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Rezension zu
Morgengrauen

Worte sind frei - "Morgengrauen" von Selahattin Demirtas

Von: Eva Krafczyk
11.11.2018

Ein Politiker, der im Gefängnis zum Schriftsteller wurde: Seit bald zwei Jahren sitzt der türkische Politiker Selahattin Demirtas im Hochsicherheitsgefängnis Edirne. Nun ist sein Erzählband «Morgengrauen» auf deutsch erschienen. Wie hat er es bloß geschafft, seine Texte von der Gefängnisdirektion von Edirne prüfen und an den Verlag weiterleiten zulassen? Auf das Hochsicherheitsgefängnis, in dem er seit bald zwei Jahren festgehalten wird, geht Selahattin Demirtas, Politiker der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP, in seinem Erzählband «Morgengrauen» zwar nicht ein. Auch der Name Erdogan fällt nicht. Nur in einer seiner Kurzgeschichten geht es um das Schicksal einer Frau, die zufällig in eine Demonstration gerät und sich im Gefängnis wiederfindet. Doch der schmale Erzählband hat es in sich. Es gibt Momente, da stockt beim Lesen der Atem. Etwa wenn in einer Erzählung aus der Festtagsstimmung einer harmonischen Familie und der Verliebtheit einer jungen Frau die Idylle umkippt und Vergewaltigung und ein Ehrenmord den Schlusspunkt setzen. Wenn es bei aller Liebe keinen Verzicht auf die Traditionen und ein archaisches Verständnis von Ehre gibt. Wenn eine junge Frau ihren Mörder sogar zum Lebwohl küsst, kommt selbst beim Lesen Wut auf - denn solche Geschichten sind auch auf deutschen Straßen schon Realität geworden. Gedanken sind frei, heißt es in dem bekannten Volkslied- Demirtas ist im Gefängnis zum Schriftsteller geworden und hat sich mit Worten Freiräume geschaffen. Tagträumerei in eine einfachere, hellere, versöhnlichere Welt ist «Morgengrauen» ganz entschieden nicht. Nur in einigen wenigen Texten arbeitet Demirtas mit Humor und Ironie. Die Geschichten des Bandes sind meist nur wenige Seiten lang - der Zugang Demirtas'zu Papier dürfte begrenzt sein. Es geht um Schicksale, um Ohnmacht, um Einsamkeit, um den Traum von einem besseren Leben, das dann doch nicht kommt. Selbst dort, wo es um Aufbruch und Chancen geht, schwingt meist irgendwo ein bitterer Ton mit. Etwa in der Geschichte «Unendlich einsam», in der ein erfolgreiches Architektenpaar den wahren Reichtum in seinem Leben nicht erkennt, bis es zu spät ist. Demirtas verzichtet auf anklagendes Pathos - die Härten des Lebens sind auch so sichtbar, der Leser braucht nicht den erhobenen Zeigefinger. Das macht die Texte nur eindringlicher. Fast schon poetisch sind einige der Kurzgeschichten über das Leben in der türkischen Provinz, über Menschen, die dem Konflikt in Syrien zu entkommen zu versuchen. «Morgengrauen» zeigt: Es gibt Themen, für die gar nicht viele Worte nötig sind. Nicht einmal drei Druckseiten umfasst die Erzählung «Die Meerjungfrau», eine der eindringlichsten und traurigsten dieses Buches, in dem die glücklichen Momente rar sind - so wie wohl im Leben im Hochsicherheitsgefängnis.

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