens, aber am Ende scheinen alle drei – mehr oder weniger – bereit, ein neues Leben anzufangen. Wollen Sie Ihren Lesern Hoffnung geben?

Ja, ich will meinen Lesern Hoffnung geben. Aber so, dass diese Hoffnung verdient ist und ehrlich. Ich will keine sentimentalen Geschichten schreiben, und damit meine ich unverdientes Gefühl. Meine Leser sollen mit meinen Figuren eine Erfahrung machen, die schmerzhaft sein mag, aber letztendlich – falls sie die Fähigkeit haben, und da gibt es viele Leute – können sie daran wachsen. Ich will auf keinen Fall, dass jemand mein Buch liest und dann keine Freude mehr am Leben hat oder glaubt, das Leben sei unwichtig und sinnlos. So denke ich nicht, und deswegen will ich auch nicht schuld daran sein, dass jemand anders so denkt. Was ich schreibe, ist immer eine Art Feier. Eine Feier dessen, was Menschen vollbringen können, obwohl sie so sind, wie sie sind. Eine Feier dessen, was Menschen ertragen können. Wie sie selbst bestimmen können, ob sie verbittern oder nicht.

Wahrscheinlich lesen Sie ziemlich oft vor Publikum, haben Sie immer noch Lampenfieber?

Ja, ich mache viele Lesungen, und ja, ich habe noch immer Lampenfieber. Manchmal bin ich überhaupt nicht nervös und freue mich, dass ich endlich drüber weg bin, aber beim nächsten Mal bin ich dann garantiert wieder aufgeregt. Ich könnte gut darauf verzichten.

Machen Sie gerne Urlaub oder bleiben Sie lieber zu Hause in Maine und in New York City?

Ich verreise gern, aber am liebsten sind mir die ganz normalen Tage. In Maine ist das Leben anders, weil wir da in einer Kleinstadt sind und eine große Familie und eine Menge Freunde haben, man fühlt sich geborgen. Aber New York lieben wir auch. Natürlich kann man das überhaupt nicht vergleichen. Mal bin ich lieber in Maine, mal in New York. Im Grunde fühle ich mich immer da am wohlsten, wo ich gerade bin.

Wo wohnen Sie in New York? Fühlen Sie sich zu Hause, wenn Sie in Ihre Straße kommen?

Wir wohnen in Manhattan. In dieser Gegend leben wir schon fast drei Jahre, und ja, ich fühle mich da zu Hause.

Haben Sie ein Morgenritual – Kaffee oder Tee, joggen, Zeitung lesen etc.?

Mein Morgenritual ist das Frühstück mit meinem Mann, dann an die Arbeit. Am besten kann ich morgens arbeiten, bevor ich irgendwas lese oder mit jemand anders rede oder rausgehe.

Wie sieht Ihr Schreibtisch oder Ihr Arbeitsplatz aus?

Ich arbeite nicht so oft an einem Schreibtisch. Manchmal an einem Tisch. (Ich habe gar keinen Schreibtisch.) Meistens sitze ich dabei irgendwo, auf der Couch, auf verschiedenen Stühlen, manchmal gehe ich in die Bibliothek. Ich arbeite überall.

Was sehen Sie, wenn Sie aus Ihrem Fenster schauen?

Aus einem Fenster in New York sehe ich den East River – Schlepper und riesige Frachter – ich liebe diesen Ausblick. Ich liebe den Blick aufs Wasser, auf die Schiffe. Ich werde ganz aufgeregt, wie ein Kind. Durchs andere Fenster sieht man die hohen Häuser New Yorks, und das ist besonders schön in der Nacht, wenn die Lichter angehen. In Maine schaue ich auf einen Park und die Hauptstraße der Stadt. Es ist einfach wunderschön, wirklich. Die Fenster sind sehr hoch, und das Licht in Maine ist einzigartig, es ist so scharf.

Hören Sie beim Schreiben Musik? Welche?

Beim Schreiben höre ich keine Musik, nein, das könnte ich nicht. Es würde mich viel zu sehr ablenken.

Haben Sie einen strengen Stundenplan?

Manchmal ist mein Stundenplan beim Schreiben sehr streng und manchmal nicht, es hängt davon ab, womit ich gerade beschäftigt bin. Aber ich arbeite fünf Tage die Woche, fast immer.

Mögen Sie Haustiere?

Ich mag große Hunde, früher hatte ich Golden Retriever. Im Augenblick haben wir keine Haustiere.

Haben Sie ein Lieblingsessen?

Nein, ich habe kein Lieblingsessen, aber ich mag alles, was jemand für mich kocht, entweder selbst oder in einem Restaurant.

Gibt es einen Beruf, den Sie lieber ausüben würden?

Ich könnte keinen anderen Beruf ausüben. Aber in meinem nächsten Leben, wie man so sagt, möchte ich Arzt sein. Ich liebe alles, was mit Medizin zu tun hat, ich wäre gern ein guter Diagnostiker.


E-Mail-Interview mit Elizabeth Strout im Januar 2013.
Die Fragen stellten Christine Popp und Karsten Rösel vom Luchterhand Literaturverlag.

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