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Special zu »Hinter blauen Augen« von Reiner Laux

SORRY, BANKÜBERFALL!

Hinter blauen Augen, die Geschichte des deutschen Bankräubers Reiner Laux, ist ein ungewöhnliches, bewegendes und sicher auch polarisierendes Buch, dessen provozierende Direktheit uns beeindruckt hat: Hier ist jemand, der offen und ohne Selbstmitleid sein Leben als Bankräuber in Deutschland niedergeschrieben hat. Gießen, 1986: Der junge Reiner Laux führt ein unangepasstes Leben jenseits der Norm. Um seiner WG aus finanziellen Nöten zu helfen, beschließt er spontan, in Frankfurt eine Bank zu überfallen. Ganz alleine führt Laux den Bankraub durch: ruhig, souverän, ohne Gewalt. An jenem Tag verändert sich sein Leben von Grund auf, denn diese Bank bleibt nicht seine letzte. In einer Gesellschaft, in welcher der Bürger den undurchschaubaren Machenschaften der Banken nahezu machtlos gegenübersteht, verwirklicht Reiner Laux seine ganz eigene Vision von Freiheit. Begleiten wir ihn auf seinem ersten Banküberfall …


Elvira holte mich vom Frankfurter Bahnhof ab.

Sie freute sich, schaute mich aber ungläubig an, als ich ihr freundliches Angebot ablehnte, gemeinsam eine Flasche Wein zu leeren, die sie extra für mich gekauft hatte. Ich wollte den Überfall mit klarem Kopf und wachen Sinnen über die Bühne bringen.

Wir verbrachten einen sinnlich verschwitzten Abend im Bett, bis Elvira schließlich in meinen Armen friedlich einschlief. In mir dagegen breitete sich eine erstickende Spannung aus. Behutsam machte ich mich von Elvira los und stand auf.

Ich trat ans Fenster und schaute hinunter in die verwaiste Straßenschlucht, in die ein dünner Regen fiel. Neben der Bank blinkte ein blaues Reklameschild. Ein einsamer Betrunkener wankte vorüber. Eine Stimmung wie in einem Bild von Edward Hopper. Ich fühlte mich elend, in die Enge getrieben, gefangen wie ein Fuchs im Fangeisen. Doch insgeheim vertraute ich auf meine Willenswut, auf die ich mich bislang noch immer hatte verlassen können, wenn ich mit dem Rücken zur Wand stand.

Ich setzte Kopfhörer auf und tanzte zwei Stunden zu den Doors, bevor die Dämmerung langsam zu grauen begann und ich mich zu den leisen Tönen von »Riders on the Storm« fertig machte. Wieder kam mir die ganze Situation albern und grotesk vor, wie ich so schwarz vermummt und mit einer leeren Gaspistole da vor dem Spiegel stand. Dann zwang ich mich, die zerreißende Spannung in mir auf das Vorhaben zu fokussieren. Ich küsste das Bild von Ava, meiner Jugendliebe, trat in den Hausflur und stieg die ausgetretene Holztreppe hinunter. Auf der Straße hüllte mich dichter Nieselregen ein.

Meine Schultern lockernd, steuerte ich nicht direkt auf die Bank zu, sondern ging zunächst die Einkaufsstraße hoch, bog in die nächste Seitenstraße, lief einmal um den Block und bog auf der anderen Seite der Bank wieder auf die Straße. Ich schlenderte gemächlich auf den Eingang des Kreditinstituts zu. Als ich die doppelte Schwingtür erreichte, musste ich an einen Cartoon von F. K. Waechter denken, in dem ein Löwe einem Kater in der Kneipe bei einem Gläschen Schnaps erklärt: »Gegen den Wind anpirschen, mein Junge, und dann zack rauf und volle Pulle auf den unteren Halswirbelbereich. Das haben die geilen Antilopen am liebsten.« Unter dem Helm, in dem sich die Hitze bereits staute, konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen.

Dann umschloss ich mit der rechten Hand die leere Pistole in der Parkatasche und stieß mit der linken die Schwingtür in den Vorraum auf, von dem aus ich das Bankinnere und die Kassenbox überschauen konnte. Ich zückte in der kleinen Bankhalle die leere Pistole, wobei ich mich beim Herausziehen ein wenig vernestelte, zog den Pistolenschlitten durch, um mit dem metallischen Klicken meinem Anliegen Nachdruck zu verleihen, und rief: »Das ist ein Überfall! Sie haben dreißig Sekunden Zeit, um auszuzahlen!« Fast wäre ich einem Lachanfall erlegen, da ich mir so unendlich albern vorkam.

Doch zu meiner Überraschung funktionierte es. Der Kassierer beeilte sich, meine ihm dargereichte Plastiktüte zu füllen, die anderen Bankangestellten und die einzige Kundin starrten mich wie hypnotisiert an. Adrenalin schoss durch meine Adern. Es hatte sich eine Verwandlung in mir vollzogen. Ich bewegte mich plötzlich katzenartig wie ein Raubtier, konzentriert bis in die Nervenspitzen und fokussiert auf den Fluss meiner Instinkte. Mein Bewusstsein war kristallklar geschärft, ein geradezu wollüstiges Gefühl der unwiderruflichen Grenzüberschreitung erfüllte mich wie im Rausch.

In diesem Moment betrat ein älterer Herr in dickem Mantel und mit einem altmodischen Hut auf dem Kopf den Raum. Er bemerkte überhaupt nicht, was los war. Er ging nach vorn an die Kasse und hantierte an einem der Ständer mit Bankformularen herum. Ratlos drehte er sich schließlich zu mir um und fragte mich freundlich: »Könne Se mer sache, wo hier die Überweisungsformulare sinn. Isch finn se net in dem ganze Durschenanner.«

»Einen Moment ...« Ich nahm die Pistole von der rechten in die linke Hand und zog nach einem Moment des Suchens das Formular aus dem Ständer, in dem wirklich ein ziemliches Chaos herrschte. In diesem Moment sah ich, wie eine Bankangestellte aufgeregt in ihr Telefon sprach. Ich trat auf sie zu. Den Lauf der Pistole hatte ich mir betont lässig auf die rechte Schulter gelegt wie eine Flinte. Mit ruhiger Stimme sagte ich: »Lassen Sie’s! Spielen Sie nicht die Heldin, Sie gefährden nur uns alle.« Dann ging ich zurück zur Kassenbox.

»Wo muss isch n hier dn Absender eintrache, sinn das neue Formulare?« Der ältere Herr wandte sich wieder an mich, als ich gerade den zögerlich gewordenen Kassierer anwies, weiter Geld in die Tüte zu füllen und sich nicht ablenken zu lassen.

»Hier«, zeigte ich, nach kurzem Blick auf das Formular, mit meinem schwarzledernen Zeigefinger auf die Stelle. Dann wandte ich mich wieder dem Kassierer zu.

»Danke, es reicht«, sagte ich schließlich, als ich das Gefühl hatte, dass der Angestellte die erforderliche Summe für die Gießener Kollegen längst beisammen – hatte. Außerdem war es höchste Zeit zu gehen. Ich bedankte mich freundlich und warf spontan ein Bündel 20-Mark-Scheine auf den Kassentresen – »pour les employés« – dann verließ ich ruhigen Schritts die Bank.

Hinter blauen Augen

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