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Rezension zu
HERKUNFT

Saša Stanišić | HERKUNFT

Von: Bookster HRO
02.04.2019

Endlich wieder ein Lebenszeichen von Saša Stanišić, dem Autor, der 2014 mein persönliches Buch des Jahres geschrieben hat. Nach der darauf folgenden Storysammlung FALLENSTELLER – die mir offen gestanden nicht so zusagte – führt uns der Autor diesmal in seine Heimat Bosnien, die er 1992 vierzehnjährig mit seinen Eltern verlassen musste. Als Sohn einer Bosniakin und eines Serben wurde es nach der Besetzung seiner Heimatstadt Višegrad im Zuge des Bosnienkrieges lebensbedrohlich zu bleiben. Sie flohen nach Heidelberg und ließen den Großteil ihrer Familie zurück. Unter anderem Großmutter Kristina, die eigentliche Heldin dieses Buches – mit ihr beginnt es und mit ihr endet es. Stanišić schreibt in HERKUNFT vom Aufwachsen in einem fremden Land, dem Erlernen einer fremden Sprache und den Reisen zurück in seine Heimat, und dort vor allem von den Begegnungen mit seiner Großmutter, die zwar allmählich in der Demenz verschwindet, ihn aber nach wie vor liebevoll beleidigend einen Esel nennt. Dabei geht er nicht chronologisch vor, sondern packt eine Anekdote an die andere, zaubert Erinnerungen hervor wie Kleidungsstücke aus der Mottenkiste und verziert sie mit der für ihn so typischen ironisch-poetischen Sprache. Dass ihn das Gedächtnis manchmal trügt, daraus macht er keinen Hehl und arbeitet den Kampf um die richtige Erinnerung in den Text ein, schmückt aus, erfindet neu. Somit ist HERKUNFT weder Biographie noch Roman, sondern eine Mischform aus beidem, die gerade aus der Unzuverlässigkeit des Autors ihren Reiz gewinnt. Auf den letzten sechzig Seiten greift Stanišić nochmal richtig in die Trickkiste und bezieht uns Leser in seine Geschichte ein. In dem interaktiven Abschlusskapitel DER DRACHENHORT müssen wir als Saša unsere Großmutter aus dem Pflegeheim befreien und auf ihrer letzten Reise zu ihrem geliebten Mann Pero begleiten, der seit Jahrzehnten im Jenseits auf sie wartet. Es lauern viele Gefahren, allerlei Getier aus der slawischen Mythenwelt will uns an den Kragen und wir müssen entscheiden, welchen Weg wir gehen, damit Großmutter glücklich wird. Choose-Your-Own-Adventure-Bücher waren vor allem in den 1980er Jahren sehr populär und erfreuen sich spätestens seit der Black-Mirror-Folge BANDERSNATCH auf Netflix wieder großer Beliebtheit, zumindest im Filmformat. Dass Stanišić diese Literaturgattung von der Staubschicht befreit und ihr wieder Leben einhaucht, gehört auch in die Rubrik Erinnerung an die Jugend (und ist – ganz unter uns – die schönste und rührendste Liebeserklärung an eine Großmutter, die ich je gelesen habe). Zugegeben: Das Thema Heimat und Herkunft ist seit einigen Jahren omnipräsent und besonders auf dem Literaturmarkt stark überbeansprucht. Dennoch ist Stanišićs Buch ein wichtiger Beitrag zur Debatte und eine Bereicherung für die Literatur, eben weil er mit HERKUNFT nicht nur ein Flüchtlingsdrama oder Emigrantenschicksal erzählt, sondern mit viel Witz und Poesie einen persönlichen, verspielten und aufrichtigen Lebensbericht geschrieben hat. Ich bleibe dabei: Saša Stanišić ist einer der besten Schriftsteller seiner Generation und es ist ein großes Glück, dass wir ihn haben.

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