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Im Bann der Freiheit – Constanze Neumann spricht über ihren neuen Roman
„Der Himmel über Palermo“

Richard Wagners Stieftochter lockte die Exotik Palermos – und die Liebe eines sizilianischen Grafen

Constanze Neumann erweckt in ihrem Roman „Der Himmel über Palermo“ eine großen Liebe zum Leben: Von der südländischen Atmosphäre Palermos betört, begegnet Blandine von Bülow, die Stieftochter Richard Wagners, in der Silvesternacht 1881/82 dem sizilianischen Grafen Biagio Gravina. Das Werben des Grafen verzaubert sie – aber auch die Aussicht, Konventionen abzuwerfen, aus dem Schatten des Wagnerschen Familienclans zu treten und ein neues, aufregendes Leben zu beginnen.

Blandine von Bülow ist die Stieftochter Richard Wagners. Sie entstammt der ersten Ehe Cosima Wagners mit Hans von Bülow. Was hat Sie an dieser Figur interessiert?
Über Blandine von Bülow weiß man recht wenig, weil sie als erste der Töchter bzw. Stieftöchter Richard Wagners geheiratet hat und nach dem frühen Tod ihres sizilianischen Ehemannes nicht nach Bayreuth gezogen ist. Sie war eine Figur am Rande des Wagner-Kosmos und eher zurückhaltend – umso erstaunlicher ist, dass sie so jung in Palermo geheiratet hat. War ihre Ehe mit Graf Biagio Gravina, dem Spross einer der ältesten Adelsfamilien Siziliens, eine Liebesheirat? Oder eine mehr oder weniger arrangierte Ehe? Die Quellen geben darüber keine endgültige Auskunft, und dieses Vakuum schafft Raum für Phantasie... Bei meiner Recherche tauchten dann weitere Fragen auf: Wie hat Blandine ihre schwierige Stellung als Stieftochter in der Wagner-Familie erlebt? Wie hat sie eine Ehe führen können mit einem Mann, den ihr leiblicher Vater Hans von Bülow schon bald „Graf Zero“ nannte, weil er die Familie nicht ernähren konnte? Wie ging man damals mit kulturellen Unterschieden um? Zehn Jahre nach ihrer Hochzeit schrieb Blandine in einem ihrer Briefe nach Deutschland, die Italiener seien „innerlich das brutalste Volk der Erde“... Aber natürlich hat mich auch interessiert, wie die Stadt Palermo und Sizilien, die sizilianische Gesellschaft, damals auf ein junges Mädchen gewirkt haben müssen. Die Familie Wagner reiste viel, trotzdem waren die Menschen jener Zeit empfänglicher für neue Eindrücke, glaube ich. Man sah die Dinge wirklich zum ersten Mal und konnte vielleicht anders staunen als wir heute.

Neben Blandine wird die Geschichte auch aus der Sicht einer weiteren jungen Frau, der Sängerin Tina Scalia, erzählt. Diese Figur ist, wie zahlreiche weitere Personen der Gesellschaft Palermos, die in Ihrem Buch vorkommen, historisch belegt. Wie akkurat sind Sie bei der Entwicklung der Figuren und der Beschreibung der Geschichte vorgegangen? Was ist belegt und was ist fiktiv?
Fast alle Ereignisse und Details in der Beschreibung der Protagonisten sind belegt, so vor allem bei Caterina Scalia, der angehenden Sängerin, und Enrico Ragusa, dem Besitzer des Hotels, in dem Richard Wagner mit seiner Familie in Palermo logierte. Caterina Scalia hat ein Tagebuch hinterlassen, außerdem ist ihr Leben aufgrund ihrer Ehe mit dem reichen englischstämmigen Kaufmann Joseph Whitaker gut erforscht.Fiktiv sind einige wenige Punkte: Zum Beispiel habe ich Caterinas und Joseph Whitakers Verlobung um ein Jahr vorverlegt, um sie in die Zeit zu bringen, in der der Roman spielt. (Beide, Caterina Scalia und Enrico Ragusa, sind derart schillernde Persönlichkeiten, dass ich wenig erfinden musste: Belegt ist beispielsweise, dass Joseph Whitakers Jagdhunde Caterina Scalia am Strand von Mondello „entdeckten“ und nicht mehr von ihr abließen. Und dass Enrico Ragusa, der nicht nur Hotelier, sondern ein leidenschaftlicher Naturforscher und jahrzehntelang Herausgeber einer angesehenen Zeitschrift zur Naturkunde war, eine Adelige aus besten Kreisen geheiratet hat, aber mehrere außereheliche Kinder hatte – unter anderem eine Tochter mit einer russischen Gräfin, die diese bei ihrer Abreise in seiner Obhut in Palermo zurückließ. Belegt ist auch, dass Enrico Ragusa perfekt Deutsch sprach, weil er in Frankfurt auf eine Hotelfachschule gegangen war.) Caterina Scalia hat keine lebenden Nachkommen mehr, ihre beiden Töchter waren kinderlos und sind inzwischen längst verstorben. Aber Enrico Ragusa hat Nachfahren – einer seiner Urenkel ist derzeit stellvertretender Bürgermeister von Palermo, ein anderer ist Schriftsteller und Antiquar. Mit beiden habe ich lange Gespräche geführt.

„Der Himmel über Palermo“ spielt vor allem in den Jahren 1881/82 und 1897. Wie sehr hat sich das Aussehen der Stadt seitdem verändert? Sind die Orte, die Sie beschreiben, die Palazzi oder das Hotel Et des Palmes noch immer vorhanden?
Die Stadt hat sich seitdem durch zwei Ereignisse stark verändert: Einmal wurde sie im Zweiten Weltkrieg bombardiert. Betroffen waren vor allem die Uferpromenade und das angrenzende Stadtviertel, in dem viele Adlige ihre Paläste hatten. Lange Zeit war die sogenannte „Marina“, die Uferpromenade, an der Cosima und Richard Wagner gern spazieren gingen, keine Flaniermeile mehr. Bis vor einigen Jahren befand sich dort nachts der Straßenstrich. Inzwischen hat man einen großen Park am Meer angelegt und versucht, an die alte Pracht anzuknüpfen. Das zweite Ereignis, das die Stadt vielleicht noch stärker verändert hat, ist der vollkommen ungeregelte Bauboom der sechziger und siebziger Jahre. Cosima Wagner schwärmt in ihrem Tagebuch von der Conca d’Oro, der goldenen Muschel. Den Namen trug die Bucht von Palermo aufgrund der ausgedehnten Orangen- und Zitronenhaine, die die Stadt umgaben: Nichts ist davon übrig, man hat die goldene Muschel in eine Betonwüste verwandelt. Die Villa Tasca liegt inzwischen an der Umgehungsautobahn inmitten von Hochhaussiedlungen. Die Villa ai Porazzi, ganz in der Nähe gelegen, in der die Familie Wagner nach dem Auszug aus dem Hotel zwei Monate lang wohnte, wurde bereits im Zweiten Weltkrieg zerstört. In den sechziger und siebziger Jahren sind viele Palermitaner in die neuen Siedlungen gezogen, weshalb die Altstadt lange Zeit verfiel. Erst seit zwanzig Jahren kehren die Menschen zurück in die Stadt, und die alten Häuser werden saniert. Inzwischen gibt es wieder viele schöne Altstadtviertel, andere schlafen noch den Dornröschenschlaf. Das Hotel Et des Palmes gibt es immer noch, auch wenn vor einigen Jahren von Schließung die Rede war. Natürlich steht im Foyer eine Wagner-Büste und es gibt einen Wagner-Salon.

Sie selbst sind mit 19 Jahren für längere Zeit zum Studium nach Sizilien gegangen. Fühlten Sie sich Blandine nahe, weil Sie den Blick eines jungen Mädchens nachempfinden konnten, das zum ersten Mal die Insel betritt?
Ja, natürlich. Auf mich hat Sizilien einen starken Eindruck gemacht, und die Faszination hält bis heute an. Blandine ist mit dem Schiff aus Neapel im Hafen von Palermo angekommen – die schönste Art, sich der Insel zu nähern. Aber es ist nicht nur die Landschaft, es sind auch die Menschen: Giuseppe Tomasi di Lampedusa schreibt von der „Zugeknöpftheit der geschwätzigen Sizilianer“, Luigi Pirandello nennt sie verschlossen, Leonardo Sciascia widersprüchlich und extrem. Nichts ist, wie es auf den ersten Blick scheint...

Richard Wagner ist im Buch dabei, den Parsifal zu beenden, Tina Scalia träumt von einer Karriere als Konzertsängerin: Die Musik spielt eine wichtige Rolle in Ihrem Buch. Haben Sie einen persönlichen Bezug zur Musik allgemein oder zu Wagner im Speziellen?
Meine Eltern sind Musiker, Musik spielt auch in meinem Leben eine wichtige Rolle. Mich interessierte Blandines Verhältnis zur Musik – es war nie eine Frage, ob sie begabt war oder nicht, denn in der Wagner-Familie zielten alle Bildungsbestrebungen nur auf den Sohn: Er war der Erbe und derjenige, auf dem alle Hoffnungen ruhten, das Vermächtnis Richard Wagners fortzuführen. Blandine spielte Klavier, aber das gehörte damals in diesen Kreisen dazu wie die französische Konversation. Liebte sie die Musik? Hätte sie ihr ihr Leben widmen wollen? Das weiß man nicht. Caterina Scalia hingegen denkt über ein Leben als Sängerin nach und muss sich der Frage nach der eigenen Begabung stellen.

Was sind Ihre Lieblingsorte auf Sizilien?
In Palermo das Stadtviertel La Kalsa rund um die Piazza Marina. Der Garten der Villa Tasca, den Richard Wagner so liebte, verzaubert auch heute noch. Im Südosten der Insel die wunderschöne Stadt Syrakus mit der ins Meer ragenden Halbinsel Ortigia. Außerdem im Nordwesten die Salinen bei Trapani mit ihrer melancholischen Stimmung ... Und der weite, einsame Sandstrand von Menfi in der Nähe von Agrigent. Was Blandine von Sizilien gesehen hat, weiß man nicht genau. Ramacca, der Stammsitz der Familie ihres Mannes Biagio Gravina, liegt am Ätna, dort hat sie einige Jahre verbracht, bevor sie zurück nach Palermo zog. Die Landschaft muss sie fasziniert haben. An eine Freundin schreibt sie 1892: „Unser Haus, ein früheres Kloster steht ganz frei auf einer Anhöhe außerhalb Ramacca’s und von meinem Schlafzimmer habe ich einen wunderbaren Blick auf den Etna, der bald nah, bald fern sich zeigt, auch ganz verschwindet, in beständigem Wechsel dem staunenden Blick erscheint, heute eine Schneekappe trägt, morgen raucht, mitunter aus vier Schloten, und Wolken trägt, die abends von der untergehenden Sonne beleuchtet, die wunderbarsten goldglänzenden Farben über den Himmel verbreiten und nachts in rothem Licht erglühen. Nirgends habe ich das geheimnisvolle Leben in und mit der Natur so empfunden wie hier...“


Die Fragen stellte Stefanie Endres

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