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Rezension zu
Ich war Hitlers Trauzeuge

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Harry Freudenthals Lauf ums Leben

Von: Eva Krafczyk
31.01.2019

Bitterböse, tieftraurig, voll makabrer Komik und schwarzem Humor – mit „Ich war Hitlers Trauzeuge“ hat Peter Keglevic einen Roman mit ungewöhnlicher Perspektive über die Endphase des Zweiten Weltkriegs, über Endsiegglauben, Untergangsstimmung und das Überleben seiner Hauptfigur Harry gegen alle Wahrscheinlichkeit geschrieben. Denn Harry Freudenthal, jüngster Sohn einer Berliner Zahnarztfamilie, wäre als Jude im April 1945 eigentlich wie schon all die Jahre zuvor ein Todgeweihter. Jahrelang lebte er als Untergetauchter, mit falschen Papieren, auf einer Odyssee kreuz und quer durch Europa. Er ist der einzige, der übrig ist von seiner Familie, die sich so mit Deutschland identifiziert hatte, dass die meisten von ihnen bis zuletzt nicht wahrhaben wollten, dass ihre Heimat sie nicht nur ausgestoßen hatte, sondern ihren Tod wollte – Eisernes Kreuz aus dem Ersten Weltkrieg hin, tiefe Verwurzelung in der deutschen Musik und Literatur her. Wieder einmal ist Harry den Häschern im letzten Moment entkommen, aus Wien geflohen und mit einer Pilgergruppe unterwegs zum Jakobsweg. Doch dann wird er erst festgenommen und dann als Läufer für den „Tausender Lauf“ rekrutiert – zum Geburtstag Hitlers sollen die Läufer nach tausend Kilometer Strecke in Berlin eintreffen und der Sieger dem deutschen Diktator persönlich gratulieren können. Harry, der jahrelang um sein Leben lief, tritt nun unter seinem falschen Namen Paul Renner zum Lauf seines Lebens an. Keglevic hätte zu Endzeit-Dramatik greifen können, aber er entschied sich für schwarzen Humor, eine Art Schelmenroman in den Ruinen dessen, was vom Deutschen Reich im letzten Kriegsmonat noch übrig ist. Eine Schar von Läufern, die ständig schrumpft, angetrieben von der resoluten Hilde, einer Mädelscharführerin, dokumentiert von einem Reporter des „Völkischen Beobachters“ und der Reichsfilmregisseurin Leni Riefenstahl. An jeder Etappe gibt es Durchhalteparolen, und Bürgermeister und Parteibonzen sprechen voll Pathos vom Endsieg. Doch nicht nur Harry weiß, das Ende steht bevor. Immer wieder muss die Etappenroute geändert werden – Luftangriffe haben die Städte zerstört, in denen die Läufer eigentlich triumphal einlaufen sollten. Die Amerikaner nahen von hinten, die Rote Armee vom Osten und schnell wird klar, dass die Läufer nicht so schnell sein können wie der Vormarsch der Alliierten. Dass der Lauf dann doch noch bis Berlin führt, hat viel mit einem abgeschossenen amerikanischen Fallschirmspringer zu tunn, mit der Wettleidenschaft von General Patton und einer Eigendynamik, die zwar zalhreiche Umwege und Verwirrungen garantiert, aber Harry immer näher in die Höhle des Löwen bringt. Warum setzt er sich nicht ab wie viele andere der Läufer? Sucht Sicherheit bei den amerikanischen Truppen, gibt sich als Verfolgter des Nazi-Regimes zu erkennen? Ist es nur das Lächeln eines BDM-Mädchens, dass ihr verzaubert hat? Die wiederkehrenden Träume, in denen seine toten Angehörigen ihn mahnen, ihren Auftrag zu erfüllen? Und welches Vermächtnis haben sie ihm hinterlassen? Auf fast 600 Buchseiten entwickelt sich die Geschichte Harrys und seines Lebenslaufs, mit makaber- absurden, schrecklichen, gelegentlich urkomischen Situationen, mit Rückblicken auf Flucht und Überlebenskampf der vorangegangenen Jahre, auf menschliche Größe und Niedertracht. Als Leser fiebert man mit Harry und blickt auf die letzten Tage des Dritten Reiches aus einer ganz neuen Perspektive. Das Lachen bleibt dabei oft in der Kehle stecken. Ein Buch, das viele Leser verdient.

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