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Interview mit Tammy Cohen

Wussten Sie, dass Tammy Cohen unter einer Knopfphobie leidet?

Tammy Cohen
© Woman & Home/Liz McAulay
Liebe Tammy Cohen, wollen Sie uns etwas aus Ihrem Leben erzählen?
Ich bin in Ibadan, Nigeria, zur Welt gekommen, wo mein Vater, ein Ethnologe, Feldstudien betrieb. Obwohl ich schon nach ein paar Wochen nach Großbritannien zurückkam, war ich hocherfreut, als ich mich vor kurzem auf Goodreads auf einer Liste der besten nigerianischen Schriftsteller wiederfand. Man nimmt, was man kriegen kann! Abgesehen von dem ein oder anderen Jahr, das ich im Ausland verbrachte, wenn mein Vater gerade ein Freisemester hatte – ich bin sowohl in Sierra Leone als auch in Kalifornien zur Schule gegangen, kenne also die ganze Bandbreite dessen, was man in seiner Ausbildung erleben kann –, bin ich zum überwiegenden Teil im Großraum London aufgewachsen. Der Fixpunkt meiner Teenagerzeit war die letzte U-Bahn, die noch nach Hause fuhr. Nachdem ich in Manchester Amerikanistik studiert hatte, und zwar ausschließlich aus dem Grund, damit ich ein Jahr in den USA verbringen konnte, arbeitete ich ein Jahr lang als Englischlehrerin in Spanien. Zurück in London nahm ich einen Job als Sekretärin an und schrieb nebenher journalistische Artikel, die ich dem Zeitschriftenverleger um die Ecke zukommen ließ. An dem Tag, an dem der erste dieser Texte angenommen wurde, ließ ich meinen Job sausen und erklärte mich zur freiberuflichen Journalistin, und das blieb ich im Großen und Ganzen für die folgenden zwanzig Jahre. Ich schrieb weiter Artikel für überregionale Zeitschriften und Zeitungen, bevor ich mich ans Bücherschreiben wagte – zuerst nur Sachbücher, schließlich aber auch Romane. Heute lebe ich mit meinem Partner, drei (fast) erwachsenen Kindern und einem sehr schlecht erzogenen Hund im Londoner Norden. Wir haben alle zusammen auch mal im Ausland gelebt – vier Jahre in Spanien –, und bis heute lebe ich mit der Furcht, dass die Leute das herausfinden und mich irgendwas auf Spanisch fragen könnten, das ich peinlicherweise immer noch sehr schlecht spreche. Wenn ich nicht gerade schreibe – oder vielmehr: wenn ich mal wieder beim Schreiben versage –, lese ich für gewöhnlich, esse indische oder libanesische Speisen oder zerre den Hund zu einer weiteren nutzlosen Trainingsstunde.

Warum haben Sie sich entschieden, Schriftstellerin zu werden?
Ich habe mich im Alter von ungefähr fünf Jahren entschlossen, Autorin zu werden, also ist es eigentlich lächerlich, dass ich dann noch vierzig Jahre gebraucht habe, um dieses Ziel zu erreichen.

Woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre Romane?
Ich plündere schamlos die Lebensgeschichten meiner Freunde für meine Geschichten aus – sie pflegen inzwischen ihre Anekdoten mit folgenden Worten zu beenden: „Und wehe, das taucht in einem von deinen Büchern wieder auf!“ Viele Ideen finde ich auch in Zeitungen. Ich bin immer auf der Suche nach besonderen oder eigenartigen Geschichten. Ein großer Teil der Kriminalliteratur scheint den Realitätssinn der Lesenden hart auf die Probe zu stellen, doch ich bin eigentlich der Meinung, dass die Realität selbst oft tausend Mal unglaublicher ist.

An welcher Geschichte arbeiten Sie zurzeit?
Ich habe gerade einen historischen Roman geschrieben, der im Jahr 1939 angesiedelt ist und den Titel A Dangerous Crossing trägt. Er wird im April 2017 in England unter dem Pseudonym Rachel Rhys erscheinen. Ich freue mich sehr auf dieses Buch, denn obwohl es gewissermaßen auch ein Kriminalroman ist, ist es für mich doch etwas ganz anderes. Im Moment schreibe ich außerdem noch an einem neuen Psychothriller, der in einer psychiatrischen Privatklinik für Frauen spielt. Nachdem zwei der Patientinnen sich dem Anschein nach umbringen, ist Alice immer mehr davon überzeugt, dass sich unter ihrer aller Augen ein Mörder verbirgt. Doch wer soll ihr Glauben schenken, wo sie schon so lange an Wahnvorstellungen leidet?

Wer sind Ihre Lieblingsautoren?
Ich habe Joseph Heller Catch-22 als Teenager gelesen, und ich breche immer noch vor Lachen zusammen, wenn ich es lese, obwohl das irgendwie nicht political correct ist. Ich bin voller Ehrfurcht für Autorinnen wie Anne Tyler und Ann Patchett, die es schaffen, Charaktere mit Fehlern und in schwierigen Situationen, dabei aber immer noch mit viel Herz und Wärme zu beschreiben. Donna Tartts Bücher sind wie Naturgewalten – sie saugen dich ein, tragen dich irgendwohin, spucken dich am Ende wieder aus, und man ist sich nie sicher, was eigentlich passiert ist, weiß aber, dass es auf jeden Fall großartig war.

Welche Bücher haben Sie kürzlich gelesen?
Während ich das hier schreibe bin ich gerade mit meiner Familie in Kroatien im Urlaub. Ich habe Erin Kellys neues Buch He Said / She Said dabei. Es sollte mir eigentlich die ganze Woche über reichen, doch tatsächlich hatte ich es schon am zweiten Tag ausgelesen, weil es so gut war. Vor Kurzem habe ich außerdem Lie With Me von Sabine Durrant sehr gern gelesen, in dem der großartigste unsympathische Erzähler vorkommt, der mir seit Langem untergekommen ist. Alex Marwoods The Darkest Secret ist ein weiterer fesselnder Psychothriller, den ich verschlungen habe. Wenn es mal nicht um Krimis geht, habe ich kürzlich sehr gern Lisa Jewells herausragendes I Found You gelesen. Mein Lieblingsbuch in den letzten paar Monaten war aber wahrscheinlich Elizabeth Strouts Die Unvollkommenheit der Liebe, das atemberaubend und herzzerreißend und auf ganz viele Arten einfach wunderbar war.

Was ist Ihr Lebensmotto?
Als jemand, der von Natur aus faul ist und gern in einen Trott verfällt, muss ich mich immer wieder daran erinnern, etwas zu tun, zu handeln, zu verändern, also wiederhole ich mir selbst gegenüber – fast wie ein Mantra – die Worte der Dichterin Mary Oliver: „Sag mir, was du tun willst/Mit deinem einen wilden Leben?“ Etwas an diesen Zeilen treibt mich dazu an, mich immer weiter anzustrengen.

Was tun Sie, wenn Sie nicht schreiben?
Ich treffe mich mit Freunden – esse, trinke Rotwein, gehe spazieren, lese viel und habe eine Tendenz, exzessiv TV-Serien wie Breaking Bad oder House of Cards zusammen mit meiner Tochter anzuschauen.

Fünf Dinge, die wir noch nicht von Ihnen wussten …
1. Ich habe in einem Jugendorchester Horn gespielt.
2. Ich habe eine Knopfphobie.
3. Ich hatte mal eine Phase, in der ich nur gelbe oder orange Lebensmittel zu mir genommen habe.
4. Mir ist mal ein Reifen auf einer Schnellstraße geplatzt, und das Auto landete auf dem Dach. Eine Packung Babyreis platzte dabei, sodass weiße Flocken durch die Luft schwirrten und mein Partner Michael mich fragte: „Sind wir im Himmel?“
5. Ich hatte mal eine wöchentliche Zeitschriftenkolumne über das Familienleben – sie hieß „Tammys verrückte Welt“ –, bis meine Kinder alt genug waren, um sich dagegen zu wehren, im Grunde wöchentlich in einem Druckerzeugnis zum Deppen gemacht zu werden.

Wie würden Sie Ihren Roman Du stirbst nicht allein in einem Satz beschreiben?
Ein Serienkiller treibt im grünen Londoner Norden sein Unwesen und lauert dort Kindern auf, doch kann die Polizei ihn ausfindig machen, bevor er erneut zuschlägt? Und kann die Selbsthilfegruppe, die für die Familien der Opfer gegründet wurde, zusammenhalten – trotz des Kummers und der explosiven Geheimnisse, die ihre Mitglieder verbergen?

Was war für Sie die Inspiration zu diesem Roman?
Ich habe im Radio ein Interview mit der Mutter eines ermordeten Kindes gehört und war wirklich betroffen davon, wie sie ihre Einsamkeit beschrieb, weil niemand sonst verstehen konnte, wie sie sich fühlte. Ich stellte mir die Frage, wie es wohl wäre, wenn es noch weitere Menschen gäbe, die sie verstünden, weil nicht nur eines ihrer eigenen Kinder ermordet wurde, sondern noch dazu von demselben Täter unter denselben Umständen. Würde das ausreichen, um eine Gruppe zusammenzuhalten? Wie wäre das Verhältnis zu den anderen Mitgliedern der Gruppe, wenn das Einzige, was einen verbindet, dieser schreckliche, tragische Schicksalsschlag wäre? Und was, wenn einige Mitglieder der Gruppe Geheimnisse verbergen, von denen sie nicht wollen, dass die anderen sie erfahren? Als Journalistin habe ich Eltern interviewt, die in einer ähnlichen Situation waren, und ich habe nie die rohe Gewalt dieses Kummers vergessen, der direkt unter der Oberfläche sitzt. Das Buch handelt also von der Jagd auf einen Serienmörder, aber es handelt auch von Kummer und den Dingen, die man aus Kummer tut.

Wer ist Ihre Lieblingsfigur in dem Buch und warum?
Du stirbst nicht allein wird aus einer ganzen Reihe verschiedener Perspektiven erzählt. Beim Schreiben haben mir die Szenen mit Rory, dem 15-jährigen Bruder eines der Opfer, besonderen Spaß bereitet. Ich habe zwei Söhne, und es gibt etwas so erfrischend Geradliniges an der Weltsicht vieler Teenagerjungs. Rory hat seine Schwester geliebt, doch er hat keine Lust, die Ereignisse immer wieder aufs Neue zu analysieren oder die Motive der beteiligten Personen zu ergründen. Er möchte einfach nur das Geschehene bewältigen und mit seinem Leben weitermachen, denn was gibt es schließlich anderes zu tun?

Welche Szene war am schwierigsten zu schreiben?
Das ganze Buch war wegen des Themas schwierig zu schreiben. Ich fühlte eine große Verantwortung auf mir lasten, denn ich wollte unbedingt sicherstellen, dass Opfer und Familien – auch wenn ich sie mir ausgedacht habe – sensibel und respektvoll behandelt würden. Manche der Szenen sind aus dem Blickwinkel des Täters geschrieben, und die waren besonders schwierig. Sich selbst in den Kopf eines Pädophilen zu versetzen, ist nichts, was die meisten von uns genießen könnten. Doch es war absolut notwendig für die Entwicklung und das Verständnis der Geschichte. Ich weiß allerdings nicht, ob ich diese Szenen hätte schreiben können, als meine eigenen Kinder noch jünger waren.

Welche Leser, glauben Sie, werden Freude an Ihrem Roman haben?
Ein Teil des Buches konzentriert sich auf die Mordermittlungen der Polizei, ich denke, das wird Lesern gefallen, die Freude an geradlinigen Whodunits haben. Der Roman spricht aber auch solche Leser an, die sich für die psychologischen Aspekte eines Verbrechens interessieren – die komplexen Motive, die Auswirkungen eines Verbrechens auf die Beteiligten, die Art und Weise, wie eine einfache Wendung des Schicksals, die Tatsache zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein, so viele Leben zerstören kann.

Gibt es irgendwelche anderen Bücher, mit denen Sie Ihres vergleichen würden?
Es scheint mir anmaßend, mein eigenes Buch mit dem von Autorinnen oder Autoren zu vergleichen, die ich selbst bewundere, doch in dem Sinn, dass ich mich auf die psychologischen Bestandteile des Verbrechens und ihre Nachwirkungen konzentriere, ähnelt es wohl ein bisschen Romanen wie Die Witwe von Fiona Barton.