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Irène Némirovsky

Eine große Wiederentdeckung

Rezension von Ulrike Künnecke

Ben liebt Ada. Ada liebt Harry. Und Harry? Es ist eine fast klassische Dreiecksgeschichte, die Irène Némirovsky erzählt. Doch es ist nicht die prekäre Konstellation, die ihren Roman so explosiv macht. Vielmehr ist es die Art ihrer Schilderung jüdischen Lebens zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, zunächst in einer ungenannten Stadt in der Ukraine, dann im französischen Exil. Némirovsky beschreibt ihre Figuren mit beeindruckendem psychologischen Feingefühl, doch dabei nicht in erster Linie als ganz eigenständige Individuen, sondern vielmehr als Vertreter ihrer Glaubensrichtung, deren unausweichliches Schicksal ihrer Herkunft geschuldet sein wird.

Die Liebe der Wölfin
"Er bewunderte an ihr diese freiwillige Entsagung, diese Verachtung der äußeren Welt, die allem, was er bisher um sich herum, in seiner Familie, gesehen hatte, so wenig ähnelte; dieses dicke reiche Blut, das durch die Adern der Seinen floss, erkannte er hier kaum wieder, und dennoch war es dasselbe, hatte jedoch eine Geschwindigkeit, eine Flüssigkeit bewahrt, die, so dachte er lächelnd, die Eigenschaften eines wilden, noch ungezähmten Tieres waren..." So lässt Némirovsky den verliebten Harry seine Geliebte Ada beschreiben. Alle drei, Harry, Ada und Ben, stammen aus der Ukraine, doch Harry war schon dort privilegierter Sohn eines reichen jüdischen Unternehmers, Ada und Ben dagegen wuchsen ärmlich in der Unterstadt auf, einem jüdischen Ghetto. Als Kind begegnete Ada durch Zufall ein einziges Mal dem reichen Harry, und liebte ihn fortan, mit unverrückbarer Ausschließlichkeit.

Erneute Begegnung
Jahre später erst treffen sie wieder aufeinander, beide inzwischen nach Paris emigriert. Harrys Familie lebt dort als Teil des assimilierten Geldadels und betreibt ein sehr erfolgreiches Bankhaus, während Ada und Ben weiterhin mühsam und völlig isoliert um das bloße Überleben in der Fremde kämpfen. Ada, die Malerin geworden und nun mit Ben verheiratet ist, sucht noch einmal Harrys Nähe. Harry hat inzwischen die Tochter eines großen französischen Bankiers geehelicht und hat mit dieser einen Sohn. Doch in der erneuten Begegnung zwischen Harry und Ada wird die instinktive Anziehungskraft zwischen den beiden so stark, dass ein gemeinsames Leben unausweichlich scheint.

Dunkle Rufe
Die tiefe Verbundenheit zwischen Ada und Harry nimmt dabei fast schon metaphysische Züge an, so dass Harrys Frau Laurence sich freiwillig zur Trennung entschließt: "Wenn Harry weder von der Leidenschaft noch von seiner Familie zu diesem Mädchen gedrängt wurde, dann ging es also um einen dunklen Ruf des Blutes, gegen den sie machtlos war." Doch noch immer traut die skeptische Ada dem Glück nicht - und behält damit bitter recht. Ihr Ehemann Ben hat Harry ohne dessen Wissen in skandalöse Geschäfte verwickelt, so dass der Zusammenbruch des gesamten Familienunternehmens droht. Allein die Unterstützung der französischen Familie seiner Frau könnte Harry retten. Ada steht vor einer schweren Entscheidung...

Brillanz und Beklemmung
Ähnlich wie die Protagonisten ihres Romans emigrierte Némirovsky 1917 nach Paris. In Frankreich veröffentlichte sie bereits in den dreißiger Jahren mehrere Erzählungen und Romane und wurde dort als großes Talent gefeiert. 1942 wurde sie nach Auschwitz deportiert und starb dort an Typhus. Sie hinterließ ein umfangreiches Werk sowie ein unvollendetes Romanmanuskript, die "Suite française", die erst in den späten 1990er-Jahren von ihrer Tochter Denise in akribischer Kleinarbeit entziffert und im Jahr 2004 veröffentlicht wurde.

Im deutschsprachigen Raum wird Irène Némirovsky erst langsam bekannt. Dies mag auch daran liegen, dass ihre brillanten Milieu- und Personenschilderungen hierzulande kaum ohne tiefe Beklemmung zu lesen sind. So gelungen die Porträts der jüdischen Schriftstellerin sind, so beängstigend schmal ist in ihren Schilderungen manchmal der Grat zwischen scharfer Ironie, beißend sezierendem Blick und Spuren von Antisemitismus. Vielleicht mussten erst mehr als sechzig Jahre vergehen, bis es überhaupt möglich wurde, die faszinierenden Romane Némirovskys hier, heute - und ganz neu zu lesen.

Ulrike Künnecke
(Literaturtest)
Berlin, September 2007

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