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Rezension zu
Scharnow

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Bela B’s durchwachsenes Romandebüt

Von: Sören
17.03.2019

Ich möchte Bela Bs Debutroman wirklich mögen. Doch das gelingt nur bedingt. Immerhin – wer in den Neunzigern auf dem Land groß geworden ist, kam an den Ärzten ja nicht vorbei, wollte man Musik mit etwas klügeren Texten und etwas mehr Witz hören, als sie der Charts-Pop bereithielt. Und dann ist der deutsche Literaturbetrieb ja derart gemainstreamt, dass man regelmäßig glauben könnte, alles stamme aus den Federn der immer-gleichen Handvoll von Autorinnen und Autoren. Ja: Wenn jemand einen Roman veröffentlicht, der nicht durch das Schreiben bekannt geworden ist, bin ich durchaus erstmal skeptisch: Hat die Person sich das Handwerkszeug erarbeiten können, das man meist nur durch viele Jahre des Schreibens erlangt? Andererseits: Man hätte doch hoffen dürfen, dass ein eher wilder Kerl wie Bela B mit Punk-Hintergrund zumindest etwas zusammenbastelt, das hier und da die Nägel ins Fleisch des an der eigenen Selbstherrlichkeit dick gewordenen Betriebes gräbt. Licht und Schatten. Besonders anfangs mehr Schatten Nein, ich habe keinen kunstvollen Modernismus erwartet, die Chancen, dass ein berühmter Musiker ganz zufällig auch der nächste Pynchon oder Gibson ist, stehen wahrscheinlich nicht all zu gut. Aber doch zumindest ein Werk, das, vielleicht eher rustikal, doch formal irgendwie dem Angekündigten gerecht wird. Versprochen wird immerhin ein „wilde[r] Tornado der Ereignisse“. Tatsächlich geschieht viel, doch Scharnow ist leider formal ein ziemlich konservativer Roman. Nicht falsch verstehen: Bela B lässt natürlich alle Archetypen des tendenziell linken Außenseitertums aufmarschieren: Den einsamen Journalisten/Buchkritiker, den Gelegenheitsarbeiter, einen netten liberalen muslimischen Internetcafébesitzer, das alternative Berlin-Girl, das entdeckt, dass auch die Szene depperte Tabus kennt, eine jugendliche Trinkerclique/Kommune, Hooligans, Pornodarstellerinnen und die Katze von Gregor Gysi. Und prinzipiell ist der Plot natürlich auch versprochen absurd und enthält all die Verrücktheiten, die in der Werbung zum Buch auftauchen. Nur ist all das in einer Weise verfasst, wie es ein Goethe-Epigone Anfang des 19. Jahrhunderts so auch schon hätte formulieren können. Wie wir es vielleicht mal in der Schule gelernt haben, wird jeder Protagonist erstmal hübsch beschrieben, dann seine Umgebung beschrieben, dann gesagt, was er denkt, dann was andere über ihn denken, usw. – das liest sich oft ein wenig wie ein Literaturbaukasten. Ob eine lange Masturbationsszene (gleich am Anfang, soll wohl Drastik bekunden, langweilt aber eher) oder zufälliges Beobachten einer möglichen Anschlagsplanung: Alles geschieht im stets gleichen Tonfall, ohne jegliche Dringlichkeit. Goethe, tatsächlich ein sehr moderner Schriftsteller, würde Bela wahrscheinlich raten: „Junge, mach dich mal locker!“. Ich meine, um Gottes Willen: In diesem Roman gibt es denkende, kommunizierende Gegenstände, darunter blutrünstige Bücher und der Autor schreibt darüber so gemütlich, wie über eine Familie, die am Rhein spazieren geht! Warum das Buch trotzdem Spaß macht Zum Positiven: Wenn man durch die ersten 1-2 Stunden durch ist und die Geschichte langsam Fahrt aufnimmt, ist Scharnow doch ein ziemlich kurzweiliges Buch mit einer ganz ordentlich aufgebauten immer absurder werdenden Handlung. Die Art der Einfälle erinnert an Chabon, wenn auch die Ausführung nicht ganz hinterher kommt. Dank dem relativ raschen Wechsel zwischen den einzelnen Szenen (das einzige an der Erzählweise, was man „modern“ nennen könnte, obwohl diese Technik von JMR Lenz immerhin bereits im 18. Jahrhundert in das deutsche Theater eingebracht wurde) kommt nie Langeweile auf, und man hat auch kaum Zeit darüber nachzudenken, welche Unwahrscheinlichkeiten nicht nur scheinbar übernatürlicher Art, sondern vor allem auch welche Zufälle und Verwicklungen Bela aneinander reiht, um die Handlung voran zu bringen. Das ist gar nicht despektierlich gemeint, sondern eine der größeren Leistungen des Romans: Auf diesen Fetisch des „könnte das wirklich passiert sein?“ zu pfeifen und in erster Linie darauf zu achten, was in der Geschichte funktioniert. Irgendwann müht sich der Autor dann doch, all den übernatürlichen Ereignissen eine Erklärung zu spendieren… Naja. Das geschieht so dreist platt à la „Deus Ex Machina“, dass es schon fast wieder gelungen ist. Scharnow ist nicht der Geheimtipp für alle, die Unterhaltungs- wie Intellektuellenschriftstellerei zuletzt immer wieder enttäuscht hat, aber im Großen und Ganzen ein Buch, das man mit Spaß lesen kann. Ist es auch ein Buch für Ärzte-Fans? Da bin ich mir nicht so sicher. Gerade das große Tempo und der hintersinnige Witz, die die besten Ärzte Titel ausmachen, fehlt Scharnow ein wenig. Erzählt wird eben etwas mutlos-gemächlich. Die Hörbuchausgabe, die der Rezension zugrunde liegt, ist vom Autor selbst gut gelesen. Und wer Bela B schon immer mal „Fiesta Mexikana“ singen hören wollte. muss natürlich zugreifen.

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