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SPECIALzu Gertrud Höhler »Götzendämmerung«

'Warum geben die nicht alles den Armen, wie in der Bibel empfohlen?'

Gertrud Höhler im Gespräch

Frau Höhler, Sie beschreiben das aktuelle Wirtschaftssystem als 'Geldreligion'. Ist das nicht eine schöne, aber haltlose Überspitzung? Wo gibt es beispielsweise die Bibel oder den Koran dieser Geldgläubigen?
Gertrud Höhler: Es gibt eine Geldreligion, weil hier Heilsversprechungen gemacht werden, die unerfüllbar sind. Das hat die Finanzkrise gezeigt. Da wurden alle Regeln außer Kraft gesetzt. Das ist wie mit der Gnade in der Religion, deren Botschaft ist: 'Du brauchst nichts zu machen!' Auf die Wirtschaft bezogen, heißt das: 'Du bekommst so oder so eine irrsinnige Rendite!'

Religion meint ein fest gefügtes Glaubenssystem. Die Finanzwelt scheint eher ein Verbund materialistischer Anarchisten zu sein.
Gertrud Höhler: Das Interessante ist, dass alle Religionen der Welt verbunden sind in der Abhängigkeit vom Geld. Schauen Sie sich doch nur den aktuellen Geldwäscheskandal im Vatikan an. Im katholischen Weltreich spielt Geld eine riesengroße Rolle. Man fragt sich: Warum geben die nicht alles den Armen, so wie es im Neuen Testament empfohlen wird?

Wie gelangt man in die Geldgemeinde der Finanzindustrie?
Gertrud Höhler: Investmentbanker sagen mir, man müsse eine Glaubensbereitschaft an den Erfolg haben. Sonst wird das nichts. Es reicht nicht, nur ein guter Zahleningenieur zu sein. Das Gewerbe hat mit Ratio nur am Rande zu tun, es geht nicht mit rechten Dingen zu.

Gibt es in dieser Geldreligion, von der Sie reden, einen Papst?
Gertrud Höhler: Es gibt große Gurus. Lange Jahre war das Alan Greenspan, der Chef der amerikanischen Notenbank. Er hat die Strategie der niedrigen Zinsen, die Wohlstand für alle versprach, in den USA zusammen mit der Politik ins Rollen gebracht, am Anfang mit Ronald Reagan. Mit dem US-Präsidenten Reagan begann die Ära der Deregulierung. Die Finanzkrise rund um den Crash der Lehman Bank vor zwei Jahren hat dieses Konzept entzaubert.

Nimmt die Geldreligion noch immer einen Platz ein, der ihr nicht gebührt?
Gertrud Höhler: Die Gefahr des Absturzes ist außerordentlich groß, weil das Geld nach wie vor nicht mehr in Bezug zur realen Warenwelt unterwegs ist.

Welche Rolle spielt die Politik? Sie hat reihenweise Banken gerettet.
Gertrud Höhler: Wir müssen aufpassen, dass die bei den Landesbanken mit in den Rausch geratenen Politiker jetzt nicht ihr Mütchen kühlen, indem sie das Finanzsystem so eng an die Kette legen, dass kein Wagemut mehr möglich ist. Wenn wir Risiko verbieten, ja kriminalisieren, dann ist es mit dem Wohlstand und den Sozialtransfers zu Ende.

Hat die Politik nicht als Korrektor eine Berechtigung?
Gertrud Höhler: Die Feuerwehr-Leistung nach dem Lehman-Crash war richtig. Ich bin aber nicht sicher, ob das richtige Maß gewahrt bleibt. Die Politiker haben nach der Phase der Selbstüberschätzung in den Landesbanken jetzt eine neue Phase der Selbstüberschätzung eingeleitet. Nehmen Sie Peer Steinbrück mit seinem Satz: 'Die Banken kriegen Schwimmwesten.'

Vom einstigen Finanzminister scheinen Sie nicht viel zu halten. Sie nennen ihn sogar 'Moral-Rambo'.
Gertrud Höhler: Steinbrück liefert einen sehr gemischten Auftritt. Der Kauf der gestohlenen Steuerdaten-CD aus Liechtenstein, den er zu verantworten hatte, war nicht in Ordnung. Wie kann der Staat sich zum Vertragspartner von Kriminellen machen? Steinbrück hat mit einem kriminellen Produkt Geld herangeschafft. Er bot der Bevölkerung ein Doppelspiel, weil er Moral aushöhlte und Hehlerware salonfähig machte.

Steinbrück hat durch beherztes Eingreifen das Schlimmste in der Finanzkrise verhindert.
Gertrud Höhler: Und er zieht jetzt durch die Lande als Star, ganz so, als könne er Kanzlerkandidat werden. Dabei verwechselt er in der Talkshow die einfachsten Dinge, zum Beispiel Hedgefonds mit Private-Equity-Gesellschaften. Er hat nicht mal die Durchschnittsprodukte verstanden, die er abschaffen will.

Eigentlich müsste es doch darum gehen, dass in der Politik und im Staat mehr ökonomisches Know-how aufgebaut wird - und qualifizierte Leute in Aufsichtsräte und andere Gremien geschickt werden.
Gertrud Höhler: Da haben Sie recht. Das ist eines meiner Plädoyers. Die Qualifikation der Aufsichtsräte in den politisch dominierten Landesbanken wird neuerdings geprüft. Eine wirkliche Besserung gelingt noch nicht, weil Politiker ein schlechtes Gewissen haben. Keiner darf merken, dass sie mit den Bankern früher ganz anders verkehrt haben als heute.

Der Staat ist in Banken wie der Hypo Real Estate (HRE) oder Commerzbank eingestiegen. Ein Fall von dauerhafter Geldsicherung? Immerhin kappten die Politiker in diesen Banken die Gehälter und problematisieren Boni.
Gertrud Höhler: Politiker können Politik, Banker können Bankwesen. Die Politik sollte nicht Bank spielen. Der HRE-Chef Axel Wieandt ist ja abgerückt, weil durch die ständigen Einmischungen des Staats kaum tragfähige Entscheidungen zustande kamen. Dabei brauchen wir in den Banken das 'Täterwissen', um es besser zu machen. Das kann nur von den Finanzmanagern selbst kommen. Die Politik weigert sich anzuerkennen, dass in der Finanzindustrie geballte Intelligenz sitzt. Wenn schlechte Bezahlung aus politischen Gründen zum Standard wird, kommen auch nur schlechte Leute.

Sie meinen, die Banker werden verkannt?
Gertrud Höhler: Allgemein ist eine Jagdstimmung da. Die Tüchtigsten müssen nun mal angemessen bezahlt werden. Im Fußball oder bei gewissen Schlagerstars akzeptieren wir dies doch auch.'

Das Interview führte
Hans-Jürgen Jakobs