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SPECIAL zu Hans Neuenfels »Wie viel Musik braucht der Mensch?«

Mozart antwortet nicht

Buchempfehlung von Mathias Voigt

Inszenierungsprotokoll? Sammlung fiktiver Interviews mit großen Komponisten? Werkstattbericht? Ideensammlung? Es fällt nicht leicht, diesen Band einzuordnen. Vielleicht gelingt es ja über seinen Autor: Hans Neuenfels ist einer der profiliertesten und einflussreichsten Opernregisseure der letzten Jahrzehnte. Seine erste Inszenierung war der „Der Troubadour“ von Verdi, 1974 in Nürnberg. Es folgten knapp 30 weitere Interpretationen ganz unterschiedlicher Opern, darunter Werke von Mozart, Johann Strauß oder Schostakowitsch. Für 2010 ist unter anderem eine Lohengrin-Inszenierung in Bayreuth annonciert.

Im Laboratorium
„Wie viel Musik braucht der Mensch?“ versammelt Zeitungsartikel, Programmhefttexte und bislang Unveröffentlichtes von Neuenfels, der auch schon als Prosaautor in Erscheinung getreten ist. Den roten Faden des Bandes bildet die Auseinandersetzung des Regisseurs mit „seinen“ Opern, ihren Stoffen und Komponisten. In „Giuseppe e Silvia“ etwa, einer Oper, zu der Neuenfels erstmals auch das Libretto beigesteuert hat, geht es um die fiktive Begegnung von Giuseppe Verdi mit der Dichterin Sylvia Plath. Von der Annäherung an diesen Stoff, davon, wie sich Neuenfels mit Verdi bekanntgemacht, wie er Sylvia Plath verstanden hat, handelt ein Kapitel des Buches. Fast meint man, den Regisseur vor sich zu sehen in einem kleinen Laboratorium: Hier greift er zu einem Werk von Sylvia Plath, da bedient er sich in der Philosophie, um sich Verdi anzunähern, dort begibt er sich in Zwiesprache mit seinen Protagonisten, um zu ergründen, was sie denken, wie sie arbeiten, wie sie ihre Kunst entwickeln.

Auf der Suche nach Identifikation
Es ist der individuelle Blick Neuenfels' auf „seine“ Komponisten – Verdi etwa hat er immer wieder inszeniert –, der das Buch spannend und lesenswert macht. Der Autor sucht die Person hinter dem Werk, folgt ihr bisweilen und streitet sich auch schon mal mit ihr. Im Vorwort beschreibt Neuenfels seine Arbeitsweise so: „Ich suchte ununterbrochen nach möglicher Identifikation, nach unmittelbaren oder verborgenen Verknüpfungen zu den Komponisten und ihrer Musik.“
Dass das nicht immer einfach ist, zeigt sich im Fall von Mozart: „Bei Mozart musst du alles befragen, sonst kommst du zu keinem Genuss. Winzige Steinchen trägst du zusammen. Du hortest Details.“ Und als Neuenfels dann mit dem großen Komponisten ins Gespräch kommen will, wie er es spielerisch auch in den anderen Texten tut, ergibt sich ein besonderes Problem: Der Meister antwortet nicht.

Ständige Veränderung
In einem anderen Kapitel nähert sich der Autor dem „Grünen Hügel“ von Bayreuth. Zunächst einmal verschweigt er zwei alt gedienten Festivalbesucherinnen, dass er schon mehr als 30 Jahre Opern inszeniert, aber noch nie in Bayreuth war. Dann aber gelingt ihm die fiktive Zwiesprache mit dem Ahnherrn des Hügels, Richard Wagner. Und Neuenfalls lässt Wagner sagen: „Das dramatische Kunstwerk braucht die ständige Veränderung durch den lebendigen Menschen, den wechselnden Raum und die wechselnde Zeit.“
Von diesem Geist ist auch Neuenfels' Buch beseelt. Gerne folgt man dem Autor, wenn er sich ungestüm, fordernd und mit enormer intellektueller Beweglichkeit auf die Musik, auf die großen Kompositionen stürzt, wenn er sich ihren Schöpfern anbietet, sie ergründet, sich ihnen in gewisser Weise ausliefert. Erst diese tiefe Beschäftigung mit der Musik, so zeigt „Wie viel Oper braucht der Mensch?“, lässt große Opernkunst entstehen.

Viel Musik, bitte!
Das Buch nimmt ein für die Musik, für die Oper; es ermutigt den Leser, sich einem Oeuvre auf seine eigene Weise zu nähern; es zeigt, wie fruchtbar die Auseinandersetzung mit den Schöpfern der Musik und ihrem Leben sein kann. Neuenfels könnte die titelgebende Frage sicher ganz leicht beantworten – viel Musik muss es sein! Und wer das Buch liest, wer sich mitreißen lässt von Neuenfels' Assoziationsstrom zu großen Komponisten und ihrer Musik, dürfte kaum widersprechen.

Mathias Voigt
Literaturtest
Berlin, August 2009