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SPECIAL zu Eric Berg

Wussten Sie, dass Eric Berg einst Model war?

Eric Berg
© Derek Henthorn
Herr Berg, der ganz normale Mensch mit seinen psychischen Abgründen hat es Ihnen angetan. Warum ist das so?
Mich interessieren weder gestörte Serientäter, die ihre Opfer verstümmeln, um irgendwelche kranken Botschaften zu hinterlassen, noch der klassische Täter aus Gier oder Eifersucht, um nur zwei der gebräuchlichsten Motive zu nennen. Meine Mörder sind stinknormale Menschen wie du und ich, die in eine Situation geraten, in der sie nicht mehr ein noch aus wissen.
Und wer nun sagt, nein, das könnte mir nie passieren, den weise ich darauf hin, dass meine Romane nicht selten von tatsächlichen Mordfällen inspiriert sind. Dass ein Mensch zum Mörder wird, der nie etwas mit Verbrechen geschweige denn Gewaltverbrechen am Hut hatte, braucht es ein starkes Motiv. Zum Beispiel das Gefühl der Ohnmacht, das uns Selbstjustiz üben lässt. Wer hat bei allzu milden Gerichtsurteilen oder gar Freisprüchen, von denen wir lesen oder im Fernsehen hören, noch nicht dunkle Gedanken gehabt? Und um wie viel stärker ist diese Empfindung, wenn wir persönlich betroffen sind?
Aber das ist nur ein Beispiel. Es gibt mehr als eine Brücke, die harmlose, unbescholtene Bürger zu Mördern werden lässt.

Wenn man sich Ihre Figurenzeichnung genauer anschaut, dann gibt es nie eindeutige Täter oder Opfer. Jeder könnte beides sein.
Die meisten meiner Täter sind Opfer einer unglücklichen Verkettung von Umständen. Es ist so, als hätte das Verbrechen sie gefunden, nicht sie zum Verbrechen.

Ihre Kriminalromane spielen an der Ostsee – sind aber keine Regionalkrimis, wie man landläufig vermuten würde. Was macht Ihre Geschichten so universell?
Meine Krimis spielen alle auf zwei Zeitebenen – in der Gegenwart wird ermittelt, in der Vergangenheit befinden wir uns in einer Zeit, in der das Verbrechen noch nicht stattgefunden hat, sich aber alles in diese Richtung entwickelt. Gewissermaßen sind die beiden Ebenen wie zwei aufeinander zu fahrende Züge. Dadurch erhalten die Täter und Opfer im Roman ungewöhnlich viel Raum, der auf Kosten des Ermittlers geht. Im Regionalkrimi spielen die Ermittler jedoch meist die zentrale, die tragende Rolle, sie stammen aus der Region oder sind zumindest von einem solchen Team umgeben. Das ist bei mir ganz anders. Die Menschen und ihre Verführbarkeit zum Verbrechen stehen absolut im Mittelpunkt. Deshalb verliert die Region an Bedeutung, wenngleich sie natürlich in den Roman integriert ist.

Doch ein gewisses Faible für die Küste lässt sich erkennen: »Das Nebelhaus« spielt auf der Insel Hiddensee, »Das Küstengrab« auf Poel, »Die Schattenbucht« auf dem Darß, »Totendamm« in Heiligendamm und »Die Mörderinsel« in Trenthin. Es sind fast immer Inseln oder zumindest Halbinseln – warum?
Ich liebe begrenzte Räume, und eine Insel ist ein solcher Raum, selbst wenn sie bequem über eine Brücke erreicht werden kann. Sie verstärkt das Gefühl von Enge und trügerischer Überschaubarkeit. Auch haben deutsche Inseln den Ruf, Idyllen zu sein, umso größer wirkt der Paukenschlag eines Gewaltverbrechens.

Sie wählen nicht nur ein Setting, das topografisch begrenzt ist, sondern lassen auch die Figuren in einem geschlossen sozialen Kreis interagieren: es sind Freundeskreise, Nachbarn einer Siedlung, Bewohner einer kleinen Dorfgemeinde.
Ja, auch in dieser Hinsicht sind meine Bücher im Grunde Kammerspiele. Da der Leser während des gesamten Romans die Entwicklung hin zum Verbrechen mitverfolgt, wird der Effekt einer kleinen Gruppe von Menschen, zum Beispiel Nachbarn, so richtig schön in Szene gesetzt. Denn man weiß: mindesten einer von denen wird sterben, und mindestens einer wird es tun. Man begleitet also Täter und Opfer über mehrere hundert Seiten.
Eine Rezensentin schrieb, dass sich die Handlung gleich einem Crescendo steigere: Am Anfang beginnt alles in beschaulicher Kaffeekränzchenrunde und am Ende sind viele Teilnehmer dieser Runde tot.
Wenn Sie so wollen, ist das meine »Masche«. So soll es sein.

Jetzt kommt die unumgängliche Frage: Wie viel Eric Berg steckt denn in Ihren Figuren?
Wenn ich das mal wüsste … Ich denke immer sehr lange und intensiv über meine wichtigen Figuren nach, vor allem über meine Mörder. Weil ich vorhin schon einmal darüber gesprochen habe, nehme ich das Thema Selbstjustiz als Beispiel. Wie würde ich wohl handeln, wenn mir jemand das Liebste auf der Welt genommen hätte, aber ungeschoren bliebe? Einerseits kann ich mir darüber meine eigenen Gedanken machen, andererseits muss ich aber auch in die Gedankenwelt meiner Figur eintauchen. Dies dauerhaft auseinanderzuhalten ist nicht immer leicht. Ein Stück von mir selbst wird zur Figur, und etwas von der Figur geht auch auf mich über. Tatsächlich kann ich meine Mörder meistens auf gewisser Art verstehen, was nicht heißt, dass ich ihre Tat gutheiße. Dieselben ambivalenten Gefühle möchte ich bei meinen Lesern erzeugen.

Was lesen Sie selber gerne?
Fast alles, ganz ehrlich, von Grisham bis Duras, von Shakespeare bis zu Nicholas Sparks oder zu fesselnden Sachbüchern. Besonders gerne lese ich Biografien, und auch da wieder alles von Aristoteles und Angela bis Zetkin und Zar Nikolaus.

Wer sind Ihre liebsten Romanhelden?
Der Whisky-Priester in Graham Greenes Roman Die Kraft und die Herrlichkeit. Ich liebe Hauptfiguren mit großen Schwächen und Fehlern, ich liebe die Gescheiterten. Außerdem mag ich komplexe Figuren, die das übliche Gut-Böse-Schema durchbrechen, zum Beispiel Tom Ripley, mit dem man sich identifizieren kann, obwohl er mordet.

Möchten Sie uns 3 Bücher für die einsame Insel empfehlen?
Ich kann nur für mich sprechen:
1. Das Telefonbuch von Berlin. Auf der einsamen Insel würde ich mir zu jedem Namen eine Geschichte ausdenken, ähnlich wie Balzac es mit den Mitgliedern der französischen Aristokratie gemacht hat.
2. Ein zehnbändiges Lexikon, und zwar aus demselben Grund: zu jedem Thema ein Büchlein.
3. Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit: damit ist jeder Leser mindestens zehn Jahre beschäftigt, bis er/sie es durchgelesen hat.


Was ist für Sie die optimale Entspannung?
Entweder Sauna oder eine Stunde am Meer.

Haben Sie ein Lebensmotto?
Eines für schlechte Lebenslagen: Wenn du in der Scheiße sitzt, musst du verdammt nochmal da raus.
Eines für alle Lebenslagen: Es geht weiter.


Und zum Schluss: Fünf Dinge, die wir noch nicht über Sie wissen:
1. Dass ich in den meisten Dingen des Lebens ein Spätzünder oder Nachzügler bin: so habe ich beispielsweise erst seit 2012 ein Handy. Und meine erste (richtige) Beziehung hatte ich erst mit zweiunddreißig Jahren.
2. Dass ich ausschließlich schwarze Kleidung trage (ohne ein Grufti zu sein).
3. Dass ich im Schnitt alle vier Jahre umziehe, also die Wohnung wechsle.
4. Dass ich bei Katzen schwach werde. Ich liebe Katzen, liebe ihre Eigenheit, habe aber keine Haustiere, da sie unglücklicherweise meine geliebte Flexibilität zu sehr einschränken würden.
5. Dass ich – wenn ich komplett abschalten will – gerne auch mal ein Computerspiel spiele (Schriftstellern, so das Klischee, würde so etwas noch nicht einmal im Traume einfallen)
(Übrigens könnte ich mit Leichtigkeit zwanzig weitere Geheimnisse ausplaudern. Aber selbst schuld, wenn Sie nur nach fünf fragen …)

Wollen Sie Ihren LeserInnen eine kurzen Gruß schreiben – wir würden uns freuen!
Leben Sie! Lesen Sie! Fantasieren Sie! Ich würde mich freuen.