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SPECIAL zu Jonathan Stroud »Lockwood & Co.«

Interview

Arndt Stroscher und Bianca Raum (literatwo.wordpress.com) sprachen für cbj mit
Jonathan Stroud über seinen neuen Roman "Lockwood & Co. – Die Seufzende Wendeltreppe".

Herr Stroud, Sie entführen Ihre Leser in ein gruselig schönes Geister-Ambiente im London unserer Zeit. Der Begriff Geistesanwesenheit bekommt eine völlig neue Dimension und ganz England scheint von diesem „Problem“ geplagt zu sein. Geisterlampen beherrschen das nächtliche Stadtbild, eine Ausgangssperre wurde verhängt und die Menschen leben in ständiger Angst. Was brachte Sie auf die Idee, sich nun auf Ihre ganz eigene Weise dem Thema Geisterjagd zu widmen?
Ich war schon immer ein großer Verehrer der unterschiedlichsten Geister-Erzählungen – von den prägnanten volkstümlichen Märchen über die klassischen Kurzgeschichten in der Tradition britischer Schriftsteller wie M. R. James bis hin zu den vielschichtigen psychologischen Studien eines Henry James (Das Geheimnis von Bly). Natürlich wuchs ich auch mit Fernsehserien auf, in denen Jugendliche gruselige Dinge erforschten, die sich dann jedoch meist als künstliche Geister entpuppten, mit denen Gauner ihre Opfer von der Beute ablenken wollten. Sie haben also eine gewisse Tradition für mich.
Normalerweise sind diese Geschichten jedoch in einem recht überschaubaren Maßstab angesiedelt. Ihre Wirkung beruht darauf, dass alles sehr vertraut und nah erscheint.
Ich habe mich gefragt, ob es wohl möglich wäre, diesen kleinen Rahmen zu bewahren, ihn jedoch mit etwas Größerem zu kombinieren. Mit einer ganzen Serie von Abenteuern, die sich in einer Stadt, einem ganzen Land ereignen … Was wäre, wenn Geister zu einem landesweiten Problem würden, mit dem jeder zu kämpfen hätte? Was wären wohl die Konsequenzen?

Sie schaffen es, dass Ihre Leser in den gruseligsten Momenten von einer ganz eigenen Form „Stroud´schen Humors“ überrollt werden. Gruseln und Lachen gehen bei Ihnen Hand in Hand. Entspricht dies Ihrem eigenen Naturell, in den schrecklichsten Situationen doch noch einen Grund zum Lachen zu finden?
Das hoffe ich doch sehr, zumindest ist es in meinen Romanen der Fall. Ich wollte in Lockwood etwas ganz besonderes versuchen. Die pure traditionelle Angst sollte mit einer gesunden Portion Humor verschmelzen. Die Wirkung der meisten Geistergeschichten (nicht aller) basiert auf deren Ernsthaftigkeit und einer gewissen morbiden Zwangsvorstellung von Vergangenheit und Tod. Das wollte ich bewahren, gleichzeitig jedoch sollte dies alles durch die Kombination mit anderen Elementen bereichert werden: Dem Reiz einer traditionellen Abenteuergeschichte, dem Geheimnisvollen von Detektivromanen und dem Sprachwitz humorvoller Erzählungen. Wenn man in der Lage ist, die richtige Balance herzustellen, dann hat man das Rezept für einen wunderbaren Cocktail. So lautet jedenfalls meine Theorie.

Erwachsene stehen bei Lockwood & Co. so ziemlich am Rande ihrer Fähigkeiten. Sie sind abgestumpft und nicht mehr sensibel genug, um Geister aufzuspüren oder sie gar einzufangen. Kinder und Jugendliche sind ihre strahlenden Helden und verfügen noch über ihre angeborenen Gaben. Ist dies ihre Form der Verneigung vor jungen unverbrauchten Menschen, die noch unverfälscht träumen und fühlen können?
Ja, das ist es definitiv. Das Wunderbare an den Kindern, denen ich mit diesen Büchern meinen Tribut zollen möchte, ist der Wille, einfach ALLES wahrzunehmen. Alle Türen stehen ihnen offen; sie sind bestrebt zu experimentieren und zu forschen, sich neuen Herausforderungen zu stellen und sie verfügen über eine extreme Sensibilität gegenüber allem was sie umgibt.
Darüber hinaus sind sie sehr gut darin, alles gleichzeitig zu können, vom Einen zum Nächsten zu springen, weswegen meine Helden auch in der Lage sind, in der einen Minute gegen Geister zu kämpfen um dann im nächsten Augenblick lockere Scherze zu machen.
Das führt unmittelbar zur vorherigen Frage und dem verwendeten Mix unterschiedlicher Genres zurück. Die Reichweite dieser Genres spiegelt die Flexibilität meiner Helden und natürlich auch die meiner Leser wider. Jedenfalls ist die große Sensibilität meiner Charaktere gegenüber Geistern eine große Metapher für die wundervolle sinnliche Empfänglichkeit der Jugend.

Sie erzählen einen großen Teil ihrer Geschichte aus der Perspektive eines 15jährigen Mädchens: Lucy, einzige weibliche Angehörige der Agentur. War es eine besondere Herausforderung für Sie, sich auf die Sichtweise eines jungen Mädchens einzulassen?
Ja, ich habe dies als Herausforderung empfunden, aber ich habe mich ihr auch bewusst gestellt.
Für Lockwood war es mir sehr wichtig, eine Erzählweise in der „Ersten Person“ zu wählen, um den Geisterszenen noch mehr Nähe und Direktheit zu verleihen. Darüber hinaus wollte ich einen männlichen Erzähler vermeiden, um nicht zu sehr in die sprachliche Richtung von Bartimäus abzuweichen.
Ich entschied mich also für Lucy. Mit ihr als Vermittlerin sind wir in der Lage, die Agentur Lockwood einerseits aus unmittelbarer Nähe zu erleben, andererseits bleibt der Hauch eines Geheimnisses erhalten, der uns zu den folgenden Bänden der Serie trägt. Darüber hinaus steht Lucys eigene übernatürliche Wahrnehmungskraft - sie kann die Geister hören - in ziemlichem Gegensatz zu den Fähigkeiten von Lockwood und George. Allein dies kann das Team in völlig neue Richtungen führen!

Sie kategorisieren Geister und begründen damit die unterschiedlichen Motivationen für ihre Präsenz. Die Suche nach Gerechtigkeit steht hierbei bei vielen Geistern im Vordergrund - sie finden keine Ruhe, weil ihnen in ihrer Vergangenheit Ungerechtigkeit widerfahren ist. Was würde Sie daran hindern unsere Erde zu verlassen und wie würde das Gespenst Stroud für Aufsehen sorgen?
Haha – warum mein Geist zurückkehren würde? Hmmm … wenn meine Verleger den Verkauf meiner Bücher nach meinem Ableben einstellen würden, könnte ich mir vorstellen, ihre Büros heimzusuchen, sie von hinten zu erschrecken oder ihnen Papierkügelchen in den Kaffee zu werfen, bis sie wundervolle Neuauflagen von Bartimäus und Lockwood in den Druck geben würden.
Sollte mich ein Autor, der mir nicht sehr gewogen ist, vor einen fahrenden Zug schubsen, würde ich mich jeden Morgen beim Zähneputzen in seinem Spiegel materialisieren und ihn auf diese Weise langsam in den Wahnsinn treiben. Das wäre sehr lustig.

Das Buchcover ziert ein Schloss - das Agenturlogo von Lockwood & Co. Welchem Leser möchten Sie gerne den Schlüssel für diese geheime Welt anvertrauen? Gibt es DIE idealtypischen Stroud-Leser? Sind es vielleicht sogar diejenigen, die mit Bartimäus aufgewachsen sind?
Als ich damit begann, Bartimäus zu schreiben, habe ich ganz bewusst nach etwas gesucht, das ich selbst gerne im Alter von 12 Jahren gelesen hätte. Aber eben auch nach etwas, das ich genau in dem Moment des Schreibens im „hohen“ Alter von 31 Jahren gerne lesen würde. Mit Lockwood verhält es sich ähnlich (mit der Ausnahme, dass ich nun paar Jahre älter bin).
Es ist wie eine doppelte Wahrnehmung, über die ich verfüge. Ich möchte meine Bücher für junge und erwachsene Leser zugänglich und zugleich unterhaltsam machen.
Ich denke, dass dies gar nicht so schwer ist: die grundlegende Zuneigung gegenüber einer guten Geschichte ist etwas, das wir alle gemeinsam haben – diese Leidenschaft ist altersunabhängig. Die ersten Mythen und Sagen wurden früher an den Lagerfeuern erzählt und jeder Angehörige der Gemeinschaft durfte zuhören. Dies ist auch heute noch ursächlich für den universellen Wert, den Märchen und (viele) Kinderbücher besitzen.

Lockwood & Co ist eine Agentur der Jugendlichen. Analytisch, sensitiv, fühlend und sehend - man ergänzt sich und wird so zum effektiven Geisterjäger-Team. In welchem Charakter finden wir Sie am Ehesten wieder? Fühlen Sie - sehen Sie - oder sind Sie eher der Analytiker?
Oh, eine gute Frage! Ich denke die ehrlichste Antwort ist, dass ich mich irgendwo in der Mitte bewege. Vielleicht würden die meisten Schriftsteller dies von sich behaupten. Man muss sehr gut darin sein, sich Sachverhalte gedanklich erschließen zu können, wenn man einen Roman konstruiert, andererseits sollte man den Zugang zu den eigenen Gefühlen weit offen halten und dabei nie aus den Augen verlieren, wie andere Menschen „ticken“. Ansonsten bleiben die Werke einfach auf der Strecke.

Bartimäus ist Glück und vielleicht auch Hypothek zugleich. Glück, weil es Ihnen nun mit Sicherheit leichter fällt, mit einer neuen Reihe eine weite Schicht von Lesern zu erreichen. Hypothek aber auch, da Sie am Erfolg des Weltbestsellers gemessen werden. Möchten Sie sich messen lassen?
Ich bin wirklich glücklich darüber, mit Bartimäus eine Reihe geschrieben zu haben, die so erfolgreich war und es scheint unausweichlich, dass eine zweite Serie mit der vorhergehenden verglichen wird. Ich sehe diesem Vergleich voller Vorfreude entgegen.
Ich habe versucht, dem Lockwood-Rezept einige Bartimäus-Zutaten beizumischen – zum Beispiel eine vergleichbare Kombination aus Persönlichkeit, Humor und Abenteuer und ich kann nur sehr hoffen, dass Leser, die „Barti“ gemocht haben sich in Lockwood ebenso wohl und zuhause fühlen werden.

Das Weise Tuch ... (Ein Tischtuch auf dem die Jugendlichen ihre Ideen festhalten und miteinander kommunizieren, wenn sie sich gerade nichts zu sagen haben) – nur ein Medium im Roman oder mehr? Haben Sie einen absolut zeitgemäßen Streitschlichter in Lockwood & Co. versteckt, der sogar alltagstauglich ist und nebenbei noch als zeitlose Mindmapping Methode dienen kann?
Haha, natürlich. Und dabei habe ich die vielfältigen Möglichkeiten, die dieses Tischtuch wohl bietet, bis heute selbst noch nicht ausprobiert. Die Idee verdanke ich meiner achtjährigen Tochter und ich wusste sofort, dass dieses Tuch jede Menge Spielraum für eine Vielzahl von Verwicklungen bietet. Es kann mit sehr lustigem Hintergrund verwendet werden (George schmiert es mit rüpelhaften Bemerkungen und Bildern voll), es kann allerdings auch sehr wichtig werden, indem es als seriöses Kommunikationsmittel dient.
Darüber hinaus ist es sehr aufschlussreich, da es einen tiefen Einblick in die wahre Persönlichkeit der Protagonisten ermöglicht und ich bin mir sehr sicher, dass dieses weiße Tischtuch in einem der folgenden Bücher noch eine sehr wichtige Rolle spielen wird. Diese kleinen Details reifen von Roman zu Roman zur vollen Blüte!