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Rezension zu
Neujahr

Der Roman einer Überforderung, eines Traumas und einfach sehr gute Literatur

Von: Uljana Brunzema aus Bonn
04.02.2019

VORSICHT SPOILER!!! "Neujahr" : Der Roman einer Überforderung, eines Traumas und einfach sehr gute Literatur Ein Familienvater, zwei Kinder, Erinnerungen, ein Urlaub auf Lanzarote. Die Geschichte und der Rahmen sind einfach in Juli Zehs neuem Roman „Neujahr". Es mag nicht übertrieben sein, dieses Buch als eines der persönlichsten und besten von Juli Zeh zu bezeichnen. Ein Roman den man in einem Zug liest ohne absetzen zu können. Der Protagonist Henning erklimmt mit seinem Fahrrad einen Berg, die Hitze, die Erinnerungen und Gedanken flirren durch seinen Kopf, sein Körper pulsiert, gebiert irgendwann sein Innerstes aus der Vergangenheit zum Vorschein. Juli Zeh beschreibt diese Bergfahrt sehr sinnlich, Gerüche alle Art werden evoziert, Ziegenherden am Wegesrand, vorbeifahrende Autos, ein unwirklich scheinender Hirte, der schon ahnen lässt dass etwas von jenseits der Gegenwart heraufdräut. Das ES, diffuse Angstzustände und Ahnungen aus der Vergangenheit, die weit mehr sind als ein auf das Freudsche ES reduzierte Unbewusste, holt Henning immer wieder ein und nimmt ihm den Atem. Seine Gedanken wandern zur jüngeren Vergangenheit, ein Restaurant Besuch mit Frau und Kindern in einem spanischen Restaurant am Tag zuvor. Seine Frau Theresa die er plötzlich hocherotisch mit einem französischen Gast eng umschlungen im Tanz sieht, - eine Szene, die später entscheidend seine Kindheitserinnerungen triggern soll. Dann sind wir wieder ganz mit Henning auf seinem Fahrrad, schwitzen mit, nähern uns langsam dem Gipfel des Berges. Und wieder schweift die Erinnerung ab, sie wandert zu den Großeltern seiner Kinder: Rolf und Marlies kommen zu Besuch aus Rom, pflügen in ganzer Egozentrik und Selbstverliebtheit durch die junge Familie, halten den schönen Schein einer gelungenen Enkel-Großeltern-Beziehung fest, um diesen dann zuhause in Rom fotografisch auf die Kommode zu bannen. Er fühlt sich an seine eigene Kindheit erinnert, als Trennungskind, überforderter älterer Bruder einer kleinen Schwester neben einer ebenfalls überforderten Mutter. Und wieder treten wir mit Henning zusammen in die Pedale seines Fahrrads, erleben zusammen mit ihm eine unfassbare Wut aufsteigen. Und dann erreicht Henning den Gipfel des Berges und ein alleinstehendes Haus. Er wird kurz bewusstlos, sein Unbewusstes meldet sich mit einer lange vergessenen Geschichte aus seiner Kindheit zu Wort. Henning kennt dieses Haus. Drei Tage haben ihn hier damals allein mit seiner kleinen Schwester Luna ans Haus gefesselt, die Eltern waren unter dramatischen Umständen verschwunden, - nicht der Mörder aber der Verführer war diesmal der Gärtner. Henning hatte ihn in flagranti mit seiner Mutter ertappt. Und dann entfaltet sich vor seinem inneren Auge das ganze Drama dieses Ausgeliefertseins, die Unfähigkeit sich allein zu versorgen, seine kleine Schwester zu versorgen, die Ordnung beizubehalten. Die Beschreibung der Abhängigkeit und Hilflosigkeit der kleinen Schwester ist so plastisch dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Alles ist ans Licht gekommen, es ist Neujahr. Zum Glück endet dieser Roman nicht mit einem platten Happy end, das ES hört nicht plötzlich auf, Henning zu quälen. Nein, viel weiser und reifer ist das Ende: Henning will und muss die Beziehung zu seiner Schwester Luna, die bislang immer die Kleine und Hilfsbedürftige blieb bis ins Erwachsenenalter, neu definieren. Er muss ihr seine Helfer Rolle aufkündigen. Er weist ihr die Tür. Und gerade die letzten beiden Seiten des Romans, in dem dieser langsame Abschied beschrieben wird, ist Juli Zeh unglaublich gut gelungen. Feine literarische dicht gewebte Atmosphäre, kristallklar und langsam. Juli Zeh ist mit diesem Roman ein brillantes Stück Literatur gelungen.

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