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Rezension zu
Der Rat der Gerechten

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Schatten eines Pogroms und Rätsel um verschwundene Frauen

Von: Eva Krafczyk
05.04.2019

In ihrer polnischen Heimat wird Katarzyna Bonda auch schon mal als “Königin des Kriminalromans” gepriesen. Wer daher auf der Suche nach spannender Unterhaltung Bondas neuen Roman “Der Rat der Gerechten” in die Hand nimmt, könnte womöglich enttäuscht werden. Denn obwohl Profilerin Sasza Zaluska auf der Spur eines Serienmörders in einen ganz anderen Fall hineinstolpert, ist dieser Roman viel mehr als ein Krimi. Es geht um Schuld und Verrat, um Geschichtsleugnung und Suche nach Wahrheit, um Vergangenheitsbewältigung und ethnische Konflikte in der ostpolnischen Region Podlachien, die vor dem Zweiten Weltkrieg ein Schmelztiegel der Nationalitäten und Religionen war. Schon die Widmung macht klar: dieses Buch ist für die Autorin auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte und einem blutigen Kapitel der jüngeren polnischen Vergangenheit, dessen Aufarbeitung in den vergangenen Jahren an erneutem Aufleben von Nationalismus zu scheitern droht. Zugegeben: Für Leser, die Polen und seine Geschichte nicht oder nur wenig kennen, ist dieses Buch anstrengend. Die komplizierte, oft tragische Entwicklung des Landes im 20. Jahrhundert, die Diskussionen über Vergangenheit, die bis in die heutige Zeit andauern - für den deutschen Durchschnittsleser ohne Polen-Bezug dürfte das schwerer Tobak sein. Wer sich auf mehrere Zeitebenen und Erzählstränge dieser epischen Erzählung einlässt, lernt dafür so einiges über die jüngste Vergangenheit des Nachbarlandes und Streitpunkte, die die Gesellschaft noch heute teilen. Dabei ist der Anfang noch zunächst übersichtlich: Profilerin Sasza Zaluska, trockene Alkoholikerin und alleinerziehende Mutter, versucht sich gerade an der Wiederaufnahme in den Polizeidienst, als ein Hinweis auf einen als “Rote Spinne” bezeichneten psychopathischen Serienmörders sie in die ostpolnische Kleinstadt Hajnowka bringt, In der psychiatrischen Klinik dort soll ein Mann in Behandlung sein, den sie verdächtigt, der Täter zu sein. Er ist zudem der Vater ihrer Tochter. In Hajnowka kommt Zaluska in einem Restaurant mit dem reichen Unternehmer Piotr Bondaruk ins Gespräch. Und von da an wird es schnell kompliziert. Der Mann, der in dem Ort als eine Art örtlicher König Blaubart gilt, will die junge Iwona heiraten, die altersmäßig seine Enkelin sein könnte und obendrein aus einer nationalistischen polnischen Familie stammt – eigentlich der komplette Gegensatz zu dem Holzfabrikanten mit weißrussischen Wurzeln. Gleich nach der Hochzeit verschwindet sie, und die Bewohner des kleinen Ortes rätseln: Ist sie mit ihrem früheren Freund durchgebrannt, wurde sie entführt, oder hat der frisch angetraute Ehemann die Finger im Spiel, dessen Partnerinnen bereits in der Vergangengheit verschwanden? Die Tatsache, dass bei der Polizei alte Totenschädel auftauchen, heizen die Gerüchteküche nur noch weiter an. Zaluska bietet der offensichtlich überforderten und unterbesetzten Polizei Unterstützung an, gerät aber selbst in Verdacht, möglicherweise unlautere Motive zu haben oder gar in ein Verbrechen verwickelt zu sein. Zudem stößt die Profilerin in der Kleinstadt auf eine Mauer des Schweigens, ist sie doch nicht “von hier”. In Rückblenden wird die Geschichte Bondaruks und seiner Frauen erzählt und nur nach und nach entwirrt sich das Beziehungsgeflecht des Ortes und die Ursache der Spannungen zwischen Polen und Weißrussen in der Stadt. Denn während polnische Nationalisten den antikommunistischen Partisanen “Bury” als Helden ansehen, dem Jugendliche bei Kriegsspielen im Wald nacheifern, ist der Mann für die Weißrussen ein Verbrecher, verantwortlich für blutige Pogrome in den weißrussischen Dörfern nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, für Morde an Frauen und Kindern. Auch das Dorf Zaluskie wurde damals dem Erdboden gleich gemacht und Sasza muss sich der Frage stellen, ob hier womöglich unbekannte Wurzeln der eigenen Familie liegen. Die Verbrechen von damals, ein mehr als 70 Jahre zurückliegender Verrat, überschatten die Menschen in Hajnowka bis in die Gegenwart. Gerade diesem Aspekt, der für Leser ohne Kenntnis der jüngeren polnischen Geschichte schwer verständlich sein dürfte, widmet Bonda den wohl persönlichsten Teil des Buches. Denn auch ihre Großmutter, nach der sie benannt wurde, kam bei einem Pogrom ums Leben, wie die aus Hajnowka stammende Bonda bei den Recherchen für das Buch herausfand. In der Familie wurde darüber geschwiegen – offiziell ermordeten. Der “Rat der Gerechten” ist ein vielschichtiger, stellenweise komplizierter und mit 700 Seiten etwas überbordender Roman um Verbrechen, Hass und Liebe. Bonda zeichnet mit ihrem Roman ein episches Gesellschaftsbild und erklärt eine Vergangenheit, die bis in die Gegenwart reicht.

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