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Rezension zu
HERKUNFT

Das Lieblingsbuch 2019 BISHER

Von: pagesonpaper
07.06.2019

Ich verstehe so vieles nicht. Nicht, wie das Knie funktioniert. Ernsthaft religiöse Menschen so wenig wie Menschen, die Geld und Hoffnung in Magie, Wettbüros, Globuli oder Hellseherei setzen. […] Ich verstehe nicht, dass Herkunft Eigenschaften mit sich bringen soll, und ich verstehe nicht, dass manche bereit sind, in ihrem Namen in Schlachten zu ziehen. Ich verstehe Menschen nicht, die glauben, sie könnten an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Ich musste eine ganze Weile über dieses Buch nachdenken. Nicht, weil es mir so schwer fällt, darüber zu schreiben, sondern weil so überraschend schon in den ersten Monaten des Jahres mein wahrscheinliches Lieblingsbuch daherkam. “Wie kann das sein?”, dachte ich. So dachte ih noch ein wenig darüber nach und, wie es sich herausstellt, lässt mich das Buch trotzdem nicht los, es verliert nichts seiner Magie. Also, darf ich vorstellen: Mein definitives Lieblingsbuch 2019 BISHER. Saša Stanišić schreibt so charmant, so liebevoll, über seine Herkunft und die Findung seiner Identität zwischen Serbien, Bosnien, Berlin und Heidelberg. Er hat noch als Kind einen Krieg miterlebt und auch das Trauma mitgetragen. So etwa fragt niemand nach der vermutlichen Schusswunde im Bein des Vaters. Gleichzeitig kommt er aber auch an in Deutschland, seiner neuen Heimat, und fühlt sich angekommen, wenn auch nicht immer angenommen. Der Geographielehrer holt Landkarten und zählt Bundesländer und Hauptstädte auf. Er fragt Pekka, was die Hauptstadt seines Heimatlandes sei, und Pekka sagt: “Stuttgart”. […] Alle lachen, sogar die Traumatisierten. Der Geographielehrer fragt mich, was die Hauptstadt meines Heimatlandes sei, und ich sage: “Belgrad und Sarajevo und Berlin.” Er schreibt über Fußball und über die Liebe – zwei Dinge, die ohne Sprache funktionieren, die einfach universell verständlich sind. Das sind auch sehr präsente Themen in seinem Buch, neben der Literatur und dem Schreiben, das durch den Deutschlehrer und das Lesen von Eichendorff explizit gefördert wurde. Stanišić hatte also das Glück, Leute in seinem Umfeld zu haben, die ihn trotz aller Widrigkeiten akzeptierten und als gleichwertig ansahen. Dass ich diese Geschichte überhaupt schreiben kann und schreiben will, verdanke ich nicht Grenzen, sondern ihrer Durchlässigkeit, verdanke ich Menschen, die sich nicht abgeschottet, sondern zugehört haben. Doch neben all diesen Menschen gab es eine Institution, die als “Melting Pot” einen wichtigen Dienst tat: Die ARAL-Tankstelle. Die soziale Einrichtung, die sich für unsere Integration am stärksten einsetzte, war eine abgerockte ARAL-Tankstelle. Sie war Jugendzentrum, Getränkelieferant, Tanzfläche, Toilette. Kulturen vereint in Neonlicht und Benzingeruch. Und dann, nach allem, ist es auch eine Hommage an die Oma Kristina, auf die die Handlung immer wieder zurückkommt und die eine Schlüsselrolle in Stanišić’s Leben inne hatte. Das fand ich schön, denn man merkt an der Schrulligkeit, wie er seine Großmutter beschreibt, wie gern er sie hatte. Alles in allem also ein wahnsinnig beeindruckendes Buch über Weggehen und Ankommen, und in der heutigen Zeit mehr denn je ein Wink mit dem Zaunpfahl, wie sehr wir dieses gemeinsame Europa und die Friedenssicherung brauchen. Es geht um Menschen wie du und ich, die auf gar keinen Fall im Mittelmeer ertrinken dürfen, egal, was die lahmen Ausreden der Politik sind.

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