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Rezension zu
Die Verängstigten

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Die unerträgliche Schwere der Angst

Von: edafromearth
09.12.2018

„Die Verängstigten“ wurde von Larissa Bender aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzt. Ihr informatives Nachwort hätte ich mir etwas abgewandelt als Vorwort zur Auffrischung der eigenen Syrien-Kenntnisse gewünscht (ohne die Spoiler), um gut vorbereitet in die Geschichte einsteigen zu können. Dima Wannous‘ Roman trägt offensichtlich autobiographische Züge. Die Autorin verarbeitet darin parallel die Geschichte Syriens und ihre persönliche, die unvermeidlich zusammenhängen. Dies gibt der Geschichte sehr viel Authentizität und es ist schon fast unangenehm, der Autorin so tief in die Seele zu blicken. Ich bin ihr dankbar für ihre Offenheit! Das schafft sie dadurch, dass sie der Protagonistin Sulaima ihre Stimme gibt. Sulaima ist eine mitleidlose Protagonistin, die dem Leser alle ihre Gedanken und ihre zum Teil verstörenden Träume offenbart. Was der Krieg und die gewaltsame Assad-Regierung hervorbringen, ist die Angst. Die Angst ist das Schlüsselthema dieses Romans, was der Buchtitel schon andeutet. Es ist aber nicht nur die Todesangst oder die Angst vor Folter oder die Angst, einen geliebten Menschen zu verlieren, sondern auch Ängste wie die vor dem Ertrinken, Ersticken oder Fliegen. Die Angst gebärt neue Ängste und da ist die „Angst vor der Angst“, die alle lähmt und weshalb sowohl die „Guten“ als auch die „Bösen des Regimes“ Hilfe bei Psychologen suchen. Neben der Angst kämpfen die Charaktere mit Gewissens- und Identitätsfragen. Es kommt zu Verfeindungen innerhalb der Familien; es ist schwierig, neue Beziehungen aufzubauen, die einem das Gefühl von Sicherheit vermitteln; es wird auf die Rückkehr geliebter Menschen gehofft, die spurlos verschwunden sind; Heimatstädte und das Heimatland müssen verlassen werden (Sulaima flieht von Hama nach Damaskus und von dort nach Beirut/Libanon); und die Probleme zwischen Alewiten und Sunniten, dem Dorf- und Stadtleben werden thematisiert. Die Stimmung und die Gefühle im Buch sind überwiegend sehr bedrückend. Einige Bilder werde ich wohl nie vergessen. Es ist keine leichte Kost. Meiner Meinung nach darf das aber ruhig so sein, zumal die Poetik in diesem Buch nicht zu kurz kommt („Oder weil ich die Fähigkeit verloren hatte, ihn so in Erinnerung zu behalten, wie er war, vollkommen, wie ich ihn kennengelernt hatte, weit wie die Welt, tief wie das Meer?“). Wannous‘ Schreibstil ermüdet nicht und hält einen beim Lesen nicht auf. Die Charaktere sind unterschiedlich und glaubwürdig. In diesem Buch steckt ein weiteres Buch. Sulaima lernt den Arzt und Schriftsteller Nassim kennen, dessen Manuskript sie liest, nachdem er nach Deutschland geflohen ist. Die Kapitel wechseln ab zwischen Sulaimas Geschichte und der Geschichte der Protagonistin Salma aus Nassims Fiktion. Man hat nicht den Eindruck, zwei unterschiedlichen Leben zu folgen. Mir sind die Übergänge zuerst gar nicht aufgefallen und ich könnte nicht genau sagen, welche der Ereignisse zu wessen Leben gehören. Sulaima versteht nicht, warum Nassim in seiner Geschichte ihr Leben aufgreift, bis sie begreift, dass es Salma wirklich gibt. Sie sucht und findet sie, macht ein Treffen mit ihr aus, betrachtet sie aber nur aus der Ferne, und im letzten Moment dreht sie um, weil sie an Salma ihre eigene Angst und Unruhe erkennt. So erfährt weder Sulaima noch der Leser, ob Salmas Geschichte aus Nassims Manuskript wahr ist und welche Art von Beziehung sie mit Nassim hatte. Es spielt auch keine Rolle, denn die Angst ist innerhalb der Grenzen Syriens universell geworden. Das abrupte Ende hat mich etwas gestört. "Die Verängstigten" sollte gelesen werden, um ansatzweise begreifen zu können, was für eine psychische Last die Syrer tragen müssen. Mir hat es gefallen, dass sich Wannous nicht auf die Schilderung von Gräueltaten und Heldentaten konzentriert, sondern hauptsächlich die Wirkung des Krieges und des gewaltbereiten, autoritären Regimes auf die menschliche Psyche durchaus realistisch aufzeichnet.

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