Einblicke in die Literaturszene und in ein Leben
Von:
Manfred Orlick
31.10.2010
Fritz J. Raddatz (Jahrgang 1931) ist der widersprüchlichste Geist, ja der bunteste Vogel im deutschen Literaturbetrieb. Der Feuilletonist, Biograf, Verleger und Schriftsteller war einige Jahre - von 1977 bis 1985 - Chef des Feuilletons der Wochenzeitschrift „Zeit“. Er kennt den deutschen Kultur- und Literaturbetrieb also wie kaum ein anderer.
Nun legt Raddatz bei Rowohlt, wo er in den 60er Jahren stellvertretender Verlagschef war, seine Tagebuchaufzeichnungen der Jahre 1982 bis 2001 vor. Sie beginnen am 13. Mai mit dem Vorhaben: „Ein Tagebuch. Es schien mir immer eine indiskrete, voyeurhafte Angelegenheit, eine monologische auch - ich möchte nie hinterher, wenn die Gäste weg sind“, aufschreiben, wie sich Augstein oder Biermann, Grass oder Wunderlich benommen haben.“
Eine löbliche Absicht, die jedoch nicht immer eingehalten wird. Raddatz beobachtet scharf, erzählt in zahllosen Anekdoten und Begebenheiten von dem kleinbürgerlichen Getue der kulturellen Intellektuellen dieser Bundesrepublik. Doch mitunter haben seine Notizen den Charakter von „Klatsch royal“. Scharfzüngig hält er die Verlogenheit des Literaturbetriebs, die Eitelkeiten der Verantwortlichen und Künstler und ihre biederen Haus- und Wohnungseinrichtungen fest, schüttet Häme über die Partyallüren und die plumpe Anbiederei aus. Da wird Reich-Ranicki zur „Verona Feldbusch der deutschen Literaturkritik“, Enzensberger ein „Scharlatan“, Dürrenmatt ist „etwas dumm“ und „die Dönhoff ganz verlogen“. Irgendwie bekommen alle ihr Fett weg. Die selbst gestellte Frage „Darf ein Biograf die persönlich-intimen Dinge ganz auslassen?“ lässt Raddatz leider unbeantwortet.
Raddatz ist bissig, aber am gnadenlosesten ist er mit sich selbst. Es scheint, als müsste er stets die gnadenlose Wahrheit sagen, doch dann leidet er am Echo. Dann möchte er den Journalisten und Kritiker hinter sich lassen („Seit wann macht dieser Krimskrams glücklich?“), dann flüchtet er sich in das eigene Schreiben, in einen Roman. Dieser persönliche Vorgang bereitet ihm Spaß - viel mehr als das journalistische Schreiben. Hier kann er sich seine eigene Welt bauen und darin versinken.
Die knapp tausend Seiten präsentieren sich so auch als das Eingeständnis eines einsamen und verletzlichen Menschen, der nach Anerkennung schmachtet: „Mich wählt ja niemand in eine Akademie, mir hat auch noch nie irgendjemand einen Preis zuerkannt.“
Für den Münchner Hörverlag hat Fritz J. Raddatz nun Auszüge aus seinen Tagebüchern auf zwei CDs (Laufzeit 155 min) gelesen. Mit dem Ausdruck eines Hochempfindsamen macht er die feinen Nuancen seiner Tagebucheinträge und seiner klugen Gedanken hörbar.
Manfred Orlick für buchinformationen.de