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Rezension zu
Mittagsstunde

Schwacher als das Debüt

Von: Wissenstagebuch
26.05.2019

Wie schon in „Altes Land“ erzählt Dörte Hansen vom vermeintlich beschaulichen Dorfleben damals und heute. Doch an ihren Debütroman mit den liebenswert-schrulligen Figuren reicht „Mittagsstunde“ nicht heran. Ingwer Feddersen arbeitet als Archäologe an der Kieler Universität. Er nutzte die erstbeste Gelegenheit, um dem Dorfleben und seiner schwierigen Familiengeschichte zu entkommen. Seine Lebenssituation in Kiel stellt sich als das beständige Provisorium einer Dreier-WG mit benefits dar. Auf dem sterbenden Dorf sitzen die Großeltern, die ihn aufgezogen haben und deren Kneipe nun irgendwie abgewickelt werden muss. Von der Midlife-Crisis gepeinigt, packt Ingwer seine Koffer und nutzt sein sabbatical, um die alten Großeltern zu pflegen. Dörte Hansen kocht beim zweiten Roman nach dem Erfolgsrezept des ersten: ein mittelalter orientierungsloser Protagonist und Figuren, die an ihrem Lebensabend auf verpasste Chancen und die Umwälzungen im Dorfleben der letzten Jahrzehnte zurückblicken. Setting ist ein fiktives sturmgepeinigtes Dorf in Norddeutschland. Als Fan von „Altes Land“ las sich alles irgendwie vertraut, doch mit den Figuren wurde ich bis zuletzt nicht so recht warm. Gerade Ingwer Feddersen war für mich nicht richtig „rund“: Im Zeitpunkt der Romanhandlung wird er als orientierungslos und frustriert gezeichnet; seiner Familiengeschichte traut er nicht, bemüht sich aber auch nicht um Aufklärung. Dazu passte für mich nicht, dass er aus eigenem Antrieb dem dörflichen Leben den Rücken gekehrt und es als Archäologe in Kiel zu einer wohl (unbefristeten) Stelle an der Uni gebracht hat. Dabei ist das doch ein stark umkämpftes Feld. Vielleicht spielt hier auch meine persönliche Präferenz hinein: Die hemdsärmelige anpackende Vera aus dem ersten Roman war mir einfach sympathischer. Bei der Geschichte der beiden „Alten“ wird dann aber Dörte Hansens erzählerische Kraft deutlich: Die Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft und des danach schwierigen Ehelebens schildert sie auf außerordentlich berührende Weise. Das empfand ich schon bei der Geschichte um die Vertriebenen in „Altes Land“ so. Hansens Talent liegt darin, die Vergangenheit lebendig werden zu lassen. Ginge es nach mir, könnte sie einen ganzen Roman aus der Sicht ihrer alten Protagonisten schreiben, ohne eine Anbindung ans Heute zu forcieren. So oder so – ich warte auf Dörte Hansens nächsten Roman.

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