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Rezension zu
Mittagsstunde

Abschied von der bäuerlichen Kultur

Von: Christiane Wilkening aus Lassan
10.11.2018

Liebe Frau Hansen, mit Spannung und immer wieder großer Berührung habe ich der Lesung Ihrer „Mittagsstunde“ in ndr-Kultur und auch dem Interview mit Ihnen zugehört. Drei Wochen lang wurde ich jeden Morgen in meine Kindheit und Jugend in den 60er und 70er Jahren versetzt, in denen ich, nicht wie Ihre Protagonisten auf der Geest, sondern in einem schaumburg-lippischen Dorf voller Trachten und Traditionen aufgewachsen bin. Als Jugendliche habe ich den Zerfall der bäuerlichen Kultur mitterlebt: Wie die Trachten zu einem Symbol für altmodisches Leben und nach und nach von den Frauen an den Nagel gehängt wurden; wie der alte Lehrer des Dorfes mit den Schülerinnen und Schülern die alten Steine und kunstvollen Fachwerkhäuser, die einzelnen Elemente der Tracht, die alten Bäume, Bäche und Zäune der Feldmarken fotografierte, um sie für die Nachwelt, ja, das war ihm bewußt, zu erhalten. Wie das „Wachse oder Weiche!“ zum Aufgeben kleinerer oder mittlerer Höfe führte, wie junge Frauen vom Hof, auf dem sie selbständig Haus und Hof, Garten, Stall und Familie gemanagt hatten, weg in die Stadt in Drei- oder Vierzimmerwohnungen zogen und, als „Ungelernte“, irgendwelche unqualifizierten Jobs annahmen. Wie andere anfingen zu pendeln … Wie zuerst die Pferde, dann die Misthaufen von den Höfen verschwanden; wie die Spaltenböden für die Schweine eingeführt wurden, die Ställe zu Garagen und die ganze lebendige Hoflandschaft still und kahl wurden. Wie die alten niedersächsischen Bauernhäuser verkauft oder zu Wohnhäusern wurden, von keinem Hof mehr umgeben; wie die Öfen aus den Häusern gerissen und durch Nachtspeicheröfen ersetzt wurden. Wie Landhausmode Einzug hielt und aus den gerade eben noch lebendig erlebten schaumburg-lippischen Trachten, dem Achttourigen, dem berühmten Zuckerkuchen, den großen Bauernhochzeiten mit ihren Hochzeitssuppen und überhaupt aus allem Folklore wurde. Wie die Äcker immer mehr von den Ackerrändern, Böschungen und Gräben auffrassen, die zuvor noch mit Pferden beackert worden waren, wie die Hecken abgeholzt und die Wiesen umgepflügt wurden. Das war damals. Jetzt, nach einem Leben in der Stadt und Jahrzehnte später, erlebe ich hier auf dem Lande in Mecklenburg-Vorpommern, wie als Ergebnis dieses Prozesses die großflächige industrielle Landwirtschaft mit ihrer Bewirtschaftungsweise und den Ackergiften den Boden und das Leben zerstören. Was wird daraus folgen? Alle Menschen, alles, was Sie in Ihrem Buch beschreiben und auf so leichte und doch tiefe Weise erzählen, ist mir vertraut in seiner Entwicklung, in seinem Verlust und in seinem Schmerz. Ich danke Ihnen, dass Sie mit Ihrer Geschichte den Menschen auf dem Lande und dem Prozess des Zerfalls der bäuerlichen Kultur - ja, ein Denkmal gesetzt haben. Obwohl - das wollten Sie wahrscheinlich gar nicht, sicher wollten Sie kein Denkmal errichten, sondern eine richtig gute Geschichte erzählen und Menschen berühren. Das ist Ihnen gelungen. Ich danke Ihnen! Mit freundlichen Grüßen, Christiane Wilkening P.S. Zufällig las ich in derselben Zeit „Heile Welt“ von Walter Kempowski, in dem ähnliche Prozesse auf dem Lande, nur 10, 15 Jahre früher und eher in einer heiteren Weise beschrieben werden.

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