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SPECIAL zu Elke Heidenreich »Ein Traum von Musik«

Ein Traum von Musik - Liebeserklärungen

Vorwort

Man verliebt sich immer in die Musiker
Elke Heidenreich
© Bettina Flitner
Meine Mutter und ich, wir hatten es nicht leicht miteinander. Die im Krieg verhärtete Frau mit dem zu späten Kind, sie war fast vierzig, das im Krieg geborene, schwierige, aufsässige Kind, der früh fehlende Vater – es gab unendlich viele Konflikte und doch einen immer wieder funktionierenden Punkt der Versöhnung: die Musik. Wenn im Radio klassische Musik lief, wurden wir beide weich, freundlich, lächelten uns wieder an und machten uns auf schöne Stellen aufmerksam, und meine Mutter sagte: "Als ich schwanger war, mitten im Krieg, habe ich mir, wann immer es ging, das Radio auf den Bauch gelegt, ich wollte unbedingt ein musikalisches Kind."

Ist es ein Wunder, dass meine erste große Liebe, 1957, ein klavierspielender Junge mit blauen Augen aus meiner Schule war, er hieß Wolf? Wir andern tanzten Volkstanz, er spielte. Er besuchte mich zuhause, ich hatte ein schäbiges Kleinklavier, und er spielte und unsere armselige Wohnung leuchtete und wurde schön mit seinen Tönen, und mein erster Kuss galt aus meinem vollen, vierzehnjährigen Mädchenherzen ihm, dem Pianisten.
Mit siebzehn war es ein Geiger aus einem sogar berühmten Orchester, er war viel älter als ich, hieß Joachim, hatte eine Freundin fürs Bett, aber ich war die Märchenprinzessin, weil ich ihn einfach nur anhimmelte. Er spielte mir stundenlang vor, und ich bewunderte und liebte und schmachtete und hatte lange Jahre Schwierigkeiten mit Brahms, weil mein Geiger Brahms nicht mochte. Dann kam eine große unglückliche Liebe während der Studentenzeit, kein Wunder, der Mann war unmusikalisch. Ich kann sagen, dass es immer wieder Liebesversuche mit unmusikalischen Männern gab – sinnlos. Ich brauche einen, der ein Instrument spielt, ins Konzert geht, von der Oper schwärmt.
Dann habe ich das Gefühl, dass in der Liebe Seele steckt. Ich habe mich schon oft geirrt, bin aber aus solcherart Schaden nie klug geworden. Meine größte Liebe bleibt natürlich unerfüllt – Thomas Hampson ist glücklich verheiratet. Dabei muss es nicht immer nur Klassik sein! Ich war oft genug verliebt in den Gitarristen der Band, und wenn einer einen guten Song sang, hatte er mein Herz.
Zwölf Jahre lang legte ich im Pop shop in SWF 3 Platten auf, viele Nächte lang, und ich wusste, was der richtige Song zur richtigen Zeit bedeutet. Und ich schickte immer wieder diesen Sehnsuchtsruf der Hörer durch den Äther:

»Pilot of the airwaves,
here is my request:
you don't have to play it
but I hope you'll do your best!
I've been listening to your show on the radio,
And you seem like a friend to me.«


Charlie Dore hatte das gesungen, und für mich war klar, dass Gefühle, Verständnis, Freundschaft, Liebe nur über die Musik funktionieren konnten, egal, ob Klassik, Jazz, Pop – Hauptsache, die Töne erreichten das Herz mit Wucht und schlugen da ein, wo es weh tat. Der Kopf war genug beschäftigt, aber die Gefühle lagen oft brach, eine Sehnsucht fraß an mir, wie ein kleines trauriges Tier saß sie immer in der Ecke und beruhigte sich nur, wenn ich Bruce Springsteen hörte, Miles Davis, Schubert, und wenn alles ganz schlimm wurde, half nur noch Bach. Er hilft bis heute, und ich liebe das Gedicht von Reiner Kunze, nur ein paar kurze Zeilen, in denen die ganze riesige Kluft zwischen Künstler und Bürokratie, zwischen Kreativität und Verwaltung sichtbar wird. Es lautet:

»zu füßen gottes, wenn
gott füße hat –
zu füßen gottes sitzt
bach
nicht der magistrat
von leipzig.«


Das leuchtet ein: zu Füßen Gottes sitzt sein größter Musiker, und was gibt es Größeres als die Musik? Die Natur, die Tiere, die Gedichte, die Poesie. Dann die Bücher, die Bilder, alles brauchen wir, aber nichts erreicht uns unmittelbarer als die Wucht der Töne. Orpheus hat seine tote Eurydike damit zum Leben erweckt, und nur, weil er der eigenen Musik nicht traute und sich umdrehte, ob die Liebste auch wirklich käme, war alles verloren. Augen zu, hören, vertrauen.

Ich wollte immer treu sein, aber da waren dauernd die Musiker, die mir in den Weg der guten Vorsätze kamen. Es war wie beim Rattenfänger von Hameln: es macht einer schöne Musik und ich schleiche hinterher wie ein paralysiertes Kaninchen.

Ich habe mich dann gerettet vor soviel Abstürzen, indem ich Musik zu einem Teil meines Berufes machte – über Musik schreiben, für Musik arbeiten, Libretti schreiben und bearbeiten, zwölf Jahre an der Kölner Kinderoper mitwirken, immer nah dran an dem, was Musik kann: in diesem Fall Kinder verzaubern und auf eine ganz besondere Schiene setzen. Mit acht Jahren kamen sie in die Kinderoper, mit achtzehn hatten sie ein Abonnement fürs große Haus, und ich sah sie und saß im Dunkeln dabei, wenn wieder mal der Vorhang aufging, und ich wusste: ich war selbst der Rattenfänger geworden. Und dann diese Edition: Bücher herausgeben, die mit Musik zu tun haben, mit Schriftstellern arbeiten, die – wie Helmut Krausser, wie Hans Neuenfels, wie Günther Freitag oder Barbara Hall, Elena Cheah oder Julian Dawson Musiker oder Musik-Aficionados sind, leidenschaftlich umgetrieben von der Macht der Töne wie ich – es gibt kaum etwas Schöneres, als die eigene große Liebe so zum Lebensthema machen zu können. Ich war und bin immer verliebt in die Musiker, aber sie sind nur die Vermittler, das Medium – ich liebe durch sie die Musik. Und weil die nicht greifbar, begreifbar, fassbar ist, sind es eben die Musiker, die man küsst, wo man doch immer nur die Musik küssen möchte. Aber Schubert ist tot – also liebe ich stellvertetend den, der mir die Wandererfantasie spielt oder darüber schreibt. So einfach ist das.
Die Anthologie

An dieser Anthologie haben Autoren unterschiedlichster Professionen mitgearbeitet, denen aber eines gemeinsam ist: Ob Schauspieler, Journalisten, Regisseure, Schriftsteller, Politiker oder Zeichner – alle lieben sie die Musik. Es war eine Freude, ihre Texte zu lesen, zu sammeln, einzuordnen.

Was da alles kam! Ganze Lebensgeschichten und einzelne Liebeserklärungen, einschneidende Erlebnisse und ernste Bekenntnisse neben Anekdoten, und da kamen Billie Holiday und Bach, ein neuer Mantel, die Schneekönigin und der liebe Gott, erwachte Leidenschaft durch Zarah Leander, die Verzweiflung mit Ravel und die Verneigung vor Janácek, Elvis oder dem Rock'n'Roll, Gustav Mahler in Viersen und eine traurige Blockflötenmelodie auf einem Lastwagen, die singende und summende Natur, das Hüsteln bei Horowitz und die Suche nach sich selbst, die Trauer und der Trost, und immer wieder: das Radio.
Es war ein Glück, das alles nach und nach zu lesen und mit Menschen zu arbeiten, die so etwas fühlen, denken, lieben, beschreiben.
Ich danke allen, die einen Beitrag geleistet haben – von ganzem Herzen. Die Liebesgeschichte geht weiter, mein ganzes Leben hindurch. Das macht mein Leben zu einem glücklichen, egal, was sonst darin geschieht.

Elke Heidenreich

Ein Traum von Musik

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